Eltern mögen es nicht, wenn ihre Kinder sich streiten. Ihnen wäre es lieber, der Nachwuchs würde sich friedlich absprechen, wann wer mit dem großen Trecker im Sandkasten spielen darf. Psychologe Jochen Elte von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche vom Caritas-Verband Coesfeld hat eine andere Sicht auf die Dinge:
Kinder befinden sich quasi von Geburt an in einer Ausbildung. Und Streiten zu lernen, ist ein wichtiger Bestandteil davon.Geschwister sind dafür die perfekten Übungspartner. Das betonte er am Dienstag vergangener Woche bei seinem Vortrag im Rahmen des Forums Junge Landfrauen im Kreis Coesfeld.
Hinsetzen, beobachten, beschreiben
Was also tun, wenn vom Sandkasten mal wieder wildes Geschrei statt des monotonen „Brrrrrrum, Brrrrrummm“ zu hören ist?
- Entspannen Sie sich, versuchen Sie Ihren Zeitdruck und Ihre To-do-Listen für einen Moment zu vergessen. „Reinigen Sie Ihr Karma“, beschreibt der Psychologe diesen Prozess augenzwinkernd. Denn um beim Bild der Ausbildung zu bleiben: Wenn der Meister die Azubis anbrüllt, ist das wenig zielführend.
- Distanzieren Sie sich von der Auseinandersetzung. Werden Sie nicht Teil des Streits.
- Setzen Sie sich daneben und schauen Sie erst einmal zu. „Allein das bringt schon Ruhe rein“, ist die Erfahrung von Jochen Elte.
- Fangen Sie an zu beschreiben, was Sie sehen. Worum geht es? Wer hat welche Bedürfnisse?
- Fragen Sie Ihre Kinder, wer von ihnen einen Vorschlag hat. „Nehmen Sie sie dazu mit in die Küche, sodass der Trecker außer Sichtweite ist.“ Das kann die Situation schon entspannen.
Beschreibendes Lob gibt Orientierung
Wenn Ihr Kind eine gute Idee hat, wie der Streit sich lösen lässt, sagen Sie ihm, was Ihnen daran gut gefallen hat. Beschreibendes Lob gibt Kindern Orientierung. Schimpfen hingegen vergleicht Jochen Elte mit der Situation eines Erwachsenen, der nach dem Weg fragt und als einzige Antwort zu hören bekommt: „Da lang geht es nicht!“
Grundsätzlich ist Streit also keine schlechte Sache. Wenn ein Kind seine Geschwister ständig provoziert, kann das jedoch so weit gehen, dass die Familie sich an die Beratungsstelle der Caritas wendet. Eine wichtige Grundannahme im Rahmen der Beratung lautet dabei immer: „Bevor ein Kind Schwierigkeiten macht, hat es welche.“
Entwicklungsaufgaben lösen
Meist liegen diese Schwierigkeiten darin begründet, dass eine der Entwicklungsaufgaben, die für das jeweilige Kind gerade anstehen, nicht gelöst werden kann. Die Liste dieser Aufgaben ist lang. Sich eigenständig anziehen zu können gehört je nach Alter genauso dazu wie ein Selbstbild von sich im Kopf zu entwickeln oder zu verstehen, was die eigenen Sachen sind.
Die fünfjährige Lisa meckert vielleicht deshalb so viel herum, weil alle Spielsachen, die für sie in ihrem Alter spannend wären, weggeräumt wurden, um ihre kleinen Geschwister zu schützen. „Schließen Sie die Sachen nicht ganz weg, sondern packen Sie sie in eine Kiste, die Sie gezielt für Ihre Tochter hervorholen, wenn sie damit spielen möchte“, rät Jochen Elte.
Ein weiterer Schritt könnte sein, Lisa gezielt in Aufgaben, wie das Baden der kleinen Geschwister, einzubinden, und ihre Position in der Familie so aufzuwerten. Eltern sieht der Psychologe dabei als „Entwicklungshelfer“, die durch Empathie herausfinden, welchen Schritt ihr Kind gerade gehen möchte und ihm den nötigen Raum dafür bieten.
Familienprojekte: Jeder hat seinen Platz
Ein weiterer Tipp, um die Situation zu Hause zu entspannen: „Gerade seit Corona haben wir viele Familien mit Ideen für gemeinsame Projekte versorgt und ihnen beispielsweise vorgeschlagen, zusammen ein Gartenhaus zu bauen“, erzählt Jochen Elte. Dabei kann sich jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten einbringen und merkt: Bei uns hat jeder seinen Platz.