Vor zwei Jahren haben Annalena und Simon Lohbeck ihr erstes Kind bekommen. Neben der kleinen Margo sitzt mittlerweile aber auch ein Teenie mit am Tisch. Vor einem Jahr ist Milena in die Familie gekommen, die am Rand des Ruhrgebiets lebt. „Da hat man plötzlich mit ganz anderen Themen zu tun“, lacht Simon Lohbeck. Dazu gehören Gespräche beim Elternsprechtag, aber auch Diskussionen, wie lange der abendliche Besuch bei den Freundinnen dauern darf.
Mit dem Gedanken ein Gast- oder Pflegekind aufzunehmen, hatten die Lohbecks schon länger gespielt. „In unserem Haus ist reichlich Platz“, erzählt Annalena, die bis zu Margos Geburt als Sozialpädagogin gearbeitet hat. „Aber erst wollten wir ein eigenes Kind haben.“
Seit acht Jahren erprobt
Den Kontakt zum „Junikum“, einem Jugendhilfeträger aus Oer-Erkenschwick im Kreis Recklinghausen, hatten sie gleichwohl schon geknüpft. Junikum setzt seit acht Jahren das Konzept „Junge Menschen in Gastfamilien“ um. Die meisten Jugendlichen lebten zuvor in Wohngruppen, manche auch auf der Straße. Allen gemeinsam ist, dass sie sich ein familiäres Umfeld wünschen.
„Ich möchte nicht mehr die Arbeit von jemandem sein“, war auch der Wunsch von Milena. Zwei Wochen vor ihrem Einzug hatte sie die Lohbecks zum ersten Mal getroffen, auch einmal zur Probe übernachtet. Die Chemie passte schnell. „Wir haben einen ähnlichen Humor“, erklärt Simon Lohbeck, der als Techniker arbeitet.
Aufreibender Anfang
Die erste Zeit war trotzdem aufreibend. Denn auch ein Schulwechsel stand für Milena mit dem Umzug an. Inzwischen besucht die 14-Jährige die achte Klasse einer Gesamtschule in der Nähe.
Neben den Lohbecks ist Timea Lang Ansprechpartnerin für Milena. In der ersten Zeit war die Sozialpädagogin alle paar Tage bei der Familie, inzwischen gibt es etwa einmal pro Woche Kontakt. Ab und an holt sie Milena von der Schule ab oder begleitet sie zu Treffen mit ihrer leiblichen Schwester. Manchmal steht sie den Lohbecks bei Fragen zur Seite. Für Notfälle gibt es rund um die Uhr eine Rufbereitschaft.
Großer Rucksack
„Manche Kinder haben einen großen Rucksack zu tragen“, sagt Christoph Finger, Teamleiter für das Konzept bei Junikum. „Trotzdem suchen wir ausdrücklich nicht professionelle, sondern ganz normale Familien.“ Die Struktur einer Familie, in der sie sich wohl und sicher fühlen, helfe den Jugendlichen sehr. Milena hat bei den Lohbecks ein neues Hobby gefunden. Einmal pro Woche geht sie reiten. Alle paar Tage radelt sie zum Hof, auf dem die beiden Pferde der Familie stehen.
Die Lohbecks können sich vorstellen, dass Milena lange bei ihnen bleibt. Gefördert wird das Konzept bis zum 21. Lebensjahr. Insgesamt 23 Gastfamilien hat Junikum inzwischen, darunter sind auch Ältere und Alleinstehende.
Annalena Lohbeck will Milena „ein Sprungbrett ins Erwachsenenleben“ bieten. Und Christoph Wegener, der das Projekt als Psychologe begleitet, sagt: „Auch wenn wir uns für unsere Kinder tiefe Wurzeln wünschen. Ein Baum steht auch mit vielen flachen Wurzeln.“
Eine Idee aus Baden-Württemberg: Junge Menschen in Gastfamilien
Das Konzept zur Begleitung junger Menschen als Pflegekinder auf Zeit hat der Verein Arkade aus Ravensburg entwickelt. Umgesetzt wird es seit 25 Jahren. Das Angebot richtet sich an junge Menschen, die nicht in ihrer Familie bleiben können und für die eine Wohngruppe nicht die Wunschumgebung ist. In den Gastfamilien sollen sie vor allem Alltag und Normalität erfahren.
Inzwischen gibt es einen Verbund von Jugendhilfeträgern aus Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die das Konzept umsetzen. „Gebucht“ wird es von Jugendämtern, die auch die Kosten tragen. Die Pflegefamilien bekommen monatlich eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von etwa 1000 € und 700 € als Sachkostenpauschale. Sie nehmen maximal ein Kind auf. Folgende Träger gibt es in NRW:
- Junikum, Gesellschaft für Jugendhilfe und Familien St. Agnes Oer-Erkenschwick, www.junikum.de,
- Kinego, Kinder und Jugendhilfe, Bochum, www.kinego.de,
- Motiviva, Bonn, www.motiviva.de,
- Ev. Jugendhilfe Münsterland, Steinfurt, www.ev-jugendhilfe.de,
- Diakonisches Werk im Kirchenkreis Recklinghausen, www.diakonie-kreis-re.de,
- Jugend- und Sozialwerk Gotteshütte, Hückeswagen, www.gotteshuette.de,
- Kairos Jugendhilfe, Essen, www.jumega-ruhr.de.
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