Fachkräfte

Handwerk hat goldenen Boden

Diese Weisheit trifft heute mehr zu denn je. Melanie Lohmann und Jan-Hendrik Schade, Kreishandwerkerschaft Münster, erklären im Gespräch mit dem Wochenblatt die Gründe für den Nachwuchsmangel.

Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) fehlen der Branche mindestens 250.000 Arbeitskräfte – Tendenz zunehmend.

Lohmann: Wenn es um Zahlen zum Handwerk geht, liefert der Zentralverband des Deutschen Handwerks sicherlich die verlässlichsten Zahlen.

In der Berichterstattung findet man immer wieder variierende Werte. Geht es beispielsweise um offene Stellen, deren Zahl oft über die Arbeitsagenturen erhoben werden, muss man wissen: Viele Betriebe melden ihre offenen Stellen dort gar nicht mehr. Wir gehen also davon aus, dass es noch eine erhebliche Dunkelziffer gibt und die Zahl eher größer ist.

Melanie Lohmann, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Münster (Bildquelle: privat)

Worin sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

Schade: Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Vorstellung von den Handwerksberufen und deren Image ist bei vielen einfach nicht gut.
Seit 2010 gibt es die bundesweite Imagekampagne des deutschen Handwerks, die bereits einiges bewegt hat.

Demografie ist vorhersehbar. Wenn ich weiß, in 10 bis 15 Jahren gehen zum Beispiel die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand, muss ich alle, die bis dahin deren Jobs übernehmen sollen, überzeugt haben. Aus heutiger Sicht muss man sich daher fragen, ob das Handwerk hier nicht früher hätte in die Offensive gehen müssen.

Vorurteile zum Handwerk

Wie sieht die Gesellschaft das Handwerk und wodurch wird das befördert?

Schade: Extrem anstrengend, eintönig, schlecht bezahlt – das ist meist noch in den Köpfen drin.

Befördert wird dies unter anderem durch eine Elterngeneration, die teils noch von ihrer eigenen Suche nach einer Ausbildungsstelle genau diese Vorurteile im Kopf haben und vermitteln: „Meinen Kindern soll es mal besser gehen.“
Ein akademischer Abschluss war das Erstrebenswerte, ebenso wie die vermeintlich weniger ­anstrengenden, rückenschonenden Büro-Berufe.

Jan-Hendrik Schade Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Münster (Bildquelle: privat)

Was sagen Sie jungen Menschen, die sich mit ihrer Berufswahl beschäftigen? Wie sieht die Arbeit im Handwerk heute aus?

Schade: Die Arbeit im Handwerk ist nicht schwarz-weiß zu beschreiben. Es stimmt eben nicht, dass Dachdecker mit 55 kaputt sind und Heizung/Sanitär nur etwas mit Schmutzwasser zu tun hat. Dass es da Design gibt, dass Elek­triker und Kfz-Mechatroniker vielfach mit dem Laptop unterwegs sind und anspruchsvolle Aufgaben erledigen, wird oft ausgeblendet.

Lohmann: In allen Handwerksberufen gibt es inzwischen viel mehr technische Möglichkeiten, den ­Beschäftigten schwere Arbeiten zu erleichtern. Handwerksbetriebe tun heute viel für ihre Mitarbeiter. Denn ihnen ist bewusst, dass deren Gesundheit und Sicherheit unmittelbar mit dem Betriebserfolg zusammenhängen.

Praktika sind eine ganz wichtige Komponente bei der Ausbildungs­platzwahl.

Handwerk hat goldenen Boden, heißt eine Weisheit. Trifft das noch zu?

Lohmann: Auf jeden Fall. Das Handwerk benötigt auch weiterhin Arbeitskräfte, weil immer Menschen gebraucht werden, die Arbeiten von Hand ausführen. Während in der Industrie viel mehr menschliche Arbeitskraft durch Automation ersetzt werden kann, ist das im Handwerk nur bedingt möglich. Das spricht aber auch für eine Ausbildung im Handwerk, weil es diese Branche krisensicher macht.

Schade: Ganz aktuell müssen wir darüber hinaus festhalten: Die Energiewende ist ohne das Handwerk nicht zu machen – auch wenn die Politik das in ihren Statements zum Thema oft vergisst.

Wenn es um die Umsetzung der Energiewende geht, ist immer die Rede davon, dass geplant und gebaut werden muss. Auf die Bedeutung des Handwerks wird dabei aber nicht hingewiesen. Am Ende sind jedoch Handwerkerinnen und Handwerker die Macher der Energiewende.

