Alter Brauch zu Neujahr
Kuchen aus der Glut
Um den Jahreswechsel ist die Zeit der Neujahrskuchen. Altes Eisen kommt dann mit frischem Teig zusammen. Zum Backen versammeln sich auf vielen Höfen im Münsterland ganze Familien rund ums Feuer.
Hans Knöpker freut sich schon auf das Fest nach dem Fest. Wenn Weihnachten vorbei und das neue Jahr noch nicht da ist, trifft sich seine ganze Familie. Auf dem Stammhof in der Bauerschaft Hollich, die zu Burgsteinfurt gehört, wird dann im alten Backhaus Feuer gemacht. Von morgens um 8 bis abends um 22 Uhr bleibt die Glut heiß. Abends ist Teig von rund einem Zentner Mehl zu knackigen Neujahrskuchen verbacken.
„Es ist ein Kommen und Gehen“, sagt Hans Knöpker, der mit neun Geschwistern auf dem kleinen Hof aufgewachsen ist. 40 bis 50 Personen kommen kurz vor Silvester zusammen: seine Geschwister, Nichten und Neffen und zum Teil auch deren Kinder. Jede Familie bringt Teig mit und nimmt die fertigen Kuchen mit nach Hause.
Anstrengung muss sein
Das Backen ist eine schweißtreibende Angelegenheit. Viele Familien nutzen ein altes Herdfeuer oder spezielle Öfen, die nur einmal im Jahr angefeuert werden. Dabei verbrennt das Holz auf einem Rost, die Glut fällt nach unten. Dort wird das Eisen dann eingelegt.
Die Kucheneisen haben die Form einer riesigen Kneifzange. Die beiden Griffe sind rund 1 m lang. Sie halten zwei kreisrunde Eisenplatten mit einem Durchmesser von etwa 15 cm. Zwischen diese packen die Bäcker den Teig und drücken das Eisen anschließend fest zusammen. Dann legen sie das Eisen in die Glut und bereiten schon die nächste Portion vor.
Die langen Stiele sind mit Stoff umwickelt. „Man muss aufpassen, dass man sich die Finger nicht verbrennt“, erklärt Hans Knöpker. Das gilt besonders, wenn nach einer knappen Minute der Kuchen gut ist. Hartgesottene lösen ihn mit den Fingern heraus, andere nehmen ein Messer. „Danach schlägt man die Neujahrskuchen auf dem Knie platt.“
Die Stadt der 1000 Eisen
Hans Knöpker, der dieses Jahr 70 geworden ist, kennt die Tradition nicht nur von der praktischen Seite. Der stellvertretende Vorsitzende des Heimatvereins Burgsteinfurts hat sich auch mit der Geschichte der Kucheneisen beschäftigt – gemeinsam mit einer Gruppe Ehrenamtlicher, die sich für das Stadtmuseum engagieren. Allein in Burgsteinfurt und den zugehörigen Bauerschaften hat der Heimatverein über 1000 Eisen verzeichnet.
Eines der ältesten stammt aus dem Jahr 1662. Auf der einen Seite zeigt es ein Blumenornament, auf der anderen Seite die Jahreszahl und die Namen der beiden, die damals heirateten. Kucheneisen waren ein beliebtes Hochzeitsgeschenk. So kam in vielen Familien über die Jahrhunderte eine stattliche Sammlung zusammen.
Einst ein Fastenbrauch
Volkskundler gehen davon aus, dass die Tradition einst im gesamten Münsterland verbreitet war und auf mittelalterliche Fastenbräuche zurückgeht. Das legen auch die ältesten Eisen nahe, auf denen zum Beispiel ein Osterlamm zu sehen ist.
„Die alten Eisen backen aber nicht mehr so gut“, weiß Knöpker, der über 50 Jahre bei der Post gearbeitet hat. Die 8 bis 10 mm dicken Platten nutzen sich ab. Die eingeschlagenen Muster lassen sich auf den Kuchen dann kaum noch erkennen.
Anders ist das bei den neuen Eisen, die immer noch produziert werden. Zwei Schmiede aus Burgsteinfurt verstehen sich noch heute auf das alte Handwerk. Und mancher talentierte Heimwerker legt auch selbst Hand an. So wie Hans Knöpker. Als er vor 45 Jahren heiratete, baute er ein Eisen. Mit dem Meißel schlug er neben Namen und Hochzeitsjahr auch das Symbol der Goldschmiede ein. Denn diesen Beruf übt seine Frau Heide bis heute aus.
Tochter und Schwiegersohn haben zur Hochzeit auch ein Eisen bekommen. Jetzt wollen sie noch die Geburtsdaten ihrer beiden Kinder eingravieren lassen.