Das Kriegsende 1945

NS-Wochenblatt schwor Bauern auf den Untergang ein

Die letzten Kriegsmonate 1944/45 in Westfalen im Spiegel des NS-Wochenblattes 
der Landesbauernschaft – Monate des Schreckens und 
der Gewalt, der Realitätsblindheit und der Lust am Untergang.

Der Zweite Weltkrieg, von Hitler-Deutschland vorbereitet und durch den Überfall auf Polen 1939 ausgelöst, hatte weite Teile Europas mit Tod, Hunger und Zerstörung überzogen. Nun, 1944/45, schlug der Krieg, den Reichspropagandaminister Goebbels zum „Totalen Krieg“ erklärt hatte, mit aller Wucht nach Deutschland zurück, auch nach Westfalen. Die Städte des Ruhrgebietes, der einstigen „Rüstungsschmiede des Dritten Reiches“, waren heftigen Bombenangriffen aus der Luft ausgesetzt und glichen schon lange vor Kriegsende einer Mondlandschaft aus Ruinen, Trümmern und Schutthalden.

Auch die NSDAP-Gauhauptstadt Münster wurde seit 1943 regelmäßig bombardiert. Die Innenstadt von Bielefeld wurde Ende September 1944 durch einen Luftangriff vollständig zerstört, Paderborn noch am 27. März 1945, nur wenige Tage vor Einmarsch der US-Truppen. Auch Dörfer und sogar auch einzelne Bauernhäuser waren vor allem in den letzten Kriegsmonaten häufig Angriffen aus der Luft ausgesetzt.

Luftschutz im Viehstall

„Mein Hof ist luftschutzbereit“ war 1944 ein Beitrag im NS-Wochenblatt der Landesbauernschaft Westfalen überschrieben, ein anderer stellte „Luftschutzmaßnahmen im Viehstall“ vor. Ein „Heiliger Volkskrieg um deutschen Boden“ wurde Mitte September 1944 vom Wochenblatt ausgerufen. Gut vier Wochen später warnte darin eine Überschrift schlicht: „Das Sowjetungeheuer“.

Wer im NS-gleichgeschalteten Wochenblatt der letzten Kriegsmonate 1944/45 blättert, dem springen die martialischen Überschriften entgegen. Während die Überschriften immer größer ausfielen, schrumpften die Wochenblatt-Ausgaben von Monat zu Monat. Pro Heft sind es zunächst noch ein dutzend Seiten, dann acht, im Winter und Frühjahr 1945 schließlich nur noch vier Seiten – und sie erschienen aus Papiermangel am Ende auch nur noch im Zwei-Wochen-Rhythmus.

"Rassestolz" und "Bluthege"

NS-Parteipropaganda fühllte einen erheblichen Teil der Seiten. Da war von „rassestolzem Volk“ und „Blutreinheit“ die Rede, von „rassebewusstem Bauerntum“ oder auch von „Bluthege“ – ein Wort, das letztlich radikalen Rasse-Antisemitismus meinte.

Fachbeiträge etwa über die Düngung der Wiesen, die Unfruchtbarkeit bei Milchkühen oder die Futtergrundlagen der Schweinemast finden sich durchaus in NS-Wochenblatt des letzten Kriegsjahres. Auch auf Steuertermine oder Marktpreise wird hingewiesen – zumindest für die wenigen Agrarprodukte, die es im Krieg noch auf einem halbwegs freien Markt gehandelt wurden.

Das Wochenblatt der Landesbauernschaft Westfalen war damals Teil der gleichgeschalteten Propaganda-Presse des "Dritten Reiches" und hatte zu schweigen: kein Bericht über den Vormarsch der Alliierten, keine Bilanz zur schlechten Ernte 1944 – und nur indirekt durfte der Luftkrieg erwähnt werden, wenn es galt, die Höfe, Scheunen und Ställe vor Bombenangriffen zu schützen.

