Um die Tragweite der Debatte um Sinn oder Unsinn von Homöopathie zu verstehen, lassen Sie uns mit Tim Mälzer starten. Der bekannte TV-Koch führte vor einigen Jahren durch die ARD-Verbrauchersendung „Lebensmittel-Check“. Zu Gast war damals der Bremer Gesundheitswissenschaftler Dr. Gerd Glaeske. Am Rande der Unterhaltung äußerte sich Glaeske auch zu Homöopathie. Bei allen homöopathischen Mitteln, so Glaeske, fehle ein Wirksamkeitsnachweis. Diese Aussage hatte für Glaeske juristische Konsequenzen. Er wurde von der deutschen Homöopathie-Firma Hevert abgemahnt.
Interessanterweise produziert eben dieses Unternehmen Hevert auch für den US-amerikanischen Markt. In den USA müssen homöopathische Mittel mit einem Hinweis gekennzeichnet werden, der übersetzt in etwa lautet: „Für die Wirksamkeit gibt es keine akzeptierten medizinischen Belege.“ Die Firma Hevert verteilt in Deutschland also eine Abmahnung für eine Aussage, die sie in den USA auf ihre eigenen Verpackungen schreiben müssen. Wie kann das sein? Und: Was stimmt? Gibt es medizinische Belege für die Wirksamkeit – oder eben nicht? Antworten finden sich vor allem in der Chemie und in den Untiefen des deutschen Arzneimittelgesetzes.
Chemisch ohne Wirkung
Von positiven Erfahrungen mit homöopathischen Mitteln hat fast jeder schon einmal gehört oder sie persönlich erlebt: Das Kind, das dank Nux vomica den Magen-Darm-Infekt schneller als gewöhnlich überstand. Der Hund, dessen Blasenentzündung sich nach der Gabe von Cantharis rasch besserte. Oder die Prellung, die nach ein paar Arnica-Globuli nicht so anschwoll, wie befürchtet.
Was sich sicher sagen lässt: Auf die Wirkstoffe der Präparate lassen sich diese Erfahrungen nicht zurückführen. Denn chemisch betrachtet können Homöopathika gar nicht wirken, da ab einer gewissen Potenz schlicht kein Wirkstoff mehr drin ist. Die Homöopathie geht jedoch davon aus, dass mit steigender Potenz auch die Wirksamkeit des Mittels steigt. Salopp ausgedrückt: Je weniger Wirkstoff vorhanden, desto besser die Wirkung. Im besten Fall wird nur die Information des Wirkstoffes übertragen. Das bestreiten auch homöopathische Hersteller, Verbände und Ärzte nicht. So schreibt der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte in einem Statement zur Studienlage: „Ein pharmakologischer oder physikalischer Wirkmechanismus für homöopathische Arzneien ist bis heute nicht bekannt.“
Verdünnen und klopfen
Die chemische Wirkungslosigkeit begründet sich konkret durch das homöopathische Herstellungsverfahren, das sogenannte Potenzieren. Bei diesem speziellen Verdünnungs- und Verschüttelungsverfahren durchläuft der ursprüngliche Wirkstoff, die homöopathische Lehre spricht von „Urstoff“, verschiedene Verdünnungsreihen – wie viele genau, verrät die Potenz. In unserem Beispiel soll eine D24-Potenz hergestellt werden. Heißt: Der Urstoff wird 24-mal um das Zehnfache („D“ für das lateinische Wort Decem, zehn) verdünnt. Dies läuft in etwa so ab: In einem ersten Schritt werden 100 g Urstoff in 1000 ml Wasser (oder Alkohol) aufgelöst. Wird diese Lösung anschließend zehnmal auf einen harten, aber elastischen Untergrund aufgeschlagen – die Homöopathie spricht hier von Schüttelschlägen, die bestmöglich in Richtung Erdmittelpunkt ausgeführt werden sollten –, handelt es sich um eine D1-Lösung. Dann werden von der Lösung 900 ml abgegossen, die verbliebenen 100 ml in ein neues Gefäß umgefüllt und wieder mit Wasser auf 1000 ml aufgefüllt, zehnmal geklopft – und fertig ist die D2-Potenz. Um eine D24-Potenz herzustellen, heißt es also 24-mal: 900 ml abgießen, umfüllen, wieder auf 1000 ml auffüllen und zehnmal klopfen.
