Die Erinnerung am Leben halten

Gedenkstätte aus Grabsteinen

Der Pachtvertrag für die Familiengruft lief aus. Für Bernhard Kurzen stand fest: Die Grabsteine sollten auf dem Hof einen neuen Platz finden. Die Namen interessanter Persönlichkeiten sind darauf verewigt.

Bernhard Kurzen liebt es, ­Erinnerungen am Leben zu halten. Über die Geschichte des Hofs seiner Familie – Gut Wewel in Senden in der Bauerschaft Gettrup – hat der Landwirt und Reitlehrer einen Bildband verfasst. Auch über die Erlebnisse und Erfolge seiner Tochter Johanna im Pferdesport hat er ein Buch geschrieben. Als Ende vergangenen Jahres klar war, dass der Pacht­vertrag für die Familiengruft auf dem 4 km entfernten Friedhof ­auslaufen würde, stand für ihn fest: Die Grabsteine mit den ­Inschriften sollen erhalten bleiben. „Schließlich sind die Namen einiger bedeutsamer Persönlichkeiten darauf verewigt“, betont Bernhard Kurzen.

Besonders gerne erzählt der Landwirt von seinem Groß­onkel, dem Geheimrat Dr. med. Franz Schölling. 1851 wurde er auf dem Nachbarhof ­geboren. Im Jahr 1904 kaufte er ­gemeinsam mit ­seinem Bruder Bernard Johannes Leppelmann – Bernhard Kurzens Großvater – Gut Wewel. „Mein Groß­onkel war ­Chirurg und der erste Chefarzt des Clemenshospitals in Münster“, berichtet Bernhard Kurzen. Er war ein Pionier auf dem Gebiet der Medizin. So soll er als einer der ersten Ärzte weltweit eine Bauch-OP durchgeführt haben – und das nicht im Krankenhaus, sondern in einer Scheune.

Auch Vater war Pionier

Während der Arzt Gut Wewel in erster Linie dazu nutzte, seinem Hobby, der Jagd, nachzugehen, baute sein Bruder Johannes Leppelmann den Betrieb auf. „Außerdem befestigte er erstmals die Wege nach Senden und Lüdinghausen mit Schotter und machte sie so befahrbar.“ 1950 übernahmen Bernhard Kurzens Eltern – Ernst-August und Hedwig Kurzen, geb. Leppelmann – Gut Wewel. Auch sie zeigten besonderes Engagement: „Mein Vater war 1977 einer der Pioniere der biologischen Landwirtschaft im Sinne des Demeter-Verbandes“, erzählt Bernhard Kurzen stolz.

Platz beim alten Holzkreuz

Welchen Platz die neue Gedenkstätte auf dem Hof einnehmen ­sollte, stand für Bernhard Kurzen schnell fest: beim großen Holzkreuz aus dem Jahr 1919, das seinen Platz in der Nähe des heutigen Hofcafés hat. Es musste ohnehin dringend restauriert werden. „Das Holz war fast durchgefault. Ich habe mich gewundert, dass es überhaupt noch stand“, erinnert sich der Senior.

Im Zuge der Instandsetzung plante er, die Grabsteine zu ergänzen und so eine große Gedenkstätte zu errichten. Aus Sicht von Bernhard Kurzen war dies der ideale Standort. Dort würden nicht nur die Familienmitglieder, sondern auch die Besucher des Hofs die Grabsteine sehen und die Geschichte des ­Hofes nachlesen können. Denn auch das gehörte zu seinem Plan: Am Rande der Gedenkstätte würde er zwei Tafeln aufstellen: eine mit der Geschichte des Hofes, eine mit der Geschichte des Kreuzes. #

­Seine Frau reagierte zurückhaltend auf den Plan. Ihr Hinweis, der Hof sei kein Friedhof, konnte Bernhard Kurzen in seinem Elan jedoch nicht bremsen. Sein Sohn Philipp, der den Betrieb seit fünf Jahren gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin führt, hatte jedoch nichts dagegen. „Meine beiden Brüder Ernst-August und Eugen waren sofort bereit anzupacken. Eugen lebt seit 40 Jahren in Amerika und war zu der Zeit für ein paar ­Wochen zu Besuch.“ Mit der Friedhofsverwaltung sprach Bernhard Kurzen ab, dass die drei Brüder das Grab selbst abräumen würden. Keine leichte Aufgabe. „Um die 12 cm dicken Platten abzutragen und zum Hof zu transportieren, benötigten wir insgesamt drei Tage“, erzählt der 67-Jährige. „Wir konnten schließlich nicht mit einem großen Bagger auf den Friedhof fahren.“ Stattdessen kam eine stabile Sackkarre zum Einsatz.

Seine Tante erinnerte sich

Eine weitere Woche benötigten die Brüder für die Arbeiten auf dem Hof. Sie legten ein 70 cm tiefes Fundament an, platzierten einen 3 m langen Sandstein darauf und klebten die Grabsteine mit Fliesenkleber fest. Die Gravuren zog Ernst-August Kurzen mit Gold nach. „Den maroden Balken des Kreuzes haben wir abgeschraubt und durch einen neuen, imprägnierten ersetzt.“ Die Inschrift oberhalb des Kreuzes hatte jahrelang gefehlt. Mitte der 1950er-Jahre war sie entwendet worden. Bernhard Kurzen freut es besonders, dass er sie nachbauen und wieder anbringen konnte – und zwar mit dem ­ursprünglichen Wortlaut. „Nach 60 Jahren erinnerte sich meine 90-jährige Tante noch genau da­ran“, erzählt er schmunzelnd. Für die Tafel schnitt Bernhard Kurzen eine Eichenholzplatte zu, lackierte sie mehrere Male, schrieb die Worte mit Bleistift vor und zog sie mit Pinsel und Farbe nach. Dabei bewies er ein außerordentlich ruhiges Händchen. Die Buchstaben wirken wie gedruckt. Für die beiden Erinnerungstafeln druckte ein Freund die Texte auf eine durchsichtige Folie, die Bernhard ­Kur-zen auf die Steinplatten klebte. Die Platten befestigte er auf zwei Eichenstämmen.

Sein Name wird folgen

Sollte seine 96-jährige Mutter in den nächsten Jahren sterben, wird Bernhard Kurzen für sie eine Tafel an der Gedenkstätte errichten. Und auch sein eigener Name soll dort verewigt werden, wenn er das zeitliche segnet. „Dann muss niemand mehr zum Friedhof gehen, um an uns zu denken. Das machen die jungen Leute ohnehin nicht mehr.“