Alltag auf dem Land

Keine Behörde kennt die mündlichen Beinamen im Dorf

Einwohnermeldeämter verzeichnen jede Person mit ihrem Vor- und Familiennamen. Aber mündlich werden viele Personen und Familien im ländlichen Westfalen ganz anders genannt. Kennen Sie auch solche Beinamen?

Im ländlichen Westfalen haben viele Haushalte und deren Bewohner einen anderen Namen als den, der beim Einwohnermeldeamt bekannt ist. Nehmen wir zum Beispiel die 1200 Einwohner zählende Gemeinde Holzhausen bei Hille im Kreis Minden-Lübbecke. Kaum jemand redet dort von der Familie Niemann, sondern von „Schmöls“. Die Kleimanns heißen im Dorf Dirs, Familie Huneke ist unter dem Beinamen „Finken Hinnerks“ bekannt. Und wer in Holzhausen aufgewachsen ist, der weiß auch, wer sich hinter Namen ­verbirgt wie „Isaaks“, „Kluten“, „Ham“, „Scheim“ oder „Muck Weitenbur“.

Lange Namenketten

Für fast jede Familie, die in einer der rund 200 Haus- und Hofstätten in dem ostwestfälischen Dorf lebt, ist ein solcher Nenn-Name oder auch Beiname in Umlauf. Der langjährige Archivar Eberhard Brandhorst hat sie dort und im benachbarten Nordhemmern gemeinsam mit Heimatfreunden zusammen­getragen. In Nordhemmern gibt es mehr als 300 Hausstätten, etwa zwei Drittel tragen Beinamen oder Spitznamen wie Südmars, Fehtmars, Bollacken Bösken, Schniets und Schlierns.

In den Nachbardörfern Holzhausen und Nordhemmern sind auch Namenketten in Umlauf wie Hessentimmermann, Schmölslutgens oder Schwierschauster. Hinzu kommen Doppelnamen wie Niermars-Disker, Scheim-Borcherding oder Benten-Hurmann. Unnötig zu sagen, das die Träger dieser Doppelnamen im „richtigen“ Leben einen anderen, dritten Namen im Personalausweis stehen haben...

Wer sich kennt, nennt sich beim Beinamen

Beinamen, in der Regel mündlich weiter­gegeben, gibt es vielerorts im ländlichen Westfalen. In der Fachsprache werden sie als „inoffizielle Personennamen“ bezeichnet. Sie können aus vielerlei Gründen entstanden sein:

  • Die einen sind aus verballhornten Vornamen hervorgegangen.
  • Andere erinnern an frühere Familien oder Eigentümer eines Hofes.
  • Wieder andere erinnern an einen alten, längst untergegangenen Namen der Hofstätte - oder sind die niederdeutsche Variante des Familiennamens.
  • Manche sind auch aus Spott entstanden, dessen Hintergründe vielleicht längst vergessen sind.

Sicher ist: Solche Beinamen werden in der Regel von Menschen verwendet, die sich in einem vertrauten Kreis austauschen. Die Beteiligten kennen sich gegenseitig gut und lange,

  • weil sie miteinander verwandt sind,
  • weil sie als Nachbarn nebeneinander wohnen und arbeiten oder
  • weil ihre Familien seit Generationen im Ort leben.

Mitunter kennen und verwenden auch langjährige Geschäftspartner wie etwa Viehhändler, ländliche Kaufleute oder Marktbeschicker die mündlichen ­Beinamen. Wer sie einflechten kann, signalisiert Nähe – sie erleichtern das wechselseitige Verständnis, den Austausch und den Ausgleich.

Unter dem Strich galt – und gilt – also die ungeschriebene Regel: Die sich kennen, können sich nennen. Und die sich nicht beim Beinamen ­nennen können, kennen sich auch nicht, gehören zumindest nicht zum innersten Kreis eines Dorfes oder ­einer Bauerschaft.

Welche Beinamen gibt's bei Ihnen?

Sind bei Ihnen auch solche mündlichen Beinamen geläufig – ­etwa für Ihre Familie, Ihren Hof, für Nachbarfamilien oder andere Personen? Wie heißen sie „wirklich“? Verbindet sich vielleicht eine ­besondere Geschichte mit dem mündlichen Beinamen?

Schreiben Sie uns – wir werden die Namen und Geschichten sammeln und eine Auswahl im Rahmen dieser Wochenblatt-Serie veröffentlichen.


Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben
Stichwort: Beinamen im Dorf
Postfach 49  29
48028 Münster
E-Mail: redaktion@wochenblatt.com

Wenn Sie mehr über die mündlichen Beinamen auf dem Land erfahren möchten:

Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags erscheint im WOCHENBLATT FÜR LANDWIRTSCHAFT UND LANDLEBEN in dieser Woche (Fogle 27 vom 2. Juli 2020) in der Artikelserie über die Hof- und Familiennamen.

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