Rechtsextremismus auf dem Land: „Wir kriegen euch alle“

Im sächsischen Freital brannten die Asylheime. Aber damit hat ja Westfalen nichts zu tun. Wirklich nicht? Wie verbreitet sind rechtsextreme Einstellungen hierzulande im ländlichen Raum?



„Man weiß halt, dass es im Dorf auch Kritiker gibt. Aber die treten nicht groß in Erscheinung.“ So äußern sich ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und -helferinnen aus westfälischen Ortschaften, wenn man sie nach kritischen Stimmen oder Anfeindungen fragt. Also alles heile Welt?

Andererseits: In NRW wurden allein zwischen 1. Januar 2015 und 11. Februar 2016 insgesamt 262 registrierte, rechtsextremistisch motivierte Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte verübt (siehe Kasten). Diese Anschläge ereigneten sich nicht nur in den Neonazi-Hochburgen Westfalens wie Dortmund oder Hamm, sondern auch in Höxter, Ibbenbüren, Westerkappeln, Enger, Porta Westfalica, Vlotho oder Ense. Wer hinter den Angriffen steckt, wird oft nicht geklärt. Es gibt keine Bekennerschreiben, niemand brüstet sich öffentlich mit einer Tat.

Rechtsextreme Straftaten auf dem Land - eine Auswahl

Von Januar 2015 bis Mitte Februar 2016 wurden nach Auskunft der Landesregierung 290 Straftaten „politisch motivierter Kriminalität“ registriert. Von ihnen waren 262 Taten nachweislich rechtsextremistisch motiviert. Um welche Taten es sich handelt, zeigt unsere Auswahl aus dem ländlichen Westfalen.
15. 1. 2015 – Westerkappeln: Unbekannte zünden Silvesterböller vor der Flüchtlingsunterkunft.
27. 2. 2015 – Rheine: Mehrfamilienhaus belegt mit mazedonischen Flüchtlingen, fremdenfeindliche Rufe in der Nacht.
6.3. 2015 – Kirchhundem-Rinsecke: Unterwassersetzung durch Öffnen mehrerer Wasserhähne in der noch nicht bezogenen Unterkunft.
1. 4. 2015 – Bocholt: Unbekannter zündet in 20 m Entfernung eine mit 30 Raketen bestückte Feuerwerksbatterie, Aufschrift: Hakenkreuze und Text: „Anti Asyl Bombe, „Welcome Alemania“ und „88 SS“.
30. 5. 2015 – Rüthen: Vier angetrunkene Personen in Schützenuniform beleidigten Bewohner, angeblich Hitlergruß.
3. 6. 2015 – Warstein: Beschuldigter rief ausländerfeindliche Parolen („Heil Hitler“, „Ihr werdet alle draufgehen. Wir kriegen euch alle.“), dann durchschnitt er SAT-Kabel.
19. 7. 2015 – Enger: Unbekannte gaben Schüsse ab. Es wurden keine Geschosse/Hülsen gefunden.
1. 8. 2015 – Ibbenbüren:
Unbekannte bringen fünf Hakenkreuze und Schriftzüge „Sieg Heil, Kanaken raus, SS und SA“ an.
14.9. 2015 – Porta Westfalica: Zwei Molotow-Cocktails werden gegen Fassade der Asylunterkunft geworfen. Ein Brandsatz prallte ab, der andere wurde in der Küche von einem Bewohner gelöscht, der sich zufällig dort aufhielt, um für sein Kleinkind eine Milchflasche zuzubereiten.
5.10. 2015 – Höxter: Weibliche Person ruft aus dem Auto: „Euch sollte man alle vergasen. Ihr nehmt uns die Wohnung und die Arbeit weg. Euch sollte man zusammenschlagen.“
14. 11. 2015 – Vlotho: Zehn Schüsse aus Schreckschusswaffe, davon einige Schüsse gezielt auf die vor dem Haus stehenden Personen. Am Ort wurden zehn Platzpatronenhülsen gefunden.
8. 12. 2015 – Borken: Unbekannte warfen Stein durch Fensterscheibe, dahinter schliefen zur Tatzeit vier kleine Kinder, niemand wurde verletzt.
19. 1. 2016 – Ense: Vier Einschüsse (vermutlich von einem Kleinkalibergewehr) befanden sich im Dämmputz. Ein Projektil steckte im Kunststoffrahmen eines Fensters des Gemeinschaftsraumes.
8. 2. 2016 – Warburg: Unbekannter setzt die Eingangstür und zwei mit Spanplatten vernagelte Fenster mittels Brandbeschleuniger in Brand.

Gewaltbereite braune Szene

„Im Moment können wir von Glück reden, dass noch niemand umgekommen ist“, sagt Heiko Klare von der Mobilen Beratung im Regierungsbezirk Münster gegen Rechtsextremismus und für Demokratie (mobim). Auch die Regierungsbezirke Detmold und Arnsberg verfügen über solche Einrichtungen. Getragen von Bund und Land haben sie die Aufgabe, die rechtsextremen Aktivitäten in ihrer Region zu beobachten, zu dokumentieren und Menschen aus Politik, Schulen, Vereinen oder Ehrenamt zu beraten. Derzeit ergibt sich folgendes Bild:

  • Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) befindet sich in NRW im „kontinuierlichen Niedergang“. Ihre rund 600 Anhänger sind zerstritten, die Partei ist pleite und die Mitglieder mit Springerstiefeln und Bomberjacke repräsentieren einen in der Szene als altmodisch verschrieenen Typus Rechtsradikaler.
  • Die Partei „Die Rechte“ ist zurzeit die Partei, in der sich jene Neonazis sammeln, die bis vor Kurzem in sogenannten Freien Kameradschaften organisiert waren. Diese wurden größtenteils verboten. Sie ist im ländlichen Raum bisher wenig aktiv, machte aber kürzlich von sich reden, als sie auf Schulhöfen in Bielefeld Gratis-CDs mit rechtsradikalen Liedern verteilte – ein erfolgreiches Rekrutierungswerkzeug rechtsextremer Parteien. Entsprechende Musikbands kommen z. B. aus Verl („Sleipnir“) oder Arnsberg („Weisse Wölfe“). Die Kameradschaften, die Partei „Die Rechte“ und die Partei „Der dritte Weg“ haben zusammen etwa 1000 Mitglieder.
  • Die sogenannte „Bürgerbewegung Pro NRW“ mit rund 950 Mitgliedern hatte das Thema Islamfeindlichkeit, Asylkritik und „wir-hier-unten-gegen-die-da-oben“ schon für sich entdeckt, als die Flüchtlingskrise noch nicht all­gegenwärtig war. Im ländlichen Raum Westfalens liegen ihre Parteistrukturen brach.

Daneben gibt es andere Gruppierungen, die laut Heiko Klare viel schwerer zu beobachten sind. Diese „Autonomen Nationalisten“ (AN) begreifen sich als Speerspitze der Rechtsextremen. In gewaltbereiten Kleingruppen wollen sie „nicht nur reden, sondern endlich etwas machen“. Sie folgen einem „Do-it-yourself-Aktivismus“ und schrecken vor Angriffen auf Flüchtlingsheime oder Gewalt gegen Andersdenkende nicht zurück.

Trendige Kleidung statt Springerstiefel

Es gibt diese Gruppierungen im Raum Köln und Aachen, aber auch im Kreis Recklinghausen, in Dortmund, Hamm, Ahlen, Höxter, Detmold und Paderborn. Im Verfassungsschutzbericht werden für NRW 1350 militante Rechtsextremisten gezählt. Insgesamt geht der Verfassungsschutz bei allen hier angegebenen Zahlen von rund 500 Doppelmitgliedschaften aus.

Mit dem klischeehaften „Springerstiefel-Nazi“ haben die AN wenig gemeinsam. Ihr Kleidungsstil wirkt trendig. „Doch nur weil sie moderner aussehen, heißt es nicht, dass sich ihre Ansichten verändert hätten“, sagt Heiko Klare. Ihre Haltung drehe sich um nationalsozialistische Elemente. Sie bestellen T-Shirts, Kappen, Pullover oder Anstecker mit zeitgemäßen Emblemen im Internet. Entsprechende Versandhäuser gibt es vielfach in NRW: In Herzebrock-Clarholz ist zum Beispiel der „Z-Versand“ ansässig. In Leopoldshöhe findet sich „Christhunt Records“.

Extremismus in der Mitte?

Dem Rechtsextremismus spielt das aktuelle gesellschaftliche Klima in die Hände. Heiko Klare: „Die Grenzen, was man sagen oder tun darf, verschieben sich.“ Regelmäßige Umfragen kommen seit Jahren zu dem Ergebnis, dass 8 bis 12 % der Bevölkerung ein „rechtsextremes Weltbild“ haben. Das gilt im Durchschnitt für das ganze Land. Dazu kommt, dass sich nach den Geschehnissen der Silvesternacht in Köln die Stimmung im Land verändert habe, so Heiko Klare. Passend dazu äußerten Befragte während der Recherche für diesen Beitrag das Gefühl, sogar bei Diskussionen mit Freunden, Nachbarn und Bekannten würden Stammtischparolen plötzlich salonfähiger.

Ländliche Räume anfälliger

Auf den Dörfern kommen laut mobim-Beratungsstelle Gegebenheiten hinzu, die sie unter Umständen anfälliger für rechtspopulistische Tendenzen machen. Das Dorf als geschlossenes System kann Fluch und Segen zugleich sein.

Hier kenne jeder jeden, so der Berater. Kommt es zu „rechten“ Taten einzelner, können sich oft alle denken, wer es wahrscheinlich gewesen ist. Anstatt „es“ aber an die große Glocke zu hängen, werden die Angelegenheiten des Dorfes auch dort geregelt. Das kann einerseits hilfreich sein, weil ein intaktes Umfeld sehr wohl positiven Einfluss auf Einzelne nehmen kann. Andererseits erhöht das Nicht-an-die-große-Glocke-hängen auch die Gefahr der Verharmlosung nach dem Motto „Den kenne ich schon lange, das meint der nicht so…“

Und das Fazit?

Im ländlichen Westfalen ist die rechtsextreme Szene existent und auch gewaltbereit, aber Präventionsarbeit, viele ehrenamtliche Helfer und gesellschaftliches Engagement gegen „Rechts“ bieten Neonazis bisher die Stirn. Wo Rechtsradikale aufmarschieren, werden vielerorts auch Gegendemonstranten mobil. Dieses „Gegenhalten“ ist auch im „Kleinen“ wichtig, also etwa schon in Diskussionen am Küchen- oder Stammtisch. Probleme benennen und Kritik äußern: Ja. Rassistische Parolen und Stimmungsmache abnicken: Nein! Eva Piepenbrock

Den ausführlichen Bericht lesen Sie im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben, Folge 18/2016, vom 6. Mai 2016.

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