Die Stimmen sind noch heiser. Und als die Blicke sich kreuzen, blitzt ein Lächeln auf. Wir treffen Hannah, Paul, Jannis und Marius auf dem Campus der Fachhochschule Soest am „Tag danach“ – nach dem Sommerfest des Fachbereichs Agrar.
Hier studieren die vier jungen Leute und mischen auch im gesellschaftlichen Leben kräftig mit. Die gestrige Feier – inklusive allerlei traditioneller Spiele – war trotz der langen Abstinenz von solchen Events ein voller Erfolg. Es kommen Agrarier aller Semester und Hochschulmitarbeiter informell zusammen und zeigen, dass sie mehr sind als Agrartechniker und -wissenschaftler. Womit wir schon beim Thema wären:
Feiern auf dem Land
Wie feiern junge Leute auf dem Land? Unsere Gesprächspartner sind zwischen 20 und 24 Jahre alt und gehen gern und regelmäßig zu diversen Partys, Feten
und Festen.
Wir wollten von ihnen unter anderem wissen:
- Wann und wie seid ihr als Jugendliche auf dem Land ins Feiern eingestiegen?
- Trefft ihr euch lieber mit einer Clique Gleichaltriger oder liebt ihr die großen Feste mit allen auf dem Dorf?
- Welche Feierrituale schätzt ihr und was nervt euch?
- Welche Rolle spielt der Alkohol beim Feiern? Geht es auch ohne?
Tanzkurs im Münsterland
"Die Lipper gelten eher als verschlossen. Ich habe das erfahren, nachdem ich von Detmold für zwei Jahre auf einen Hof ins Münsterland, nach Nordwalde gezogen bin. Vorher kannte ich die Feten meines Fußballvereins und den Dorfkarneval. In Altenberge gibt’s mehrere Schützenvereine und entsprechend viele Feste.
Ich habe da ziemlich schnell einen Tanzkurs besucht. Denn Discofox musst du schon können, wenn du richtig mitfeiern willst. Anstrengend finde ich die Verpflichtungen: Freitags zu einer Feier, samstags zur nächsten, sonntags hat man zum Restetrinken zu erscheinen. Wer nicht kommt, wird schräg angeguckt."
Jannis Hagemeister, 24 Jahre, aus Detmold
„Ich mag es, dass sich alle kennen“
"Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen. Mein älterer Bruder und ich sind im Musikverein unseres Dorfes aktiv und dadurch auch in die Feierkultur hineingewachsen. Unsere Kapelle spielt schließlich auf allen Schützenfesten.
Schon mit 14 durfte ich in Begleitung meines Bruders zu den Festen des Musikvereins gehen und konnte selbst entscheiden, was ich trinke. Mein zweiter Bruder trinkt keinen Alkohol und ist auch nicht so fürs Feiern; meine Schwester ist lieber außerhalb des Dorfes unterwegs. Wie das mit dem Feiern läuft, hängt vor allem vom Freundeskreis ab. Ich mag es, wenn sich auf Festen alle kennen. Es ist klar, dass die Älteren nach den Jüngeren schauen.
Ich beobachte, dass für die meisten Menschen Alkohol fester Bestandteil einer Feier ist. Irgendwann wird dir einfach ein Bier hingestellt und gesagt: „Trink’ das jetzt.“ Wenn einer zu sehr über die Stränge schlägt, sagen die Freunde aber auch: „Jetzt trinkst du Wasser.“ Möchte eine Frau mal kein Bier trinken, geht gleich das Gerücht um, dass sie schwanger ist."
Hannah Menke, 20 Jahre, aus Brakel-Gehrden, Kreis Höxter
Bloß nicht erstarren
"Seit ich 14 bin, gehe ich zu den Schützenfesten in unserem Dorf. Ich habe auch die Jugendclubfeten mitgenommen und feiere privat mit einer Clique. Aber das Schützenfest ist der Höhepunkt des Jahres und ein fester Termin im Kalender. Da kommt man nach Gehrden und trifft sich. Alle tanzen miteinander, danach gehen wir zur Theke. Das stärkt die Verbindung zum Dorf.
Aber ich weiß auch: Wenn man da einmal raus ist, ist es schwer, wieder in den engeren Kreis der Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Beim Trinken kommt es darauf an, wie man sich selbst in eine Clique einführt. Irgendwann hat man halt einen bestimmten Ruf. Mein Bruder ist zum Beispiel so ein Typ, der nicht viel trinkt. Das ist für alle okay.
Was mich nervt, sind die starren Rituale. Wir wollten mal einen unsinnigen Gottesdiensttermin innerhalb unserer Schützenfesttage auf eine passendere Uhrzeit verschieben. Das war fast unmöglich. Begründung: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ Letztlich hat es doch geklappt. Sinnvolle Veränderungen finde ich wichtig. Feste, die keiner mehr will, schaffen sich selbst ab."
Marius Rogge, 24 Jahre, aus Brakel-Gehrden, Kreis Höxter
Man wird beobachtet
"Ich finde es gut, wenn unter Jugendlichen in einer Region ein starker Zusammenhalt besteht. Das habe ich kennengelernt, als ich für ein Jahr in Brandenburg lebte. Dort treffen sich die Jugendlichen in Jugendclubs. Bei uns in Lippe ist es dagegen schon etwas Besonderes, wenn am Himmelfahrtstag mal ein paar Leute mit einem Bollerwagen losgehen. Wir schaffen uns nicht so viele Anlässe zum Feiern.
Als Jugendlicher war für mich der Willbaser Markt in Blomberg ein großes Ereignis. Das ist eine Art Kirmes im September. Schützenfeste habe ich erst später durch einen Nebenjob kennengelernt. Die Vertrautheit untereinander gefällt mir. Ist einer mal nicht gut drauf, merken die anderen das und ziehen ihn mit. Die Kehrseite ist, dass man unter Beobachtung steht."
Paul Meier zu Biesen, 22 Jahre, aus Detmold
Sechsmal im Monat „abschädeln“
Befragt man Jugendliche zu ihrem Umgang mit Alkohol, fällt auf, dass ein Teil von ihnen sich regelmäßig gezielt an einen Pegel herantrinkt, der das Gehirn dauerhaft schädigt. Das ergab eine Umfrage unter 5200 Schülern an sechs berufsbildenden Schulen in NRW im Herbst 2021. Danach trinken sich Jugendliche durchschnittlich an sechs Tagen im Monat bis zum Rausch – im Jugendjargon „Abschädeln“ genannt. Das geht schneller als mancher vermuten mag:
Fünf kleine Biere (0,25 l) am Abend – schon gilt ein Mann als Rauschtrinker. Bei einer Frau reichen vier Gläser Bier.
Wer dann noch weitermacht, trinkt bis zum „Filmriss“, der teilweisen „Betäubung“ des Gehirns mit Gedächtnislücken.
Ein häufig berauschtes Gehirn hat es schwerer, sich an Dinge zu erinnern oder Neues zu lernen.
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