Zum Start des 9-€-Tickets im Juni dieses Jahres hat es einige Diskussionen darüber gegeben, ob das Ticket vor allem Städter bevorzugt. Der Vorwurf: Menschen aus allen Regionen zahlen gleichermaßen Steuern und finanzierten damit das Ticket. Nutzen bringe es aber vor allem Menschen in Ballungsräumen. Klar ist nach fast drei Monaten 9-€-Ticket: Das Angebot hat viele in den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gelockt.
Mehr Reisen aufs Land
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes gab es im Juni und Juli 42 % mehr ÖPNV-Reisende als in den Vergleichsmonaten im Jahr 2019. Primär wurden dabei kurze bis mittlere Distanzen, von 30 bis 100 km mit Bus und Bahn zurückgelegt. Kurzstrecken unter 30 km konnten bei der Studie nicht erfasst werden.
Überraschend ist, dass vor allem Reisen in ländliche Tourismusregionen zugenommen haben. Hier ist im Juni und Juli ein Anstieg von 80 % im Vergleich zu den gleichen Monaten 2019 festzustellen.
Rund ein Viertel der Fahrten mit dem ÖPNV wären ohne das günstige Ticket nach einer Befragung des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen gar nicht erst angetreten worden.
Offen bleibt, wie praktisch Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Land sind, wer neuerdings den ÖPNV nutzt und welche Probleme das 9-€-Ticket aufwirft.
Wir haben einige Stimmen eingefangen: Ein Busfahrer und eine junge Frau vom Land erzählen von ihren alltäglichen Erfahrungen mit dem ÖPNV. Schließlich ein Landwirt und Bürgermeister aus Schleswig-Holstein erklärt, warum auch Landbewohner von mehr ÖPNV in der Stadt profitieren.
Stimmen vom Land:
„Für mich hat sich das 9-€-Ticket total gelohnt! Vorher bin ich ein- bis zweimal im Monat mit dem ÖPNV gefahren – nun waren es ein- bis zweimal pro Woche. Vor allem, um Freunde aus der Stadt zu besuchen, sind Bus und Bahn eine gute Alternative zum Auto.
Das Fahren mit den Öffentlichen ist trotzdem etwas umständlich. Die nächste Bushaltestelle liegt fünf Auto- oder 15 Fahrradminuten entfernt. Außerdem muss ich umsteigen, um in die nächste große Stadt, Münster, zu kommen. Dort arbeite ich auch. Für den Weg ins Büro mit dem ÖPNV wäre ich fast doppelt so lang unterwegs als mit dem Auto. Gern hätte ich deshalb mein Fahrrad häufiger mitgenommen. Damit bin ich am Start- und Zielort deutlich flexibler. Oft war dafür aber kein Platz. Ein Radticket kostet zusätzlich noch 4 bis 5 € am Tag.
So wie es jetzt ist, finde ich es schwierig, mit den Öffentlichen Freunde auf dem Land zu besuchen. Trotzdem hoffe ich sehr, dass ein günstiges Ticket bleibt und das Angebot noch attraktiver wird. Dann würde ich gern auch für die Arbeit auf Bus und Bahn umsteigen.“
„Ich fahre seit 14 Jahren Bus-Linien auf dem Land. Seit dem 9-€-Ticket hat sich die Fahrgastmenge verdoppelt.
Unter den neuen Fahrgästen sehe ich vor allem viele alte Menschen. Zum Beispiel Rentner, die sonst wenig aus dem Haus kommen und nicht viel Geld haben. Auch mehr Menschen aus anderen Altersschichten, mit mehr Geld fahren neuerdings mit. Sie sagen, dass sie Bus und Bahn häufiger nutzen würden, wenn die Tickets günstiger wären – oder die Fahrten auf dem Land etwas flexibler.
Eine große Herausforderung für den ÖPNV sind die Betriebskosten. Diese zu decken ist auf dem Land eine besondere Herausforderung. An manchen Tagen, ohne 9-€-Ticket, fahren nur zwei bis drei Leute mit oder der Bus ist ganz leer. Die 30 l Sprit auf 100 km verbraucht der Bus trotzdem. Hinzu kommt, dass Busfahrer Mangelware sind.
Nichtsdestotrotz halte ich ein günstigeres Ticket, zum Beispiel in Form des 69-€-Tickets, für eine gute Idee. Zusätzlich sollte es noch Vergünstigungen für Rentner geben. Außerdem sollte der Ticketpreis nach Fahrzonen gestaffelt sein.“
„Bei uns auf dem Dorf nutzen die wenigsten den ÖPNV. Wenn ich wegfahren will, zum Einkaufen oder Ähnliches, dann relativ spontan. Das ist hier mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich. Der Bus fährt derzeit alle vier Stunden. Insgesamt sind die Leute oft aufs Auto angewiesen und deshalb auch daran gewöhnt.
Als Bürgermeister weiß ich, dass die schlechten Verbindungen und niedrigen Taktungen des ÖPNVs abschreckend wirken. Gemeinsam mit unseren Nachbargemeinden wollen wir in Gribbohm erreichen, dass die Busse bald alle zwei Stunden fahren. Für die Umsetzung fehlen uns leider noch Busfahrer. Von den Vorzügen des 9-€-Tickets ausgeschlossen fühle ich mich aber nicht. Zum einen weiß ich, dass die Verbesserung des ÖPNVs auf dem Land nicht wegen des 9-€-Tickets warten muss. Zum anderen bringt uns das 9-€-Ticket allen etwas, selbst wenn wir es hier auf dem Land nur mäßig nutzen können. Wir wollen alle, dass Energie gespart und die Umwelt geschützt wird. Also profitieren auch wir davon, wenn die Städter weniger Auto fahren.
Falls der ÖPNV deshalb weiter ausgebaut wird, wäre das natürlich auch in unserem Sinne!“
Lesen Sie mehr: