Eine Bushaltestelle mitten auf dem Land. Der Fahrplan zeigt: Nächste Abfahrt in drei Stunden. Da nehmen viele Landbewohner dann doch lieber das Auto.
Gut ausgelastet stellen öffentliche Verkehrsmittel eine klimaschonende Alternative zum Auto dar. In der Regel fahren sie allerdings unflexibel, selten und fern des eigenen Zuhauses ab. Der klassische Linienverkehr scheint als Konzept für abgelegene oder dünn besiedelte Gebiete deshalb nicht aufzugehen – weder wirtschaftlich, noch in Anbetracht der hohen Kosten für die Umwelt.
Daher werden derzeit von vielen Seiten neue Mobilitätskonzepte getestet. Einige Beispiele aus Westfalen stellen wir vor.
Lasten übers Land befördern
Ein großes Problem von öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Transport von vielen oder großen Gegenständen. Das Projekt „Überlandrad“ der Landfrauen Lübbecke, in Zusammenarbeit mit den Initiativen LandEi mobil und OWL mobil, soll dem Abhilfe schaffen: Drei elektrische Lastenräder stehen an Stationen im Mühlenkreis zum Abholen bereit.
Nutzer können sich online registrieren und ein Rad bis zu drei Tage lang kostenlos ausleihen. In den Boxen der Räder ist ausreichend Platz für einen Großeinkauf oder den Transport eines Kindes. Mit voll geladenem Akku können bis zu 150 km zurückgelegt werden. „Wir wollten den Menschen im ländlichen Raum die Möglichkeit geben, Lastenräder auszutesten und die schöne Gegend im Mühlenkreis zu erkunden“, erklärt Doris Fleer, Ortsvorsitzende der Landfrauen Lübbecke.
Das Projekt finanziert sich durch Förderungen des Landes NRW. Wartungen an den Rädern werden durch Spenden gedeckt. Diese führt ein ortsansässiger Fahrradmonteur in den Wintermonaten kostengünstig durch. Zu dieser Zeit können die Räder nicht geliehen werden. Im Sommer sind die Fahrräder fast immer entliehen, vor allem von Familien. „Wir sind selbst sehr erstaunt, wie gut das Angebot angenommen wird“, sagt Fleer.
Kleiner Bus auf Abruf
Immer häufiger bieten Gemeinden und Städte sogenannte „On-Demand-Angebote“, zu deutsch „Auf-Nachfrage-Angebote“, an. Durch diese wollen sie Leerfahrten vermeiden, die Umwelt schonen und Flexibilität schaffen.
Ein Beispiel hierfür sind die „Holibris“ in Höxter. 1300 Haltepunkte sind über die Ortsteile Höxter, Bosseborn, Lütmarsen und Ovenhausen verteilt. Per Anruf, Web oder App kann eine Fahrt gebucht werden. Die geräumigen Vans sammeln Fahrgäste vom Wunschort ein und bringen sie zu einem bestimmten Ziel. Die Shuttles können von „jetzt sofort“ bis zu zwei Wochen vor der Fahrt geordert werden. Etwa alle 200 m findet sich in den Bediengebieten ein Haltepunkt. Nach Möglichkeit legt das System Fahrtwünsche von Fahrgästen zusammen, um Ressourcen zu schonen. Außerdem fahren alle Holibris mit 100 % Ökostrom. Sie ersetzen in Höxter derzeit vier Buslinien. Im Vergleich zu diesen sparten die Shuttles im vergangenen Jahr 20 t CO2ein.
Die Holibris sind in den regulären Westfalen-Tarif eingebunden. Eine Fahrt kostet genau so viel, wie eine mit dem „normalen“ Bus. Fahrgäste mit vorhandenen Abos und Tickets können diese auch für die Holibris einsetzen. Für das dreijährige Modellprojekt hat das Land NRW 1,5 Mio. € zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr nutzen etwa 57.000 Fahrgäste den Service. Ende 2023 entscheidet die Politik, wie es weitergeht.
Ähnliche Konzepte gibt es im Oldenburger Münsterland mit „moobil+“, im Kreis Soest mit dem „Helmo“, im Rhein-Erft-Kreis mit „mobies“ sowie in vielen weiteren Kreisen und Städten. Die Angebote unterscheiden sich zum Beispiel darin, ob sie in den normalen ÖPNV-Tarif eingebunden und wie spontan sie gebucht werden können.
Fahren ohne Fahrer?
