Bestatterin erzählt

Lernen, den Tod zu begreifen

Bestatterin Susanne Jung ist überzeugt: Dadurch, dass viele Berufskollegen fast alle Aufgaben für die Hinterbliebenen erledigen, nehmen sie ihnen die Chance sich von dem Verstorbenen zu verabschieden.

"Sie müssen sich um nichts kümmern. Ich erledige alles für Sie.“ Diese Sätze hören viele Angehörige, wenn sie mit einem Bestatter die Beisetzung eines Angehörigen besprechen. Möglicherweise sind die Hinterbliebenen erleichtert, dass jemand anderes in ihrer Trauer diese Aufgaben für sie erledigt. Möglicherweise wird ihnen damit eine Last von den Schultern genommen. Aus Sicht von Bestatterin Susanne Jung aus Berlin bedeuten diese Sätze aber vor allem eines: Die Hinterbliebenen verlieren die Chance, sich mit dem Tod der geliebten Person auseinanderzusetzen und tatsächlich zu begreifen.

Besondere Arbeitsweise

Seit 10 Jahren ist Susanne Jung als Bestatterin tätig ist. Früher ist sie viel durch die Welt gereist. In Deutschland arbeitete sie einige Jahre als Vergoldemeisterin. Durch persönliche Erlebnisse begann sie schließlich, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Zunächst war sie ehrenamtlich als Sterbebegleiterin in einem Hospiz tätig. Später wagte sie den Schritt, sich als Bestatterin selbstständig zu machen. Damals war sie Mitte 40.

Wer einen Todesfall in der Familie hat und ihre Nummer wählt, weiß, dass sie eine besondere Art hat, die Toden zu bestatten. Ihr geht es nicht um die reine Abwicklung von Formalitäten und Abläufen. Sie möchte die Verstorbenen ebenso wie die Angehörigen begleiten. Die Art und Weise, wie sie das tut, wirkt auf den ersten Blick befremdlich, vielleicht sogar verstörend: Susanne Jung bindet die Hinterbliebenen in alle Abläufe ein.

Toten gemeinsam waschen

Sofern sie es wünschen, wäscht die Bestatterin die Toten gemeinsam mit den Hinterbliebenen. Sie nimmt sich die Zeit, den Leichnam gemeinsam mit ihnen anzuziehen und zwar mit den Kleidungsstücken, die die Angehörigen selbst ausgewählt haben. Viele ihrer Kunden wissen nicht, dass es möglich ist, dem Verstorbenen seine eigenen Sachen anzuziehen.

Susanne Jung glaubt, dass die meisten ihrer Berufskollegen den Hinterbliebenen diese Möglichkeit gar nicht erst aufzeigen, geschweige denn, dass sie ihnen anbieten, den Toten selbst anzuziehen. „,Wie lange soll das denn bitte dauern?’, denken viele Bestatter. Wenn sie das Ankleiden alleine erledigen, geht es schließlich viel schneller“, ist sich Susanne Jung bewusst.

Tod ist ein Übergang

Doch auch wenn es aus rein praktischen Gesichtspunkten unsinnig erscheint: Susanne Jung ist davon überzeugt, dass es für Hinterbliebene wichtig sein kann, die Stunden und Tage nach dem Tod bewusst zu erleben; zu sehen, wie der Körper sich verändert; mitzubekommen, wie der Verstorbene zum Toten wird, wie sie es beschreibt.

„Der moderne Mensch sagt: ,Wenn ich tot bin, bin ich tot.’ Doch wenn ich an Gott oder an irgendetwas anderes glaube, dann ist der Tod nur ein Übergang. Dass das so ist, spürt jeder, der einen Toten in den Stunden nach seinem Tod begleitet.“ Nicht umsonst war es früher üblich, Tote aufzubahren und eine dreitägige Totenwache abzuhalten, ist sie überzeugt.

„Tu dir das nicht an!“

Die Vorstellung, mit einem Toten in einem Raum zu sein, ihn gar zu berühren, flößt jedoch vielen Menschen Angst ein. Vor allem, wenn die betreffende Person schwer krank war oder bei einem Umfall ums Leben gekommen ist, lautet der einhellige Ratschlag daher häufig: „Tu dir das nicht an!“ Susanne Jung vertritt eine andere Ansicht.

Entscheidend ist, dass die Angehörigen, auf das, was sie zu sehen bekommen, gut vorbereitet werden. „Liegt ein Patient schwer verletzt im Krankenhaus, erklärt der Arzt schließlich auch, in welchem Zustand sich die Person befindet. Genau so sollte es bei einem Toten sein.“ Sie selbst erklärt den Angehörigen, dass der Körper kalt ist. Dass es in Ordnung ist, ihn zu berühren. Und dass sie sich an die Gegenwart des Toten gewöhnen werden, was tatsächlich geschieht.

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