Anne Ordelheide hatte gerade ihren Gesellenbrief als Raumausstatterin in der Tasche, da packte sie ihre Koffer. „Warum ins Nachbardorf, wenn man in ein anderes Land gehen kann“, dachte sich die damals 21-Jährige, die auf einem Bauernhof in Brockhagen aufgewachsen ist. Schweden sollte die erste Station sein. Auch Kanada stand auf der Wunschliste. Doch schon nach vier Jahren landete sie wieder auf einem Bauernhof – diesmal nicht im Kreis Gütersloh, sondern im Süden Schwedens. Über diese Wendung muss Anne Thylén bis heute lachen. Sie nimmt es gelassen, dass die Tour um die Welt so schnell beendet war. Denn „schuld“ war ihr späterer Mann Ola. Als sie ihn kennen lernte, hatte sie gerade ihre Stelle in Helsingborg gekündigt und einen Arbeitsvertrag in Liechtenstein unterschrieben. Er dagegen hatte just den Hof seiner Eltern übernommen.
Zwei Jahre hielten sie per Brief und Telefon Kontakt. Anfang 1998 kam Anne zurück und richtete sich auf dem Hof eine Werkstatt ein.
Wurzeln und Weite
„Damals war mir schon bewusst: Hier wird mein Leben sein“, sagt die heute 46-Jährige. Sie mag es, wenn Platz ist und „mehr Natur zwischen den Menschen“. All das hat sie auf dem Hof in der leicht hügeligen Landschaft Schonens, der südlichsten Provinz Schwedens. Die 500 m bis zum Briefkasten fährt sie mit dem Fahrrad. Bis nach Svalöv, dem nächsten Ort, sind es 5 km. Dort gibt es alles, was man für das tägliche Leben braucht. Lund und Helsingborg sind jeweils eine halbe Autostunde entfernt.
Von außen wirke das Leben in Schweden entspannt, sagt Ola Thylén. Doch viele Familien steckten in einem engen Zeitkorsett. Oft arbeiten beide Eltern in Vollzeit. Kitas sind mindestens von 6 bis 18 Uhr geöffnet. Der Unterricht geht meist bis 16 Uhr. Anschließend stehen noch Musik und Sport auf dem Plan.
„In dem Rhythmus wollten wir nicht mit“, sagt Anne Thylén. Erik, Nils und Svea – heute 20, 18 und 16 Jahre alt – waren nur ein Jahr vorm Schulbeginn im Kindergarten. „Das ging, weil wir beide zu Hause arbeiten.“ Nils und Svea besuchen zurzeit das Gymnasium in Lund. Erik arbeitet eigentlich als Landmaschinenmechaniker, leistet aber gerade seinen neunmonatigen Wehrdienst ab. Alle drei sind zweisprachig aufgewachsen.
Ihre Werkstatt hat Anne Thylén in einem alten Stallgebäude untergebracht, neben einer kleinen Wohnung für Gäste und der Haferheizung, die den Hof mit Wärme versorgt. Der Ertrag von einem Hektar wird jedes Jahr verfeuert.
Die Raumausstatterin – ihren Meister hat sie 2003 in Schweden gemacht – arbeitet Sofas und Sessel auf. Gardinen fertigt sie kaum. „Da haben es die Schweden nicht so mit.“ Während der Ernte schließt sie, um auf dem Hof zu helfen.
Weizen, Raps und Bohnen
Ola Thylén bewirtschaftet rund um den Hof 120 ha. Die Böden gehören zu den besten des Landes. In guten Jahren liegen die Weizenerträge bei 100 dt/ha. Fast alle Arbeiten erledigt der 51-Jährige selbst. Gerste, Ackerbohnen und Weizen werden zur Hälfte gemahlen und als Trockenfutter an die 650 Mastschweine verfüttert. Den Rest und den Raps verkauft die Familie.
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Wer von den Kindern in Zukunft auf dem Hof leben wird, ist noch nicht klar. Ebenso wenig, in welchem Umfang dann Landwirtschaft betrieben wird. Aktuell sind die Preise niedrig und die Vorgaben hoch. Große Bauernproteste gibt es trotzdem nicht. „Der Schwede fährt nicht mit Mist nach Stockholm“, erklärt Anne Thylén. „Er schreibt Leserbriefe.“
Auch das sei ein Beispiel dafür, dass in Schweden viel diskutiert werde und Entscheidungen möglichst im Konsens fielen. Anne Thylén erlebt das auch im Kirchenchor und im Gartenverein.
Eltern und Enkel
Olas Mutter stammt ebenfalls aus Deutschland, aus Lippe. Heute lebt sie im Dorf. In Schweden verkaufen Eltern ihren Hof an die jüngere Generation und ziehen dann aus. Der Draht ist trotzdem eng. Lebendig ist auch die Verbindung nach Westfalen. Als Erik, Nils und Svea kleiner waren, packte Anne sie in den Sommer- und Herbstferien ins Auto. Jetzt machen sich die Enkel schon mal allein auf die achtstündige Fahrt zu den Großeltern. Häufig im Gepäck haben sie danach Kürbis-Sämereien. Großeltern und Onkel vermarkten ihre Ernte in Brockhagen im großen Stil. Das Trio aus Schweden bietet ihre Kürbisse am Briefkasten an. Das klappt seit 15 Jahren. Die Kunden bezahlen per Handy.
Renate (70) und Wilken Ordelheide (79) reisen gern im Juni zum Mittsommerfest. Dann feiern die Schweden mit Freunden, frischen Kartoffeln und Erdbeeren, Hering und einem Schnaps. Ostern dagegen ist ein Familienfest – mit bunten Federn in frischen Zweigen und Eiern, die der Hahn bringt.
{{::tip::standard::Zimtschnecken und Kekse
Ein traditioneller schwedischer Kaffeeklatsch hat eigene Spielregeln. Neben dunkel geröstetem Kaffee werden nach und nach verschiedene Kuchen und Kekse gereicht. Den Anfang macht Hefegebäck, zum Beispiel die bekannten Zimtschnecken. Danach folgt ein Rührkuchen, oft mit Früchten, anschließend eine Keks-Auswahl – traditionell mit sieben verschiedenen Sorten. Zum Abschluss kommt die Torte auf den Tisch, von der sich jeder selbst ein Stück abschneidet.::}}