Ländlicher Raum

Hürden für Vereine

Offene Posten im Vorstand, viel Bürokratie und ein verstaubtes Image – auch abseits von Corona steht mancher Verein auf dem Land vor Hürden.

Der Schützenoberst will schon seit Jahren das Amt abgeben. Die Fußballjugend findet keinen Trainer mehr und bei der Blaskapelle verwaltet die Vorsitzende notgedrungen die Kasse mit. Solche und ähnliche Fälle gehören zur Realität mancher Dörfer. Es fehlt der Nachwuchs an Verantwortungsträgern.

Das untermauert eine Studie des Stifterverbandes aus dem Jahr 2018. Mehr als jeder fünfte Verein, 22 %, in Dörfern und kleinen Gemeinden in Deutschland verzeichnet einen Rückgang der Engagierten. Für viele Vereine in Westfalen ist das ein fernes Wetterleuchten. Über manche brauen sich aber auch abseits von Corona dunkle Wolken zusammen.

Weniger Zeit für Vereine

Nicht neu ist, dass viele Menschen ihren Heimatort zur Arbeit verlassen. In NRW überquerten vor Corona mehr als die Hälfe der Erwerbstätigen die Grenzen ihres Wohnortes. Vor allem auf dem Land pendeln sie nicht selten mehr als eine Stunde. Es fehlen Zeit und Muße, sich parallel zum Job und der Familie zu engagieren.

Der klassische Acht-Stunden-Tag mit klarer Trennung zwischen Arbeit und Freizeit verschwindet. Arbeit am Abend, mehrtägige Dienstreisen und eine ständige berufliche Erreichbarkeit lassen kaum mehr Platz im Terminkalender für den Verein. Der lebt aber davon, dass Menschen sich zur gleichen Zeit engagieren – sei es beim Training, in der Chorprobe oder der Vorstandssitzung.

Das trifft auf eine schrumpfende und alternde Bevölkerung in manchen ländlichen Regionen. Immer weniger Schultern sollen das gleiche Angebot stemmen. Ein vereins­unabhängiges Freizeit- und Kulturangebot kommt konkurrierend hinzu. Oft lässt es sich individueller und flexibler nutzen.

Die größte Sorge des Gewählten ist: Wie werde ich den Posten wieder los?

Manche Vereine kämpfen auch mit einem verstaubten Image. Zum Beispiel gelten die Schützenvereine als ein trinkfreudiger Männerbund in Uniform. Soziales Engagement, falls vorhanden, wird meist übersehen. Es herrscht eine Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Das belegt eine Studie zum Schützenwesen in Westfalen. Ähnliches lässt sich auch auf Heimatvereine und Männergesangsvereine übertragen, meint Jonas Leineweber, einer der Autoren. Der Nachwuchs bleibt so aus und der Rückhalt im Ort bröckelt.

Ein sinkendes Interesse an Vorstandsposten beobachtet Hans-Werner Gorzolka, Kreisheimatpfleger des Kreises Höxter. Oft ­gebe es gerade mal noch einen Kandidaten für offene Ämter. „Die größte Sorge des Gewählten ist: Wie werde ich den Posten wieder los?“, spitzt er zu. Manche Vorstände haben den Generationswechsel aber verschlafen. Platzhirsche blockieren bis heute Posten. Zu oft herrschen starre Hierarchien anstatt gelebter Teamarbeit.

Über Projekte begeistern

Den Königsweg für mehr Engagement gibt es nicht. Oft sind es aber kleine Stellschrauben, an denen sich drehen lässt. „Jüngere Menschen wollen sich nicht weniger engagieren, nur anders“, meint ­Jonas Leineweber. Der Kulturwissenschaftler forscht an der Universität Paderborn zu den Traditionsvereinen.

Menschen zwischen 16 und 30 Jahren wüssten heute meist nicht, was sie in den nächsten zwei Jahren machen. Wer lässt sich dann schon für vier Jahre in den Vorstand wählen? Wichtiger sei es, junge Menschen über Projekte für die Vereins- und Vorstandsarbeit zu gewinnen. Diese Aufgaben bräuchten einen klaren Anfang und ein klares Ende.

„Jüngere Menschen wollen sich nicht weniger engagieren, nur anders“


Nicht zu unterschätzen sind digitale Angebote. Eine ständig aktuelle und zeitgemäße Vereinshomepage ist eine wichtige Eintrittspforte, die Neugierde weckt und Vorurteile abbaut. Gerade jetzt in der Pandemie erleben digitale Konferenzen einen Durchbruch und machen vieles flexibler. Wer die Vorstandssitzung per Videocall anbietet, hält nicht nur heimat­verbundene Studierende bei der Stange. Das bedeutet gleichzeitig, ältere Vorstandsmitglieder damit vertraut zu machen.

Digitale Lösungen können aber nicht alles ersetzen. Der Hauptteil der Vorstandsarbeit findet vor Ort statt – sei es beim letzten Geleit eines verstorbenen Mitgliedes oder der Arbeit am Vereinsheim. Belebend für die Vereine im Dorf kann die direkte Ansprache von Zu­gezogenen sein.

Denn häufig gilt die Formel: Wer sich integrieren möchte, engagiert sich. Junge Eltern, die entweder eine neue Landlust oder ein erschwinglicher Bauplatz aufs Dorf zieht, finden über Angebote für ihre Kinder – sei es im Sport- oder Musikverein – Anschluss und lassen sich so in den Betreuerstab oder sogar in den Vorstand einbinden. Im sauerländischen Amecke veranstalteten die Vereine 2019 einen „Tag der offenen Vereinstür“, um gezielt Neubürger anzusprechen.

Keine Hobbybürokraten spielen

Manchen schreckt vom Vorstandsposten die zunehmende Bürokratie ab, weiß Hans-Werner Gorzolka, Kreisheimatpfleger des Kreises Höxter. Ausgeweitete Regeln im Kinder- und Jugendschutz, verschärfte TÜV-Prüfungen sowie ­Auflagen bei Festen und die neue Datenschutzgrundverordnung ergeben im Einzelfall Sinn.

In der Summe lassen sie den ein oder anderen direkt abwinken, wenn es um einen Platz im Vorstand geht. Hinzukommt die Verantwortung für Sportanlagen, Vereinsheime und Schützenhäuser. Dabei möchten die Engagierten Aufgaben ausüben, die mit der Mission des Vereins im Einklang stehen, und keine Hobbybürokraten spielen.

Feste Ansprechpartner in den Kommunen für die Vereine und deren bürokratische Hürden können dabei helfen. Oft lassen sich so Lösungen auf dem kleinen Dienstweg finden. Wichtig ist, dass diese Stellen begleiten und nicht bevormunden. Denn die Vereine wissen meist am besten, wo der Schuh im Ort drückt, sagt Hans-Werner Gorzolka. Beim Kreis Höxter macht sich gerade die „Geschäftsstelle Ehrenamt“ auf den Weg. Sie soll Hilfestellung rund ums Ehrenamt anbieten.

Ein engerer Austausch der Vereine im Ort und darüber hinaus erleichtert vieles. Kirchturmdenken und Rivalitäten gehören zu den Akten gelegt. Gemeinsame Kurse zum Vereinsrecht, ein engerer Austausch der Vorstände bis hin zur gemeinsamen Homepage für alle Vereine im Ort bieten sich an. Die Dörfer brauchen lebendige Vereine. Vor allem in kleinen Orten ohne Schule und Kneipe sind sie meist das letzte Stück Eigenständigkeit.

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