Anzeige im NS-Wochenblatt vom März 1945 : Landtechnik wird als "Waffe" deklariert.. (Bildquelle: Wochenblatt)

Im Vordergrund standen das „Dritte Reich“ und die Partei, die Ideologie von „Blut und Boden“, von „Führer“, „Heil“ und „Endsieg“. Wie tief der Krieg in das Denken und die Sprache jener Zeit eingesickert war, zeigt das folgende Zitat. Ein Wochenblatt-Beitrag über den Umbruch der Wintersaaten beginnt im Frühjahr 1944 mit dem Satz: „Genau wie heute der Soldat in voller Ruhe ohne Hast und ohne falsche Eile selbst die schwierigsten Aufgaben meistert, genau so sollte kein Betriebsleiter sich zu früh mit dem Gedanken tragen, die nicht so gut wie in früheren Jahren stehenden Saatenfeldern umzubrechen.“

Diese Gleichsetzung von Wehrmachtssoldat und Bauer zählt noch zu den harmloseren Inhalten der NS-Kriegspropaganda im Wochenblatt des letzten Kriegsjahres. Ein besonders radikales Beispiel von Kriegshetze sei ebenfalls zitiert: „Der Krieg im Lichte rassisch-bäuerlichen Denkens“ lautet ein Text, in dem ein hoher Parteifunktionär, der Reichshauptstellenleiter Wilhelm Kircher (1898-1968) aus Bayreuth, im westfälischen Wochenblatt unter anderem ausführte:

„Die Bomben der Luftgangster bedrohen unser Volk täglich in Stadt und Land. Der Jude, der sie ausschickt, hat aber schon ein Jahrhundert planmäßig den Lebenswillen des deutschen Volkes zu zerbrechen und seine Rassenreinheit zu zerstören versucht. Er hat uns eine unserer Art nicht gemäße Lebenauffassung und einen im Grunde lebensfeindlichen Lebensgruß aufgeschwatzt. Dieselbe Rasse, die den heiligen Dienst am Acker, den der germanisch-deutsche Bauer als Treuhänder Gottes erfüllt, als Fluch bezeichnet, bezeichnet Kinderreichtum als Dummheit, rassische Verantwortung als überheblichen Imperialismus und rassische Zucht als Gotteslästerung.“

Nach dem Attentat auf Hitler

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 schrieb der Wochenblatt-Chefredakteur Lothar Wagner einen ganzseitigen Beitrag mit der Überschrift „Nun erst recht“. Er mündete in dem Appell: „Wir müssen den geplanten abscheulichen Verrat zum Anlass nehmen, noch mehr zu leisten, noch mehr zu arbeiten und noch mehr aufzubringen, um so zu unserem Teil Tag um Tag der Vorsehung den Dank dafür abzustatten, dass sie es offensichtlich mit dem Schicksal unseres Deutschen Volkes gut meint.“

Der westfälische NS-Landesbauernführer Ernst Kienker geißelte „die zunehmenden Einflüge der feindlichen Terrorflieger“ und forderte: „Deswegen muss die Abwehrbereitschaft auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb in der Luftschutzbereitschaft ihren Ausdruck finden.“ Außerdem schrieb Kienker den westfälischen Bauern ins Stammbuch, wem die – noch auf dem Halm stehende – Ernte eigentlich gehöre:

„Ich erwarte vom westfälischen Landvolk, dass in dem vorbeugenden Ernteschutz gegen die Feindeinwirkung keine geeignete Vorkehrung unterbleibt, denn der Ertrag der Ernte soll nicht nur die Ernährung für das kommende Jahr sichern, er ist zugleich Volksgut.“

