Im Gras liegt ein einzelner gelber Socken. Neben der Bank rollt sich ein weiteres, grünes Exemplar. Die Wiese der einsamen Socken liegt am Dorfrand von Höxter-Godelheim. Ein von Birken gesäumter Weg führt die knapp 900 Einwohner zu dem kleinen Naherholungsgebiet. Barfuß und mit hochgekrempelter Hose geht es dort in das alte Tretbecken. „Drei Runden im Storchengang, dann drei Runden über die Wiese – so sieht es die Anwendung nach Sebastian Kneipp vor“, erklärt Margret Golüke- Knuhr, Vorsitzende des Fördervereins. Dem wiederum ist es zu verdanken, dass das Relikt aus den 70er-Jahren in diesen Tagen eine Renaissance erlebt.
Godelheims Goldene Zeiten
Knapp 10 000 Übernachtungen zählte Godelheim 1968, so viele wie nie zuvor – und nie wieder danach. Vor allem Pensionsgäste aus dem Ruhrgebiet suchten im schönen Weserbergland Erholung. Um denen noch mehr zu bieten, initiierte der damalige Verkehrsverein die Kneipp-Kuranlage – zu der Zeit der letzte Schrei. Die Sommergäste waren zufrieden, wie der Verkehrsverein mit einer Umfrage erforschte. Lediglich ein Herr aus Berlin wünschte sich warmes Wasser im Tretbecken, auch fehle es an einem Stripteaselokal. Diese Mängel trugen vermutlich nicht die Schuld, doch die Gäste blieben mit der Zeit aus. Sie änderten die Ziele: Italien, Frankreich, Spanien – wer wollte da noch nach Godelheim?
Das Becken geriet aus der Mode, die Instandhaltung aber blieb teuer und aufwendig. Statt es zuzuschütten, beschlossen die Stadt Höxter und der heutige Förderverein vor drei Jahren, sich den Aufwand zu teilen. Die große Rasenfläche rund um das Becken pflegt die Stadt. Den jährlichen, hellblauen Anstrich mit Spezial-Schwimmbad- Farbe übernimmt der Förderverein. „In der Saison von Mai bis Oktober reinigen wir das Becken jede Woche“, ergänzt Margret Golüke- Knuhr. Abwechselnd schrubben dabei die Vorstandsmitglieder die fiesen, rutschigen Braunalgen vom Boden. Vorher wird das Wasser abgelassen. Die Technik – für das Tretbecken wird der alte Hochbehälter am Maibach genutzt – funktioniert seit einem halben Jahrhundert einwandfrei. Für die alten Kaskadenbecken reichte der Wasserdruck allerdings nicht mehr. Die verwandelte der Förderverein in ein Staudenbeet.
Damit aber nicht genug. „Auf diesem Grundstück waren früher Kleingärten – auch meine Eltern hatten einen“, erinnert sich Margret Golüke-Knuhr, die vor 25 Jahren aus Paderborn in ihre ländliche Heimat zurückkehrte. Von den Kleingärten inspiriert, legte sie mit ihren Helfern einen öffentlichen Naschgarten und eine Blühwiese an. Die frühere Schautafel verwandelten sie in ein Insektenhotel.
Kneippen wieder in Mode
Die Mühen des Fördervereins haben sich gelohnt. Im Rekordsommer 2018 standen die Leute Schlange, um in das kühle Nass zu steigen. „Für uns hieß es da: Gießkannen schleppen, vom Bach bis zum Naschgarten“, erinnert sich Margret Golüke-Knuhr. Damals wie heute freuen sich Radfahrer aus der Umgebung über ein schönes Ausflugsziel und ein schattiges Plätzchen mit Blick auf das Gut Maygadessen. Das Kneippen passt mittlerweile wieder in den Zeitgeist. „Eine ältere Dame sagte mir, immer wenn sie hier war, kann sie die Nacht durchschlafen.“
Auch an diesem Tag zieht das neu erweckte Kleinod Besucher an: Zwischen den Hochbeeten tummeln sich Kinder aus der örtlichen Kita, die den sonnigen Vormittag für einen Ausflug nutzen. Durch das Tretbecken stakst eine Spielerin vom nebenliegenden Tennisplatz, die sich nach ihrem Match abkühlt. Danach geht es für sie in die Hängematte. Für die hat der Förderverein ebenso gesorgt wie für die beiden halbrunden Bänke, auf die am Abend die Sonne scheint. „Die stehen absichtlich etwas zurückgesetzt, da fühlen sich die Jugendlichen wohler“, weiß die Ortsheimatpflegerin.
Anfang des Jahres bekam der Förderverein für den Naschgarten den Heimatpreis der Stadt Höxter verliehen. Und im vergangenen Jahr feierte das ganze Dorf mit, als es hieß „50 Jahre Tretbecken“. Für den Förderverein eine Herausforderung: Ein Dorffest ganz ohne Strom! Begleitet von der Blaskapelle ging es gemeinsam unter der Birkenallee bis zum Becken. Dort warteten Picknick, Führung, Vortrag und Kinderprogramm. Abends wurde im Dorfgemeinschaftshaus weitergefeiert und getanzt.
Ideen gibt es noch reichlich
Margret Golüke-Knuhr, die vor zwei Jahren das Ehrenamt übernahm, ruht sich nicht auf den Lorbeeren aus. Sie sprudelt vor Ideen für ihre Heimat, in die sie selbst so verliebt ist. Gerade hat ihr Mann Horst Knuhr eine Vogelhecke an den Gleisen am Ortseingang gepflanzt. „So bekommt der Reisende direkt einen freundlichen Eindruck vom Dorf“, meint die 65-Jährige. Ein hölzerner Landschaftsrahmen, dort, wo die Nethe in die Weser mündet, schwirrt ihr im Hinterkopf. „Und wie schön wäre es, wenn wir die ehemalige Konzertbühne auf dem Hochbehälter wiederbeleben könnten!“ Eine neue Überdachung dafür ist bereits in Planung.
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In der Beantragung von sogenannten Heimat-Schecks, mit denen das Land Nordrhein-Westfalen kleine Projekte bis 2000 € unterstützt, ist die pensionierte Programmiererin inzwischen geübt. Mit denen hat der Verein nicht nur die Bänke und Hochbeete finanziert, sondern auch die Neuanlage einer Blühwiese mitten in Godelheim. Einige erfreute Anrufe haben den Verein deswegen schon erreicht. Doch Margret Golüke- Knuhr weiß: Für einen schönen Anblick lassen sich die Leute schnell begeistern. Anders sieht es aus, wenn den Winter über vertrocknete Stängel und Krautiges auf der Wiese stehen bleiben. „Wir haben absichtlich einen Rasenstreifen rund um die Wiese angelegt, den wir regelmäßig mähen. So sehen die Dorfbewohner: Die Wiese wird nicht vernachlässigt, sondern das soll so sein!“ Manchmal gehört eben ein wenig Überzeugungsarbeit dazu, um die Leute von den Socken zu reißen. Oder ein kaltes Tretbecken.
In lockerer Folge stellen wir „Dorfideen mit Weitblick“ vor – ein Kooperationsprojekt von Wochenblatt und Westfälischem Heimatbund, gefördert von der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege und der Provinzial Versicherung.