Das Problem: Ein Urstoff lässt sich nicht unendlich weit verdünnen, weil es Atome gibt. Irgendwann ist in der immer wieder verdünnten Lösung einfach kein Molekül des Urstoffes mehr drin. Ab Potenzierungen vom Faktor 24 wäre ein mehrfacher Lotto-Gewinn in Millionenhöhe wahrscheinlicher, als auch nur ein Molekül des Wirkstoffs in einer homöopathischen Arznei zu finden. Oder bildlich gesprochen: Eine D24-Lösung entspricht einem Tropfen Urtinktur im Volumen des Atlantiks.
Ebenso wie das Prinzip des Potenzierens ist auch das homöopathische Grundprinzip, das „Simile-Prinzip“, umstritten.
Das Simile-Prinzip
Vor gut 200 Jahren hat Samuel Hahnemann die Homöopathie begründet. Der Arzt, Apotheker und Chemiker lehnte viele der damals gängigen medizinischen Verfahren wie den Aderlass ab. Er kritisierte fehlende Wirksamkeit und häufige Nebenwirkungen. Als Alternative entwickelte er das „Simile“-Prinzip, die Grundidee der Homöopathie. Der Leitgedanke, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, lässt sich in etwa so erklären: Nur wenn eine Substanz beim Gesunden die gleichen Symptome auslöst, die der Kranke zeigt, ist es das richtige Mittel. Homöopathie sucht also nicht nach einem Mittel gegen Kopfschmerzen, sondern nach einem Stoff, der genau die Art von Kopfschmerzen auslöst, die den Patienten plagen. Bei der Wahl des richtigen Mittels soll laut Hahnemann auch der „gemütlich und geistige Charakter“ des Patienten berücksichtigt werden – was im Grunde eine ausführliche Anamnese bedeutet.
Der die Homöopathie begründende Selbstversuch Hahnemanns wirft allerdings bis heute Fragen auf. Seine Ähnlichkeitsregel stellte Hahnemann nach der Einnahme von Chinarinde auf. Chinarinde, ein eigentlich fiebersenkendes Mittel, löste bei Hahnemann selbst einen beschleunigten Puls aus, den er als Fieberzeichen deutete. Diese für ihn paradoxe Reaktion brachte ihn zu seinem Simile-Prinzip. Hahnemanns Fieberreaktion nach der Einnahme von Chinarinde konnte bis heute allerdings in keinem Versuch reproduziert werden. Wahrscheinlicher ist, dass Hahnemann allergisch reagierte oder sich sein Puls in Erwartung einer Reaktion beschleunigte – als Placeboeffekt gewissermaßen.
Wirkt Homöopathie?
Wenn chemisch keine Wirkung möglich ist, womit lassen sich die positiven Erfahrungen mit Homöopathie dann erklären? Immerhin setzen viele Menschen große Hoffnung in Homöopathika, 60 % der Deutschen haben schon einmal Globuli und Co. ausprobiert. Die schlichte wie einfache Antwort: Mögliche Wirkmechanismen lassen sich nicht erklären. So schreibt selbst die DHU, ein großer Homöopathie-Hersteller, auf ihrer Website: „Den zugrunde liegenden Wirkmechanismus für diese Regulationsfunktion homöopathischer Arzneimittel können wir allerdings bis heute nicht erklären.“
Es könnte natürlich theoretisch sein, dass der Nachweis für die Wirksamkeit von Homöopathie nur noch nicht gefunden worden ist. Allerdings müsste Homöopathie dafür wirken. Die wissenschaftliche Studienlage spricht hier jedoch eine eindeutige Sprache: Die allermeisten Studien bestreiten eine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinaus geht. Studien, die dies zu widerlegen scheinen, können sogenannten Meta-Analysen regelmäßig nicht standhalten. In Meta-Analysen werden die Ergebnisse vieler größerer und relevanter Studien untersucht. Anschließend wird eine Art Fazit gezogen, das den aktuellen Forschungsstand zeigt.
Für die Homöopathie wurden weltweit immer wieder solche Meta-Analysen durchgeführt (bereits 1997 im Fachmagazin „Lancet“ oder 2017 im Fachmagazin „Systematic Reviews“). Die Ergebnisse lauten in unterschiedlichen Nuancen immer ähnlich: Studien, die der Homöopathie positive Effekte über den Placeboeffekt hinaus nachweisen, fehle es an wissenschaftlicher Relevanz, da sie sich entweder auf zu wenige Teilnehmer stützten oder qualitativ schlecht durchgeführt worden seien. Es gebe keine Krankheit, gegen die eine Wirkung nachgewiesen werden könne.