Nach Steinhagen evakuiert
Das NS-Wochenblatt erschien seit 1933 im „Reichsnährstandsverlag – Zweigstelle Westfalen“ in Münster. Er hatte seinen Sitz lange Zeit zunächst an der Hammer Straße, dann bis 1944 an der Engelstraße, am Hauptsitz der Landesbauernschaft. Gedruckt wurde das Wochenblatt in den Kriegsjahren im „Zeitungsverlag für Westfalen“ in Bielefeld.
Aufgrund der Kriegseinwirkungen, vor allem nach mehreren Bombentreffern auf die Landesbauerschaft, wurde der Verlag mitsamt Redaktion und Anzeigenabteilung im November 1944 evakuiert. Die Adresse lautete fortan: 
„z. Zt. Steinhagen i. W.“, wie es in einer etwas versteckten Anzeige im Wochenblatt hieß. In Steinhagen wurden die provisorisch hergerichteten Räumlichkeiten einer ehemaligen Kornbrennerei bezogen. Vermutlich war der Ort auf Vermittlung des westfälischen, aus dem benachbarten Brockhagen stammenden NS-Landesbauernführer Ernst Kienker gewählt worden.

NS-Reichslandwirtschaftsminister Herbert Backe in der Uniform eines SS-Gruppenführers (Aufnahme vom 2. Juni 1942) (Bildquelle: Bundesarchiv Bild 183-J02034 / Wikimedia )

Eine „zerbrechende“ Welt und die "Kraft unserer Herzen"

Im Dezember 1944 druckte das NS-Wochenblatt unter der Überschrift „Höchstleistungen aus eigener Kraft“ auf fünf (!) eng bedruckten Seiten eine Rede des Reichslandwirtschaftsministers Herbert Backe ab, in der er „die Parolen zur Kriegserzeugungsschlacht“ für das kommende Jahr 1945 ausgab. Auch hier sagte die Sprache alles:

„Das hier durch das große Ringen Erzwungene wird einmal ein segensvoller und bleibender Bestandteil unserer Wirtschaftsführung im Frieden sein und damit unsere Höfe in sich noch stärker auf die eigene Kraft konzentrieren.“

Zu einem Zeitpunkt, als das halbe Land bereits besetzt war, als Tod, Zerstörung und Grauen allgegenwärtig waren, schrieb Backe: Es sei das vordringliche Ziel, „in einer zerbrechenden Welt das deutsche Volk zum Bannerträger einer neuen Welt zu machen“ – als hätte eine unbekannte Schicksalsmacht all die Gewalt, all die Zerstörungen angerichtet und den Krieg gegen Europa begonnen, der nun auf Deutschland zurückschlug...

Weiter schrieb Backe: „Der Vielheit der uns bedrückenden Lebenserscheinungen (wurde) die einfachste, letzte und größte Kraft zur Überwindung entgegengesetzt: unsere eigene Kraft, die Kraft unserer Herzen und die Kraft unseres Glaubens.“ Auch hier verlor Backe kein Wort darüber, wer die „uns bedrückenden Lebenserscheinungen“ verursacht hatte.

Landesbauernführer Kienker: „Der Tod wartet auf alle“

Ende März 1945, im Angesicht der Niederlage, mahnte der westfälische NS-Landesbauernführer Ernst Kienker die Landwirte, die Brotgetreidefläche zu erhalten, den Kartoffelanbau auszuweiten und den Gemüseanbau „besonders Massengemüse“ zu verstärken. Jeder einzelne sei „vor große Schwierigkeiten“ gestellt, „die durch Feindeinwirkungen in vielen Kreisen der Landesbauernschaft oft persönlich Mut und letzten Einsatz fordern“, so Kienker. Im Mittelpunkt seines Appells stand eine Botschaft, die im Wochenblatt grafisch auch noch besonders besonders hervorgehoben wurde. Kienker schrieb:

„Der Tod wartet auf alle Überlebenden eines verlorenen Krieges, auf die Männer, auf die Kinder, auf die Frauen und auf die Ungeborenen, auf Arbeiter, Bauern, Bürger und Soldaten, auf Nazis und solche, die dann vorgeben würden, es nie gewesen zu sein, auf Preußen und Ostmärker, auf Bayern und Westfalen, auf Evangelische und Katholische gleichermaßen wie auf die Gottgläubigen.“

Diese Gewalt- und Untergangsphantasien beschworen noch einmal den Ungeist der NS-„Volksgemeinschaft“. Sie sollten Angst und Schrecken verbreiten, aber auch die Bevölkerung bei der Stange halten.

