„Für den Kreis Höxter hat sich ein landwirtschaftlicher Kreis-Verein gebildet.“ Diese Worte eröffnen die Gründungssatzung des Landwirtschaftliche Kreisvereins Höxter, genehmigt 1837 durch den preußischen Oberpräsidenten Ludwig von Vincke.
Damals entstanden überall in Westfalen solche Kreisvereine. Sie verstanden sich nicht als Interessenverband, sondern waren halbstaatliche, von der preußischen Agrarverwaltung unterstützte Vereine, die sich vor allem der Ausbildung in der Landwirtschaft und ihrer Förderung, etwa durch Mustervorführungen oder Ausstellungen, verschrieben hatten. Aus ihnen gingen die Hauptvereine etwa für das Münsterland oder das Paderborner Land hervor, die sich später im „Provinzialverein“ für Westfalen und Lippe zusammenschlossen und 1899 zur Gründung der Landwirtschaftskammer führten.
"Vermehrung des Wohlstandes der Landbewohner"
Zweck des Kreisvereins Höxter war die „Beförderung der Sittlichkeit, Verbesserung und größere Vervollkommung der Kultur und Industrie und dadurch bedingte Vermehrung des Wohlstandes der Landbewohner des Kreises“, so stand es in § 1 der Satzung. Die Gründungsmitglieder von 1837 in Höxter waren – wie überall in Westfalen jener Jahre – einflussreiche, zumeist adlige Männer, die große Güter besaßen: von Metternich, von Bömelburg, von Haxthausen zu Abbenburg und Bökendorf oder von Bocholtz-Asseburg, um einige Namen beteiligter Freiherren zu nennen. Hinzu kamen Bürgermeister und Amtsräte. Aber wer war Levi Lilienthal?
Dieser Name findet sich wie selbstverständlich neben all den anderen Honoratioren, die den Kreisverein Höxter ins Leben riefen. Lilienthal zählt zu einer Gruppe von Personen, die überall im Land ihre Spuren hinterlassen hat und deren Geschichte doch nur wenig bekannt und kaum erforscht ist: Lilienthal war jüdischer Landwirt.
Levi Lilienthal, geboren am 3. September 1810 in Steinheim, war der Sohn des dortigen Kaufmanns Lippmann Lilienthal und dessen Ehefrau Johanna, geb. Katzenstein. Der junge Levi erlebte mit, wie sein Vater in den 1820er- und 1830er-Jahren gemeinsam mit anderen Bauern des Ortes Grundstücke kaufte oder pachtete.
1839 erwarb sein Vater den Paradieshof in Steinheim. Diesen großbäuerlich wirkenden Landsitz hatte der Paderborner Fürstbischof mehr als hundert Jahre zuvor, 1729, als Amtshof für seinen Rentmeister errichten lassen. Der Paradieshof liegt außerhalb des alten Stadtkerns, unmittelbar vor der mittelalterlichen Stadtmauer neben dem Windtor. Zum Hof gehörten damals ein Wohnhaus, eine Branntweinbrennerei, eine Scheune sowie 21 ha Wiesen, Weiden und Ackerland. Lilienthal senior bewirtschaftete mit einem Knecht den landwirtschaftlichen Betrieb, blieb aber weiterhin auch als Kaufmann tätig.
1844 übernahm sein Sohn Levi Lilienthal das Erbe und erwarb weitere 9 ha hinzu. Doch der Sohn muss zuvor schon landwirtschaftlich aktiv gewesen sein. Anders ist seine prominente Rolle bei der Gründung des Landwirtschaftlichen Kreisvereins Höxter kaum zu erklären.
Gegen Hagel versichern?
Wenige Jahre später, 1855, eröffnete Lilienthal in Steinheim eine Vertretung der „Kölnischen Hagelversicherungs-Gesellschaft“. Heute klingt das wenig aufregend, schließlich ist in jedem kleineren Ort in Westfalen ein Versicherungsbüro zu finden. Damals aber war schon das Prinzip einer Versicherung auf dem platten Land nahezu unbekannt. Gegen Hagelschäden zündete man Kerzen an und sprach Gebete. Die moderne Idee, sich gegen das Risiko zu versichern, musste erst mühselig vermittelt und erlernt werden.
Zu den frühen Vermittlern auf dem Land gehörte Lilienthal. Damit betätigte er sich ganz im Sinne des jungen Kreisvereins. Schließlich war es dessen Ziel, die „Auffindung von Mitteln zur Erhebung und Verbesserung des gesamten Landwirtschafts- und Betriebswesens“ anzustreben, wie es in § 2 der von Lilienthal unterzeichneten und wohl auch mitverfassten Satzung des Kreisvereins hieß.
Lilienthal war zwei Mal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit der aus Steinheim gebürtigen Bertha Weiler ging der 1845 geborene Sohn Albert hervor. Nach ihrem Tod heiratete Lilienthal die aus Rheda stammende Philippine Rosenberg. 1855 wurde ihre Tochter Philippine geboren.
Der "Oeconom" in Minden
Sechs Jahre später gab Levi Lilienthal die Landwirtschaft in Steinheim auf. Die Gründe sind unbekannt. Die Hofstelle verkaufte er an die Steinheimer Bauernfamilie Wiethaup, die Ländereien an einen Gutspächter.
Die Eheleute Lilienthal verzogen nach Minden. Dort starb Philippine Lilienthal am 8. Dezember 1875, Levi Lilienthal gut zehn Jahre später am 28. August 1886.
Dass er sich zeitlebens nicht als Kaufmann und Händler, sondern zuallererst als Landwirt gesehen hatte, geht noch aus den Mindener Meldeunterlagen hervor. In ihnen hatte er, etwa für die „Volkszählung vom 1. Dezember 1880“, sich als „Oeconom“ eintragen lassen – die damals übliche und angesehene Berufsbezeichnung eines Landwirts.
Aus Anlass des Fest- und Gedenkjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ beleuchtet das Wochenblatt in diesem Online-Schwerpunkt das Themenfeld „Jüdisches Landleben in Westfalen“.