Eine Aussage, der sich auch alle großen rund 50 deutschen medizinischen Fachgesellschaften anschließen: Dass Homöopathie wirkt, sagt keine einzige der anerkannten Fachgesellschaften. Dies wird tatsächlich nur von Homöopathen selbst vertreten. Und das auch mit Einschränkungen.
So sagte Dr. Jens Behnke im Rahmen eines Vortrages wörtlich: „Es gibt keine einzige Indikation, zu der mehr als eine hochwertige Studie nach härtesten Kriterien vorliegt. Also insofern hat die Homöopathie-Kritik recht, wenn sie sagt: Es gibt keine Erkrankung für die felsenfest nachgewiesen wäre, dass es besser ist als Placebo, das ist richtig.“ Das Spannende hierbei: Behnke ist Sprecher der selbst ernannten „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie“ und Programmleiter für Integrative Medizin bei der Carstens-Stiftung, die ihrerseits das Ziel verfolgt, die Homöopathie zu fördern. Kurzum: Behnke ist Homöopathie-Lobbyist und ganz sicher kein kritisch-distanzierter Beobachter des Themas.
Ein Superplacebo?
Es bleibt festzuhalten: Alle wissenschaftlichen Studien können keine Wirkung nachweisen, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Selbst Homöopathie-Sprecher Behnke stimmt dieser Kritik zu. Trotzdem beobachten Behandelnde und Patienten positive Effekte nach der Gabe von homöopathischen Mitteln. Ein Widerspruch? Keinesfalls. Denn die beobachteten Behandlungsresultate sind gut erforscht. Sie lassen sich auf den Placeboeffekt sowie Kontexteffekte zurückführen.
So können der gemeinsame starke Glaube von Therapeut und Patient an die Wirksamkeit der verschriebenen Mittel unterstützend und heilend wirken. Das gilt auch für Säuglinge und Tiere, deren positive Krankheitsverläufe vielfach als vermeintlicher Beleg für die Wirksamkeit von Homöopathie angeführt werden. Wenn die Behandelnden – seien es Ärzte, Eltern oder Tierhalter – an die Therapieform glauben, treten sie mit einer gewissen Haltung und Ausstrahlung den Patienten gegenüber auf – ob Baby oder Kuh. Allein das Verabreichen und die Art und Weise, wie das geschieht, hat einen wissenschaftlich belegten Effekt.
In der Behandlung nehmen sich Ärzte viel Zeit für das Krankheitsbild der Patienten. Gerade in der Anamnese fragen sie nach, hören zu und kommen schließlich zu einer klaren Empfehlung. Der Effekt: Patienten fühlen sich ernster genommen und besser beraten.
Viele Krankheiten heilen zudem über die Zeit auch einfach so. Nachdem die Beschwerden erst stärker werden, nehmen sie von selbst wieder ab – mit genauso wie ohne Globuli.
Meinungen statt Daten
Bleibt noch die Frage nach der Abmahnung des eingangs zitierten Wissenschaftlers. Zu Erinnerung: Er bemängelte den fehlenden Wirksamkeitsnachweis für Homöopathika. Wissenschaftlich betrachtet ist diese Aussage haltbar. Rechtlich allerdings nicht. Und das begründet sich durch die Sonderlocken des deutschen Arzneimittelgesetzes. Das deutsche Arzneimittelgesetz wurde 1976 reformiert. Bis dato mussten Medikamente lediglich registriert werden. Ein Nachweis über Wirkung oder mögliche Nebenwirkungen war nicht nötig. Die Arzneimittelreform ersetzte die rein formelle Registrierung durch ein Zulassungsverfahren, nach dem die Hersteller Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer Arzneimittel wissenschaftlich nachweisen müssen. Das gilt für alle Medikamente. Mit Ausnahme der „besonderen Therapierichtungen“.
Die besonderen Therapierichtungen – hierzu zählt neben der Homöopathie auch die Pflanzenheilkunde sowie die anthroposophische Medizin – erkämpften sich Ausnahmen bei der Reform, die noch heute gelten. Danach müssen die meisten homöopathischen Mittel nicht wie andere Medikamente zugelassen, sondern nur registriert werden. Diese Verfahren sollte eigentlich mit der Reform ausgemerzt werden. Ein Wirksamkeitsnachweis wird nicht gefordert.
Wirksam via Punktesammeln
Eine Zulassung sowie ein Wirksamkeitsnachweis ist immer dann erforderlich, wenn ein homöopathisches Mittel beansprucht, gegen ein bestimmtes Leiden zu helfen. Das ist zum Beispiel bei „Meditonsin“ der Fall, das gegen Erkältungsbeschwerden helfen soll. Im Gegensatz zu Medikamenten, deren Wirksamkeitsnachweis sich auf wissenschaftliche Studien stützen muss, gelten für homöopathische Mittel jedoch andere Standards. Im homöopathischen Zulassungsverfahren werden Punkte für „Erkenntnismaterial“ vergeben.
