Mein Haus, mein Boot, mein Transrapid

Weil ihn Bahnlärm auf dem Schulweg störte, erfand Hermann Kemper die Magnetschwebebahn. Nun hat sein Urenkel den letzten Transrapid ersteigert und dorthin gebracht, wo alles begann: nach Nortrup im Osnabrücker Land.

Einige Mitarbeiter des Fleischwarenherstellers Kemper haben seit Ende letzten Jahres eine zusätzliche Aufgabe: den Umbau eines ausgemusterten Transrapids. Die ehemaligen Sitzreihen der Magnetschwebebahn werden ausgebaut und halten als moderne Bürostühle wieder Einzug. Die Mechatronik-Azubis des Nortruper Unternehmens sind mit der Neuinstallation der Innenbeleuchtung beschäftigt. Ein Teil des Zuges wird zur Teeküche umgerüstet.

Verantwortlich für diese ungewöhnliche Arbeitserweiterung ist Dr. Wolfgang Kühnl, 37, Firmengeschäftsführer und Urenkel von Transrapid-Erfinder Hermann Kemper. Kühnl hatte die Magnetschwebebahn im November 2016 für 200.001 € vom Bund ersteigert. In einer spektakulären Transportaktion wurden die drei insgesamt 75 m langen und etwa 170 t schweren Sektionen des Transrapids TR 09 vergangenen Herbst vom Testgelände im Emsland nach Nortrup befördert. Nun stehen sie direkt vor dem Verwaltungsge­bäude der Firma auf einer eigens gegossenen Betontrasse und harren ihrer neuen Nutzung als Konferenz- und Ausstellungsräume.

Transrapid im Vorgarten: Die etwa 70 m lange Betontrasse wurde eigens für die Magnetschwebebahn errichtet. (Bildquelle: Schröder)

Wurstfabrikant mit Vision

Doch von Beginn an: „Die Geschichten des Transrapids und der Firma Kemper sind auf das Engste verknüpft“, erzählt Kühnl, der das Familienunternehmen mit 1350 Mitarbeitern leitet. Vor mehr als einem Jahrhundert fuhr sein Urgroßvater Hermann Kemper stets mit der Bahn von Nortrup zur Schule nach Quakenbrück. Vibration und Lärm der damaligen Bahntechnik störten ihn allerdings immens. Nach Ende des Ersten Weltkrieges und im Anschluss an ein Elektrotechnik-Studium hatte er den Geistesblitz, Züge mittels Elektromagneten zum Schweben zu bringen. Jahrelang forschte der Sohn des Firmengründers an dem Einfall, baute Versuchsstände in der Unternehmenswerkstatt auf und meldete schließlich 1934 das Patent an. Seine Magnetschwebebahn war die grund­legende Erfindung, die die Entwicklung des Transrapids ermöglichte. „Klassische Fleischproduktion und Hochtechnologie schließen sich nicht aus“, fasst Kühnl den Werdegang seines Urgroßvaters und der Firma zusammen. „Umso schöner, dass wir die Technik dahin zurückholen konnten, wo alles begann.“

Endstation Nortrup

Nachdem sich Wolfgang Kühnl bei der Auktion gegen acht Mitbieter durchgesetzt hatte – das zweithöchste Gebot lag bei 120.000 € –, war gute Planung gefragt. Drei Monate bereitete sich die Transportfirma auf die Nacht vom 13. September 2017 vor. Auf Spezial-Tiefladern wurden die drei Teilsektionen des Transrapids vom Versuchsgelände in Lathen in das rund 60 km entfernte Nortrup transportiert. Ursprünglich gebaut für Geschwindigkeiten bis zu 450 km/h, ging es für den Transrapid auf seiner letzten Fahrt im Schneckentempo durch das Emsland. Verkehrsschilder mussten abgebaut werden, zwischen Zug und Brücken lagen teils nur wenige Zentimeter. Rund acht Stunden war der Tross unterwegs, mit Be- und Entladen etwa 30 Stunden. Die Kosten der Gesamtaktion schätzt Kühnl auf noch einmal 200.000 €, wobei der Löwenanteil für die neue Betontrasse anfiel.

Gelebte Geschichte

Mit der Heimkehr der Erfindung können auch die Mitarbeiter heute an einem Stück Firmengeschichte teilhaben. Zwei der Zugsektionen werden zu Schulungs- und Konferenzräumen umgebaut und sind direkt mit dem Verwaltungsgebäude der Firma verbunden. Hier halten auch die alten Sitze in neuer Form sowie die Teeküche Einzug.

Der Innenraum des Transrapids erinnert stark an den ICE. 2019 soll diese Sektion als Museum für die Öffentlichkeit geöffnet werden. (Bildquelle: Schröder)

Die dritte Sektion bleibt dagegen im Originalzustand und wird – erweitert um einen Anbau – als „Hermann Kemper Museum“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ebenfalls integriert wird in diesen Zugteil ein Werksverkauf.

Kempers Erfindung lebt aber nicht nur im Museum weiter. Auch wenn sich die Magnetschwebebahn in Deutschland nicht durchsetzen konnte, findet der Kern der Erfindung weit über den Transrapid hinaus Anwendung. So nutzt ThyssenKrupp in der neuen Aufzugsgeneration die Technologie. Statt durch ein Stahlseil werden die sogenannten „Multis“ elektromagnetisch geführt. Der Vorteil: Die Kabinen horizontal wie vertikal fahren, Fahrtzeiten verkürzen sich, ein Umsteigen in sehr hohen Gebäuden entfällt.

Das Aus einer Idee?
Der 2007 von ThyssenKrupp gebaute Transrapid TR09 war der letzte Prototyp, der auf der Emsländer Teststrecke in Lathen unterwegs war. Der fahrerlose Zug war eigentlich für den Pendelverkehr von München zum Münchner Flughafen geplant. Nach drastischen Kostensteigerungen und einem schweren Unfall auf der Teststrecke im Jahr 2006 wurden die Planungen für die Magnetschwebebahn 2008 gestoppt und der Testbetrieb 2011 eingestellt. Der Transrapid ist in Deutschland im regulären Personenverkehr nie zum Einsatz gekommen. Aktuell wird er nur in Schanghai im Regelbetrieb ein­gesetzt. Die Baufirma Max Bögl hat jedoch jüngst die Entwicklung einer Schwebebahn mit Magnetbahntechnik für den Nahverkehr verkündet – vielleicht das Comeback der Technik.