Pinsel, Papier, Farbe und ein Glas mit Wasser – das sind die Materialien, die ein Aquarellmaler gemeinhin benötigt. Auf dem Tisch von Marlis Mörker steht ein weiteres Utensil: eine Sprühflasche, die üblicherweise bei der Wäsche- und Blumenpflege zum Einsatz kommt. Die freischaffende Künstlerin aus Bramsche bei Osnabrück benötigt den Wassersprüher für ihre gestalterische Arbeit: Sie hat sich eine spezielle Art des Aquarellierens angeeignet, die erst durch den Sprühstrahl aus der Flasche funktioniert.
Spezielle Aquarelltechnik
„Gesteuerter Zufall“ nennt Marlis Mörker diese Maltechnik. „Das Bild wird nach dem Auftragen der Farbe gezielt mit Wasser benetzt“, schildert sie die Arbeitsweise. Demonstrativ greift die kreative Frau zur Sprühflasche und setzt beherzt zwei Wasserstöße auf ein aktuelles Werk. Ein spannender Moment, nicht nur für den Zuschauer, sondern vor allem für die Malerin selbst. Denn je nach Sprührichtung und Wassermenge verläuft die Farbe mehr oder weniger zufällig und bringt überraschende Effekte.
„Einfach nur Farbe aufzutragen, wäre mir zu langweilig“, gesteht Marlis Mörker. Nach dem Sprühen zwingt sich die Künstlerin hinauszugehen: „Sonst wäre ich versucht, in den Prozess einzugreifen. Und das täte dem Bild nicht gut.“ So aber entstehen zarte Farbverläufe und gezielte Unschärfen, die einen Teil des Motivs in den Hintergrund rücken und es räumlich wirken lassen.
Ob in aufspringender Knospe, in voller Blüte oder im morbiden Zustand des Welkens – Blumen sind das erklärte Lieblingsmotiv von Marlis Mörker. Insbesondere Rosen kann die Gartenliebhaberin nicht oft genug aufs Papier bringen. Immer wieder hält sie die verschiedenen Blütestadien mit feinen Pinselstrichen fest – und das in so perfekter Weise, dass der Betrachter den Blütenduft nahezu wahrzunehmen glaubt. Oder ist es nur der zarte Luftzug aus dem Garten, der durch das geöffnete Fenster ins Atelier hineinweht?
Blüten, Stillleben, Landschaft
Ihre Liebe zu Blumen verdankt Marlis Mörker den Eltern: „Mein Vater war Förster, meine Mutter leidenschaftliche Hobbygärtnerin. Sie vermittelten mir schon früh ein Gespür für die Schönheit der Natur“, blickt sie zurück. Die Audiodidaktin möchte aber nicht auf Blumenbilder reduziert werden. Stillleben und Tierbildnisse gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie Landschaften, die sie auf Reisen oder in der Heimat entdeckt.
Das Talent zum Malen steckt offenbar in ihren Genen. Bereits ihr Patenonkel verdiente seinen Lebensunterhalt als Maler in den Niederlanden. „Ich schaute ihm als Kind oft beim Malen mit Ölfarben zu und versuchte mich selbst an einfachen Motiven“, erinnert sich Marlis Mörker an die inspirierenden Besuche des Onkels. Öl- und Acrylfarben wurden jedoch nie zu ihrer Leidenschaft: „Ich liebe leichte, pastellige Motive vor zartem Hintergrund. Dafür sind die schweren Farbpasten ungeeignet.“
Dass die Aquarelltechnik im Gegensatz zur Ölmalerei kaum Korrekturen zulässt, nimmt Marlis Mörker gerne in Kauf. Mit geübter Hand und gereiftem Malerblick hat sie inzwischen Hunderte Rosen, Rittersporne, Margeriten, Fingerhüte, Hortensien und andere Blüten porträtiert – herrlich frisch und transparent, fast so, als würde die Sonne hindurchscheinen.