Als Wirksamkeitsnachweis für die Besserung von Symptomen einer leichten Krankheit reichen beispielsweise zwei Punkte, zur unterstützenden Behandlung einer schweren Krankheit bedarf es vier Punkte. Für bis zu acht Erkenntnispunkte müssen sich Homöopathen lediglich selbst bescheinigen, dass das Mittel wirkt. Man spricht hier von einem „Binnenkonsens“. Alles bis zu acht Erkenntnispunkten sagt demnach nicht mehr aus, als dass Homöopathen selbst an die Wirkung von Homöopathie glauben. Es geht hier nicht um wissenschaftliche Daten, sondern um eine Übereinstimmung von Meinungen. Erst für mehr als acht Erkenntnispunkte (die zur direkten Behandlung von schweren Krankheiten benötigt werden) wird ein wissenschaftlicher Nachweis verlangt. Bislang hat kein einziges homöopathisches Präparat in Deutschland so einen Nachweis geschafft.
Das Brisante: Vor dem deutschen Gesetz ist mit dem Binnenkonsens die Wirksamkeit nachgewiesen – nicht wissenschaftlich, aber rechtlich. Das Verwaltungsgericht Köln formulierte es in einem Urteil 2017 so: „Erstreckt der Gesetzgeber den Arzneimittelbegriff auf diese Präparate, so ist auch der Begriff der pharmakologischen Wirkung in rechtlicher Hinsicht auf diese zu erstrecken.“ Heißt: Ein Mittel, das im medizinisch-wissenschaftlichen Sinn unwirksam ist, erhält seine Wirksamkeit allein dadurch, dass der Gesetzgeber es als „Arzneimittel“ einstuft. Oder noch kürzer: Das Mittel ist wirksam qua Gesetz. Das klingt absurd, ist aber derzeit geltende Rechtslage. Der Leitspruch der Homöopathie-Anhänger – „wer heilt, hat recht“ – bekommt damit plötzlich eine ganz andere Bedeutung.
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Kurz kommentiert:
Homöopathische Mittel wirken nicht. Über diese Aussage besteht kein Zweifel. Dennoch helfen sie tagtäglich Mensch wie Tier. Am Sonderstatus der Homöopathie im Gesundheitswesen sollte trotzdem nicht festgehalten werden. Aus zwei Gründen.
Erstens: Es ist gut erforscht, was genau an der homöopathischen Behandlung hilft. Ärzte nehmen sich Zeit, hören zu, fragen nach. Patienten fühlen sich wohl und gut beraten. Statt an einem nachgewiesenermaßen unwirksamen Präparat festzuhalten, bedarf es einer Debatte darüber, wie die „sprechende Medizin“ besser im Regelsystem verankert und honoriert werden kann.
Zweitens: Gerade in Zeiten, in denen wissenschaftliche Prinzipien von Teilen der Gesellschaft in Frage gestellt werden, braucht es ein gemeinsames, für alle verbindliches Verständnis von Wissenschaftlichkeit. Dem läuft aber zuwider, dass Homöopathika im deutschen Arzneimittelgesetz gesondert behandelt werden. Es darf nicht sein, dass homöopathische Arzneimittel entweder gar keinen oder einen wissenschaftlich nicht fundierten Zulassungsprozess durchlaufen – und am Ende trotzdem qua Gesetz als wirksam gelten. Der Gesetzgeber sollte die Homöopathie auf eine Stufe mit anderen Medikamenten stellen. Auch, wenn das aller Voraussicht nach hieße, dass de facto kein Präparat mehr zugelassen wird. Um es klar zu sagen: All dies hieße nicht, Homöopathie zu verbieten. Jeder, der will, kann weiterhin Globuli kaufen und nehmen. Allerdings nicht mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft und als ein der Medizin gleichgestelltes Mittel. Für die homöopathische Behandlung von Tieren hätte das sogar einen positiven Effekt: Wenn Homöopathika nicht mehr apothekenpflichtig wären, entfiele auch die Pflicht, die Pillen tieräztlich umwidmen zu lassen und die Gabe ins Bestandsbuch einzutragen. Sprich: Der ganze bürokratische Wahnsinn, der aktuell dazu führt, dass die homöopathische Behandlung von Tieren oftmals „illegal“ geschieht.