Bis Januar war Kerstin Bethge noch nie auf einer Demonstration und angemeldet hatte sie schon gar keine. Anfang Februar hat sich das geändert. Die 48-Jährige organisierte in ihrem Heimatort Lienen im Kreis Steinfurt zwei Demos. Das Motto: „Impfen statt schimpfen“.
Gegen-Signal in Lienen
Kerstin Bethge geht es wie vielen, die mitmachten. Sie wollte ein Zeichen gegen die „Spaziergänge“ setzen, die auch in Lienen stattgefunden haben. Gut 80 Menschen gingen bei Kerstin Bethges erster Demo mit, eine Woche später waren es 60. Der Bürgermeister hielt eine kurze Ansprache, erinnerte an die vielen Infizierten im Ort und appellierte an die Solidarität.
„Ich bin keine Befürworterin der Impfpflicht“, sagt Kerstin Bethge. „Ich hoffe auf Freiwilligkeit“, betont die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Aber aus ihrer Sicht führe nur die Impfung aus der Pandemie. Ihre Kinder hätten auf vieles verzichten müssen, zum Beispiel die Feier nach dem Abitur. „In dem Alter sollten sie losgehen und Spaß haben.“
Schmähungen in sozialen Medien
Kerstin Bethge teilte ihren Aufruf zur Demo über die sozialen Medien und die Lokalzeitung. Über WhatsApp erhielt sie viel Zuspruch. „Bei Facebook musste ich mir einiges anhören.“ „Armselig“ sei noch eine harmlosere Äußerung gewesen.
In Lienen zog die private Initiative von Kerstin Bethge. Andernorts riefen Parteien und Kirchen, Vereine und Verbände zu Demos und Kundgebungen auf. Sie luden ein zu Menschenketten für ein solidarisches Miteinander, starteten Petitionen und schrieben offene Briefe. Die Botschaft: „Wir sind mehr“.
Solidarisch in Beckum
In Beckum im Kreis Warendorf rief ein Bündnis von Fraktionen und Kirchengemeinden Anfang Februar zu einer Solidaraktion an der Propsteikirche auf. Mehr als 500 Bürgerinnen und Bürger folgten dem Appell. Propst Rainer B. Irmgedruth hielt auf Wunsch der Kommunalpolitiker eine kurze Ansprache. Abgestimmt hatte sich der katholische Geistliche mit den weiteren Gemeinden beider christlichen Konfessionen, aber auch den Arabisch und Türkisch sprechenden Moscheegemeinden. Er gedachte derer, „die durch eine Covid-Infektion ihr Leben verloren haben“. In Beckum waren es bis Ende Januar 40 Verstorbene.
Mehr gegenseitiger Respekt
Irmgedruth rückte aber auch die in den Fokus, die „in ihrer Arbeit im Krankenhaus, in Arztpraxen, Senioreneinrichtungen oder Kindergärten und Schulen an vorderster Front stehen“. Er mahnte zu gegenseitigem Respekt. „Lasst uns vor der Dunkelheit des Hasses unsere Herzen bewahren und aller Feindseligkeit absagen.“
Ob er eine Zerrissenheit innerhalb der Stadtgesellschaft spüre? Das sei zu viel, sagt Irmgedruth. „Aber es gibt Polarisierungen, die bis in die Familien reichen.“
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