Zwischen Musik und Malerei
Beinahe wäre die Malerei indes ins Hintertreffen geraten. Denn bis zum 25. Lebensjahr besuchte die begabte Klavierspielerin das Konservatorium in Osnabrück. Dort begegnete sie ihrem späteren Ehemann, den Gitarristen Siegfried Mörker, mit dem sie mittlerweile 50 Jahre verheiratet ist. Viele Jahre musizierte das Paar öffentlich. Die Malerei verlor Marlis Mörker dabei nie aus den Augen, sondern pflegte sie im „stillen Kämmerlein“. Vor 25 Jahren, die einzige Tochter war erwachsen, fasste die Pianistin schließlich den Entschluss, sich voll der Kunst zu widmen.
In Seminaren bei namhaften Aquarellkünstlern experimentierte die feinsinnige Frau mit Farben und Papier, ließ sich von anderen Malern inspirieren und verfeinerte ihre Technik. Inzwischen gilt sie selbst als Meisterin ihres Fachs: Vor zehn Jahren gewann die Mitbegründerin der Deutschen Aquarellgesellschaft den Wettbewerb „Die schönsten Rosenbilder“ des NDR. Und der renommierte österreichische Aquarellmaler Heinz Hofer schrieb ihr unlängst in eines seiner Bücher die Widmung: „Für die beste Rosenmalerin der Welt“.
Motive im Schuhkarton
Das Malen ist ein „Fulltime-Job“ für Marlis Mörker. Jeden Vormittag zieht sie sich in ihr Atelier zurück. An warmen Tagen setzt sich die Naturliebhaberin zum Aquarellieren auch gerne in den Garten, der an den Hasesee grenzt. Wer meint, dass sie die Blumen dort direkt aufs Papier bringt, irrt. „Die Blüten und Lichtverhältnisse verändern sich viel zu schnell“, stellt sie klar. Vielmehr greift die Künstlerin auf einen Fundus von über 600 Fotos zurück, den sie in einem Schuhkarton aufbewahrt. „Während ich ein Bild male, denke ich bereits über das nächste nach“, berichtet die schaffensfrohe Frau. Ihre Malutensilien hat sie selbst auf Reisen dabei. „Flug LH1“ und „Flug LH2“ hat sie bezeichnenderweise zwei Aquarelle betitelt, die auf dem Weg in die USA entstanden sind.
Mitunter arbeitet die Freiberuflerin mehrere Wochen an einem Bild. „Es ist wichtig zu erkennen, wann ein Motiv fertig ist. Ein Pinselstrich zu viel – und das Bild kippt“, betont die erfahrene Malerin. Jeden Abend nimmt sie ihr aktuelles Werk mit ins Wohnzimmer, um es immer mal wieder aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
„So stelle ich fest, ob und wo noch Farbe fehlt“, erklärt sie und verrät: „So mancher Tipp kommt dabei von meinem Mann.“ Der ist längst zu ihrer rechten Hand geworden: Er kümmert sich um das Rahmen der Bilder, katalogisiert die Werke, erstellt aus den Motiven Postkarten und einen Jahreskalender, bereitet Ausstellungen vor und betreut die Homepage.
Bilder für Schwerkranke
Die meisten Aquarelle verkauft Marlis Mörker. „Doch bevor es soweit ist, muss ich mich von ihnen ‚abnabeln‘“, schmunzelt sie. Wie das geschieht? „Die Bilder dürfen noch eine Weile im Haus oder in Ausstellungen hängen und werden von meinem Mann fotografiert, bevor ich sie abgebe“, berichtet die Künstlerin. Etliche Bilder hat sie an Palliativstationen gespendet. „Die Aquarelle bescheren den Schwerkranken wertvolle Glücksmomente“, weiß die feinfühlige Bramscherin, die auf die Idee kam, als ihr Cousin auf einer ebensolchen Station lag.
Marlis Mörker steckt voller Ideen und Schaffensdrang. Kraft und Inspiration findet sie im Garten, beim Klavierspielen und auf Reisen. Ans Aufhören verschwendet die agile Frau nicht den geringsten Gedanken. „Ich habe noch so viele Motive, die ich malen möchte. Da bleibt keine Zeit zum Älterwerden“, stellt sie augenzwinkernd klar. Der pickepacke volle Schuhkarton mit Fotos enthält in der Tat noch Stoff für viele meisterhafte Pinselstriche.