Lassen Sie uns darauf schauen, wie die Situation bei den Schulabgängerinnen und -abgängern ist.

Schade: Es ist schon lange nicht mehr so, dass ein Drittel der Schulabgänger ins Handwerk geht, ein Drittel macht eine kaufmännische Ausbildung, und ein Drittel macht Abitur. Die Zahlen haben sich dramatisch verändert, sodass wir deutlich mehr Schüler haben, die Abitur machen und weniger, die ins Handwerk wechseln.

Sind denn Abiturientinnen und Abiturienten für das Handwerk vollkommen verloren oder gehen sie auch ins Handwerk?

Lohmann: Auch im Handwerk ist die Zahl der Ausbildungsverträge mit Abiturienten steigend. 2022 waren es knapp über 20 %.

Eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung kommt aber auch zu dem Schluss, dass Jugendliche mit einer geringen Schulbildung immer schlechtere Chancen haben, eine Ausbildungsstelle zu finden.

Lohmann: Das ist richtig. Handwerksbetriebe reagieren aber darauf. Ihre Bereitschaft, nicht auf die Noten zu schauen und Bewerbern eine Chance zu geben, die früher eventuell nicht zum Zuge gekommen wären, ist durchaus groß. Das heißt, die Ausbildungsbetriebe sind schon bereit, mehr in die Ausbildung zu investieren.

Qualität der Schule?

Ist denn die Qualität der schulischen Ausbildung grundsätzlich ein Problem?

Schade: Das würde ich so nicht sagen. Wir stellen aber fest, dass es den Schulabgängern häufiger an motorischen und handwerklichen Fähigkeiten fehlt. Früher wurden zum Beispiel durch den Werk­unterricht Grundlagen gelegt, die heute fehlen. Aber auch in den sogenannten sozialen Kompetenzen stellen wir Defizite fest.

Was würden Sie Jugendlichen empfehlen, die sich für eine Ausbildung im Handwerk interessieren?

Lohmann: Unserer Ansicht nach sind die Praktika eine ganz wichtige Komponente bei der Ausbildungsplatzwahl. Sie helfen, die Erwartungen mit der Realität abzugleichen.

Schade: Aus meiner Sicht sind auch Ferienjobs im möglichen zukünftigen Beruf eine gute Möglichkeit, einen intensiven Einblick in ein Berufsfeld zu erhalten. Der Vorteil: Ferienjobs sind bezahlt und die Jugendlichen müssen richtig ran.

Die Energie­wende ist ohne das Handwerk nicht zu machen.

Die Ausgangssituation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hat sich komplett gedreht. Wie macht sich das bemerkbar?

Schade: Tatsächlich wechseln Auszubildende heute häufiger den Ausbildungsplatz, weil sie eine größere Auswahl haben und quasi von heute auf morgen eine andere Stelle bekommen können.

Lässt sich das in Zahlen ausdrücken und wie häufig wird eine Ausbildung abgebrochen?

Lohmann: Wir können grundsätzlich nur etwas dazu sagen, wie viele Ausbildungsverträge wieder aufgelöst werden. Ob damit ein Abbruch der Ausbildung verbunden ist oder die Auszubildenden einen neuen Ausbildungsvertrag im Handwerk abschließen, wissen wir nicht. Aber ja, die Quote aufgelöster Arbeitsverträge hat zugenommen.

Wie gehen die Ausbildungs­betriebe damit um?

Schade: Das ist ganz unterschiedlich. Während viele weitersuchen, weil es zur Ausbildung des eigenen Nachwuchses keine Alternative gibt, sagen andere: „Ich habe den fünften Azubi, der wechselt, ich mache mein Ding jetzt allein.“

Zum Schluss noch eine Frage zu den Aufstiegschancen im Handwerk.

Lohmann: Junge Menschen können sich im Handwerk beruflich sehr gut weiterentwickeln. Je nach Berufsfeld sind Spezialisierungen, die Qualifikation zum Meister oder Techniker möglich.

Für viele ist aber auch die Selbstständigkeit ein Ziel. Und da können wir sagen, sind die Zeiten geradezu paradiesisch. Denn allein im Regierungsbezirk Münster gibt es über 7000 Betriebe, die in den nächsten fünf Jahren übergeben werden müssen.

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