" Jetzt organischen Landbau fördern"

Von jeder Realität abgelöst war schließlich die Forderung des Landwirtschaftsrates Dr. Leichsenring Mitte März 1945 im Wochenblatt. Rundherum heulten Sirenen, fielen Bomben, brannten Städte nieder, besetzten Soldaten von vier Mächten das Land, zogen Trecks von Flüchtlingen durchs Land – als jener Landwirtschaftsrat Leichsenring vorschlug, den „organischen Landbau“ auszubauen und die Kreislaufwirtschaft der Höfe „aus sich heraus“ zu stärken, um den Verlust wichtiger Versorgungsgebiete und den Mangel an mineralischen Nährstoffen und importierter Kraftfutter auszugleichen.

Leichsenring forderte den „sinnvollen Einsatz aller organischen Dungstoffe“ sowie den Anbau von Hülsenfrüchten. „Nur so wird die Gesundheit und Fruchtbarkeit unserer Böden einen neuen Auftrieb erfahren, und nur so wird es gelingen, das Ertragsniveau unserer Wirtschaften trotz verringerter Produktionsmittel auf der bisherigen Höhe zu halten“, argumentierte der Landwirtschaftsrat in völliger Verkennung der tatsächlichen Lage.

Das NS-Regime verbreitete noch die letzten Durchhalteparolen, da wehten vielerorts in Westfalen wie hier in einem Dort bei Olpe – bereits die weißen Fahnen.– (Bildquelle: National Archives, Washington / LWL)

Sieg um jeden Preis

Es gehe „um Leib und Leben“ – so war der anonym verfasste Leitartikel des NS-Wochenblatt vom 24.  März 1945 überschrieben. Das Land werde von Sowjets überrannt und laufe Gefahr, „dem bolschewistischem Ansturm“ zu unterlegen, es drohe „ein qualvoller und schmählicher Untergang“. Der Artikel endet mit dem Satz:

„Der Krieg fordert von uns den Sieg um jeden Preis. Das Blut, das um eine edle Sache vergossen wird, darf nicht im Acker verrinnen, sondern muss diesen düngen und fruchtbar machen.“

Aus heutiger Sicht klingen diese Sätze wie von irrem Wahn getrieben. Das waren sie wohl auch. Gleichwohl darf nicht unterschätzt werden: Sie waren niedergeschrieben in vollem Ernst, aus tiefster Überzeugung – und mit der entsicherten Waffe im Halfter. In einer Mischung aus Drohung, Blutkult und Todessehnsucht nahmen sie ein letztes Mal alle „Volksgenossen“ in Mithaftung und schworen sie darauf ein, ihr Leben zu „opfern“. Wie viele Landwirte das lasen und wie viele es angesichts des nahen Kriegsendes noch für bare Münze nahmen, ist kaum mehr zu klären.

Als die Waffen endlich schwiegen

Eine Woche später erschien die letzte Ausgabe des „Wochenblattes der Landesbauernschaft Westfalen“. Dann besetzten britische Militärs Anfang April 1945 das Land. Am 22. April 1945 erloschen in Westfalen die letzten Kämpfe,. Seit dem 8. Mai 1945 schwiegen im ganzen Land die Waffen. Die NS-Diktatur war besiegt und zusammengebrochen.

Kurz nach Kriegsende, im Frühsommer 1945, entstand diese Aufnahme in Ostbevern im Münsterland.