"Mama, etwas Schreckliches ist passiert!“ – Eine in Tränen aufgelöste Frauenstimme meldete sich, als Margret Kleine an einem Dienstagvormittag vor einigen Wochen das Telefon abhob. Der Stimme nach musste es ihre Tochter sein. Die Landfrau aus dem Kreis Steinfurt bekam einen Riesenschreck. „Julia, bist du’s?“, reagierte sie aufgeregt. „Ja, Mama, ich bin’s, Julia! Es ist so schlimm! Ich habe eine Frau angefahren. Am Zebrastreifen. Sie ist schwer verletzt und auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich kann nicht mehr ...“ Eine andere Stimme übernahm. Sie stellte sich als Polizistin vor. Bevor sie auf Margret Kleines Fragen einging, müsse sie aus Datenschutzgründen wissen, ob diese alleine wäre. „Mein Mann und mein Schwager sind bei mir“, so die Landfrau. Die Polizistin wiederholte, was passiert sei, und erklärte, sie würden die Tochter mit zur Polizeiwache nehmen und sich wieder melden. Sie legte auf, ohne eine Telefonnummer oder Adresse herauszugeben.
Dreiste Lüge
Besorgt rief Margret Kleine ihre beiden anderen Kinder an. Niemand hatte etwas von Julia gehört. Auch wenn die Sache allen seltsam erschien: So konnten sie nicht zum Alltag übergehen. Jeder versuchte, Julia zu erreichen. Nach einer sorgenvollen halben Stunde meldete sich die ahnungslose Tochter wohlbehalten nach einem längeren Dienstgespräch aus dem Homeoffice. Die Geschichte entpuppte sich als Lüge. Margret Kleine rief die Polizei an. Die wusste sofort Bescheid: ein Schockanruf. An diesem Tag hatten sich schon einige Betroffene gemeldet. Der Beamte klärte über die Betrugsmasche auf und warnte, dass die Täter oft mehrfach anrufen. Häufig verlangten sie eine Kaution, um das Familienmitglied gehen zu lassen. In diesem Fall meldete sich keiner mehr. Der Schreck aber saß tief.
Im Visier der Telefonbetrüger sind vor allem Senioren. „Viele der Angerufenen wittern den Betrug schnell und legen auf“, berichtet Martin Weide-Drees von der Polizei im Kreis Steinfurt. Immer wieder aber fallen auch Personen darauf herein und übergeben vier- oder fünfstellige Geldbeträge an der Haustür oder einem Treffpunkt. „Die Betrüger sind rhetorisch sehr gut geschult. Zum Teil rufen sie einige Male nacheinander an und versuchen, Druck aufzubauen“, schildert der Experte. Die Erfolgsquote, die Täter zu erwischen, ist gering.
Miese Maschen
Die Betrugsversuche am Telefon kommen seit 2017 verstärkt vor, erklärt Martin Weide-Drees. Um an Geld oder Wertsachen zu gelangen, arbeiten die Täter mit immer neuen Tricks. Diese wechseln phasenweise und treten an manchen Tagen gehäuft in einzelnen Orten auf. Folgende Beispiele
kommen vermehrt vor.
Schockanruf - Variante 1: Ein Angehöriger habe einen schweren Unfall verursacht. Eine hohe Kaution müsse gezahlt werden, um eine Haft oder Auslieferung ins Ausland zu verhindern.
Schockanruf - Variante 2: Ein Angehöriger liege mit einer schweren Krankheit im Krankenhaus. Nur ein extrem teures Medikament könne ihm helfen.
Enkeltrick: Ein vermeintlicher Verwandter gibt vor, in einer finanziellen Notsituation zu sein. Er benötige dringend Bargeld.
Falsche Polizisten: Ein angeblicher Polizist erklärt, dass es in der Nachbarschaft eine Einbruchsserie gebe. Er würde Bargeld und Wertsachen des Angerufenen in Sicherheit bringen.
Falsche Gewinnversprechen: Der Angerufene habe viel Geld in einem Gewinnspiel gewonnen. Um es zu erhalten, müsse er vorab Transferkosten überweisen.
Falsche Microsoft-Mitarbeiter: Ein Mitarbeiter der Firma Microsoft ruft wegen angeblicher Computerprobleme an. Um den Schaden zu beheben, bräuchte er Zugriffsrechte und Passwörter oder müsse Reparatur-Software auf dem PC installieren.
Seien Sie misstrauisch!
Die Polizei gibt folgende Tipps:
■ Bereiten Sie sich auf solche Anrufe vor. Spielen Sie sie durch.
■ Seien Sie misstrauisch bei allen Anrufen. Das ist nicht unhöflich.
■ Raten Sie nicht, wer anruft. Auf geschickte Fragen nennen Angerufene oft unbewusst einen Namen eines Angehörigen, den die Betrüger dann nutzen. Oder nennen Sie gezielt einen Namen, der in Ihrem Bekanntenkreis nicht vorkommt. Wenn der Anrufer darauf eingeht, wissen Sie, dass etwas nicht stimmt.
■ Sind Sie unsicher oder fühlen sich unter Druck gesetzt, legen Sie auf.
■ Rufen Sie den betroffenen Angehörigen unter der Ihnen bekannten Nummer an. Vergewissern Sie sich, ob eine Notlage vorliegt. Unterbrechen Sie dazu den Anruf, wählen selbst die jeweilige Nummer und nutzen nicht die Rückruftaste.
■ Deponieren Sie nie Geld oder Wertsachen an einem vereinbarten Ort und übergeben Sie sie nicht an Unbekannte. Dazu gehören auch Polizeibeamte. Die Polizei wird Sie nie um Geld oder Wertsachen bitten.
■ Falls die 110 in Ihrem Display angezeigt wird: Die Polizei würde Sie nie von dieser Nummer aus anrufen.
■ Sprechen Sie mit einer Vertrauensperson über den Anruf.
■ Informieren Sie die nächste Polizeidienststelle oder die Notrufnummer 110 und erstatten Sie Anzeige. Auch wenn kein Schaden entstanden ist, ist es gut, sie davon in Kenntnis zu setzen, wo Anrufe vorkommen und welche Tricks auftreten.
■ Löschen Sie wenn möglich Vornamen, die auf ältere Personen hindeuten, aus dem öffentlichen Telefonverzeichnis. Betrüger suchen oft gezielt danach sowie nach vierstelligen, lange bestehenden Telefonnummern.
■ Vielerorts gibt es Kooperationen zwischen Banken und der Polizei, schildert Martin Weide-Drees. Etliche Banken händigen größere Geldbeträge in Umschlägen aus, auf denen Fragen abgedruckt sind. Wer einige davon mit Ja beantwortet, sollte sich sofort mit der Polizei in Verbindung setzen.
(* Name von der Redaktion geändert)
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