Geforscht wird derzeit auch daran, wie zukünftig Autos automatisiert über Land fahren können – also ganz ohne Fahrer. Ein Leuchtturmprojekt ist das „DEmandäR-Projekt“ in dem die Stadtwerke Menden, die Stadt Arnsberg und die Technische Universität Dortmund zusammenarbeiten.
DEmandäR steht für „Datenbasierte Empfehlungen für das automatisierte Fahren in der ländlichen Region“. Klingt kompliziert, ist aber im Grunde simpel: Seit August 2022 fährt ein mit Sensoren ausgestattetes Messfahrzeug ein Jahr lang immer wieder eine ausgewählte Strecke. Die Frage: Wie wirken sich Regen, Schnee, Nebel und Laub auf die Sensoren und Kameras aus? Die Sensoren sammeln Daten dazu, wie die Fahrzeuge auf Landstraßen, Feldwegen und in Gewerbegebieten zurechtkommen – und damit im ländlichen Raum.
Die Ergebnisse der Untersuchungen werden nach Abschluss des Projekts Ende 2024 auch veröffentlicht. Das NRW-Verkehrsministerium unterstützt das Projekt mit 480.000 €.
E-Roller dauerhaft ausleihen
Seit 2019 sind E-Roller bzw. E-Scooter auf deutschen Straßen zugelassen. Seitdem haben sie sich, vor allem in Großstädten, als Fortbewegungsmittel etabliert. Die elektrischen Roller erreichen maximal eine Geschwindigkeit von 20 km/h. Der Fahrende muss außerdem mindestens 14 Jahre alt sein. In größeren Orten bieten verschiedene Firmen Mietroller an, die zumeist in den Innenstädten verteilt sind. Mittels App erfährt der Ausleihende die Position der verfügbaren Roller im Umkreis. Nach der Fahrt verbleibt der entliehene Roller am Zielort.
Auch auf dem Land könnten Scooter von Nutzen sein, um zum Beispiel ohne lange Fußmärsche oder Auto zur Haltestellen zu gelangen. Denn wer einmal ins Auto gestiegen ist, bleibt dort meist sitzen und nutzt den ÖPNV nicht mehr. Das Problem der Leihroller: In dünn besiedeltem Gebiet funktioniert das Konzept „Abholen und stehen lassen“ nicht gut.
Das „Bürgerlabor mobiles Münsterland“ (BüLaMo) hat daher ein anderes System geschaffen: Dauerleihroller. Für einen Probezeitraum von drei Monaten durften 20 Menschen vom Land im vergangenen Sommer einen E-Roller kostenlos ausleihen. Danach wurden sie zu ihrer Nutzung befragt. Heraus kam:
- Mehr als zwei von drei Befragten nutzen den Scooter mehrmals in der Woche.
- Anfangs gaben die Befragten an, vor allem Fuß- und Radwege durch Fahrten mit dem E-Roller zu ersetzen. Im Laufe des Experiments nutzten einige diese auch als Alternative zum Auto.
- Häufig wurde der Scooter für den Weg zur Arbeit und/oder zur Bushaltestelle genutzt.
Inwiefern diese Umfrageergebnisse zu öffentlichen Angeboten von Dauerleihrollern führen könnten, ist bislang offen.
Ein Fahrrad für „Landeier“
Das Auto stehen lassen und trotzdem mobil sein – das geht auch mit dem Fahrrad, oder noch besser: mit einem elektrischen Fahrrad. In der Anschaffung sind E-Bikes jedoch hochpreisig. Der Kreis Minden-Lübbecke hat sich deshalb für Landeier etwas einfallen lassen: das „EiBike“.
Dieses kann zum „EiTicket“ dazu gebucht werden. Letzteres ist ein Ticket, das sieben Kommunen aus dem Westen des Kreises verbindet. Es kostet derzeit 38 € monatlich. Das „EiBike“ kann für weitere 43,50 € als Leasing-Fahrrad hinzu gebucht werden. Dies soll Löcher in Fahrplänen _stopfen. Auch Strecken zu Haltestellen des ÖPNVs können überbrückt und das E-Rad kostenlos in Bus und Bahn mitgenommen werden – vorausgesetzt der Platz in den Verkehrsmitteln reicht aus.
Mit dem Pedelec sind Nutzer mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h unterwegs. Ein Vorteil: Das „EiBike“ ermöglicht zeitlich ungebundenes Fahren, ohne etwaige Kreis- oder Landesgrenzen.
Das Land-Ei-mobil-Projekt wurde vom Kreis Minden-Lübbecke finanziert und mit etwa 230.000 € durch das Land NRW gefördert. Der Projektzeitraum lief von 2017 bis 2021. Das Angebot besteht aber noch.
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