Neues Buch von Herausgeberin Ulrike Siegel

So war früher das Leben in unseren Dörfern

Von Gemeinschaftsgefühl, unangekündigten Besuchern und dörflichen Nachrichtendiensten der anderen Art – drei Dorfbewohner beschreiben die Erfahrungen ihrer Kindheit in den 1950er- und 1960er-Jahren.

„Wenn ich heute durch mein Heimatdorf im Kraichgau gehe, bin ich immer wieder erstaunt – mir fehlen die vertrauten Klänge und Geräusche. Wo sind die Nachbarsfrauen, die auf einen Schwatz am Fenster stehen, die älteren Dorfbewohner, die sich auf einer Bank niedergelassen haben und von alten Zeiten erzählen?

Wo sind die Kinder, die lärmend auf den Höfen oder in den Gassen spielen, sich mit den Fahrrädern Wettrennen liefern, oder die jungen Kerle, die mit ihrem Moped eine Runde nach der anderen vom Ober- ins Unter­dorf und zurück rasen, um gesehen und bewundert zu werden? Wo sind die vielen Traktoren, deren unterschied­liches Motorenrattern deutlich voneinander zu unterscheiden zwischen den Häuserreihen widerhallt? Bei meinen Besuchen kommt es mir hier heute fast unbewohnt und museal vor, in großem Kontrast zu all den sinnlichen Eindrücken meiner Kindheit in den 60er-Jahren.

Vertraute Gemeinschaft

Die Kartoffelernte läutete das Ende des Sommers ein. Hier ­waren ganz selbstverständlich einige Nachbarinnen und Tagelöhner mit dabei, als wir die Kartoffeln auflasen, die mein Vater oder einer meiner Brüder vorher Reihe für Reihe mit Traktor und Schleuderroder ans Tageslicht befördert hatten. Dazu brauchte es einen sonnigen Tag und idealerweise einen abgetrockneten Boden. Denn sonst musste man Kartoffel für Kartoffel von der feuchten, klebrigen Erde befreien.

Eindrücklich ist mir, dass ­einer unserer Helfer – Robert – hier von Kartoffel-Melken sprach. Wie eine große und vertraute Gemeinschaft bückten wir uns und füllten die Drahtkörbe, um sie dann in die bereitgelegten Säcke zu leeren. Beim Abendläuten und der untergehenden Sonne konnte man genau sehen, wie viel man an diesem Tag geschafft hatte. Die Säcke wurden aufgeladen.

Größtmögliche Geborgenheit

Am Ende des letzten Tags dann folgte das ersehnte Kartoffelfeuer, dessen Duft ich noch heute in der Nase habe und der eine Dankbarkeit in mir aufsteigen lässt: für dieses tiefe Gefühl von größtmöglicher Geborgenheit – alles schien am richtigen Platz, dem Gesetz der Jahreszeiten...