Interview mit Prof. Dr. Thomas Großbölting

„Es gab ein stark überhöhtes Priesterbild“

Das Thema sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erschüttert das Bistum Münster. Der Leiter der aktuellen Studie erläutert, was die Taten begünstigt hat.

Inwieweit hat ein spezielles ­katholisches Milieu die Taten begünstigt?

Einer der wichtigsten Faktoren ist tatsächlich die Pastoralmacht des Priesters gegenüber den Kindern. Je dichter das katholische Milieu ist, je stärker jemand in diese katholische Lebenswelt gebunden ist, desto stärker ist auch die Möglichkeit des Täters, ihn im Zweifel vom Missbrauch als einer „gottgewollten Tat“ zu überzeugen. Insofern ist überall da, wo diese Glaubenszusammenhänge besonders dicht sind, diese Gefahr potenziell höher. Martin Schmitz, Leiter einer Selbsthilfegruppe in Rhede, hat das mal gut ausgedrückt: „Ich wurde missbraucht, nicht obwohl, sondern weil ich katholisch war.“ Die jungen Betroffenen sind meist katholisch gebunden, als Messdiener aktiv gewesen. Seit den 1960er-Jahren haben die katholischen Milieus allerdings an Bedeutung verloren, in der Stadt geschah das schneller als auf dem Land.

Gab es Unterschiede zwischen Stadt und Land?

Das hört sich naheliegend an. Das katholische Milieu ist auf dem Land in der Regel dichter, beispielsweise im Oldenburger Münsterland oder im ländlichen Westfalen. Der Ort von Taten war aber vor allem von der Versetzungspolitik des Bistums abhängig. Also: Wo schickt man den Intensivtäter als Nächstes hin? Wir haben versucht abzuprüfen, ob es besonders betroffene Orte und Regionen gibt. Da haben wir aber keine statistische Abhängigkeit gefunden.

Welche Rolle spielte ein überhöhtes Bild von Priester und Kirche?

Das ist bis in die 1980er-Jahre hi­nein der entscheidende Faktor. Betroffene berichten immer...