Wir essen heute anders als noch vor 50 Jahren. Doch die Entwicklung geht weiter. Wie sich unsere Ernährung verändert, zeigen zahlreiche Überlegungen und Studien von Zukunftsforschern aus aller Welt.
Warum werden wir anders essen?
In Deutschland leben wir im Wohlstand. Essen ist hierzulande nahezu jederzeit und überall verfügbar. Doch Lebensbedingungen verändern sich, in rasantem Tempo.
Leben und arbeiten
Die Zahl der Einpersonenhaushalte ist seit 1991 um 46 % gestiegen. Heute wohnt jeder Fünfte alleine. Außerdem schlägt der demografische Wandel durch. Die Bevölkerung wird älter und die Zahl der Älteren steigt. Gleichzeitig verändern sich die Lebensbedingungen bei den Jüngeren. Essen findet zunehmend außerhalb der eigenen vier Wände statt – begründet dadurch, dass Frauen häufiger berufstätig sind und Kinder Ganztagsschulen besuchen. Nur rund jeder zweite Deutsche (57 %) zwischen 20 und 49 Jahren frühstückt unter der Woche zu Hause.
Digital und vernetzt
Die Möglichkeiten der neuen Medien sind unbegrenzt. Neun von zehn Menschen über zehn Jahren nutzen das Internet. Längst geht ein Großteil über das Handy online. Der stationäre Computer hat ausgedient. Jeder sechste (16 %) verwendet außerdem Gesundheits-Apps, um sich selbst zu überprüfen oder sich mit anderen zu vergleichen.
Nachhaltigkeit
Umweltschutz, Tierwohl und Klimagesundheit – nur drei Schlagworte, die Einzug in die öffentliche Diskussion und so in die Köpfe der Menschen gehalten haben. Viele denken mehr darüber nach, welche Auswirkungen ihr Handeln auf die Umwelt hat. Ob Absichtserklärung oder reale Handlung, das Bewusstsein für die Themen nimmt zu. Das heißt nicht, dass der Großteil der Deutschen auf den Fleischkonsum verzichtet. In rund 5 % der Haushalte lebt ein Vegetarier. Aber in jedem dritten wird der Fleischkonsum bewusst reduziert.
Wie werden wir in Zukunft essen?
Veränderungen der Ernährung erfolgen nicht gradlinig. Sie bestehen aus Trend und Gegentrend sowie Wunsch und Wirklichkeit. Ein paar Beispiele:
Allein, zusammen, daheim und auswärts?
Jeder dritte Deutsche (35 %) isst seine Hauptmahlzeit allein. Obwohl 88 % angeben, ihr Essen am liebsten in Gesellschaft einzunehmen. Gemeinschaft beim Essen finden die Menschen im Internet. Jeder Fünfte postet Fotos von Mahlzeiten, „FoodPorn“ genannt. Aber jeder Zehnte hat noch nie von diesem Trend gehört, geschweige denn selbst Essen spektakulär in Szene gesetzt, fotografiert und online verbreitet.
Regional, global, Slow und Fast Food?
Die regionale Herkunft von Lebensmitteln ist für 78 % ein ausschlaggebendes Kaufkriterium. Und dennoch ist in keinem Land der Welt die heimische Küche so wenig verbreitet wie hierzulande. Nur jedes dritte Restaurant bietet nationale Küche an. In Italien sind es 77 % der Restaurants. Immerhin nimmt sich die Hälfte der Menschen Zeit, in Ruhe in den Arbeitspausen zu essen. Trotzdem steigt der Umsatz der Fast-Food-Restaurants in Deutschland seit Jahren.
Teuer, billig, verarbeitet und natürlich?
Produkte, die „bio“, „FairTrade“ oder „Frei von …“ sind, sind beliebt. Diese Label verlieren an Bedeutung, wenn die Preise steigen. Dann greift gut jeder Zweite zur günstigeren Variante. Bei Convenienceprodukten ist der Preis weniger wichtig. Die Zeit zum Kochen ist knapp, der Markt boomt. Aufwendig verpackt steht dieser Trend in Kontrast zu den Unverpackt-Läden. Hier sucht man stark verarbeitete Lebensmittel vergeblich. 2015 wurden bundesweit nur fünf solcher Geschäfte gezählt, heute sind es mehr als 70.
Was werden wir essen?
Fleisch aus dem Labor?
Bereits seit den 1990er-Jahren forschen Wissenschaftler in den Niederlanden daran, Fleisch in der Petrischale wachsen zu lassen. Mit Eiweiß aus Kälberserum „gefüttert“ wachsen Muskelzellen in einer Nährlösung heran. Das Vermehren von Fett- und Bindegewebszellen gestaltet sich bisweilen schwierig. Bis das Steak auf dem Teller eine akzeptable Größe, die bekannte Konsistenz, den typischen Fleischgeschmack und einen bezahlbaren Preis hat, ist weitere Forschung und Entwicklung notwendig.
Entengrütze?
Entengrütze ist eine wurzellose Wasserlinse der Gattung Wolffia. In Asien ist sie seit Jahrhunderten als Delikatesse bekannt. Sie ist fettarm und dennoch reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren sowie Eiweiß. Geschmacklich erinnern die „Eier des Wassers“, wie sie in Thailand genannt werden („Khai Nam“), an junge Erbsen oder grünen Salat. Die kleinen grünen Kügelchen sind in der EU noch nicht als Lebensmittel zugelassen. In Israel versucht das junge Start-up GreenOnyx die gesunde Linse zum Selbstanbau in die Haushalte zu bringen. Der Zuchtreaktor erinnert an eine Kaffeemaschine. Auch in der Tierfütterung wäre der Einsatz der Wasserlinse denkbar. In der EU konzentriert sich die aktuelle Forschung bislang auf den Einsatz in der Biomasse-Produktion, da sie zu den am schnellsten wachsenden Blütenpflanzen der Welt gehört.
Insekten?
Eine Grille ist aus Sicht von Ernährungsexperten keinen Deut schlechter als ein Stück Rindfleisch. Die kleinen Tiere sind in der Zucht und Mast ökologisch deutlich nachhaltiger. Sie benötigen weniger Platz und haben einen höheren Ausschlachtungsgrad. Außerdem verursachen sie geringere Emissionen und verbrauchen weniger Wasser. In Asien, Lateinamerika und Afrika ist der Verzehr von Insekten längst üblich. Reich an Proteinen und wichtigen ungesättigten Fettsäuren erweitern sie vielerorts den Speiseplan.
Seit Anfang 2018 dürfen sie in der EU verkauft werden. In Müsliriegeln, Schokolade und Burger Pattys enthalten, fristen sie ein Nischendasein. Denn der europäische Gaumen muss sich noch an Insekten gewöhnen. Käfer, Raupen und Heuschrecken werden außerdem im Rahmen der Tierfütterung diskutiert. Denn nicht nur Haustiere und Fische fressen Insekten. In der Schweine- und Hühnerhaltung bestünde Potenzial. Für eine regionale Insektenproduktion wären aber noch Gesetzesänderungen vonseiten der EU notwendig.
Kommentar: Von Macht und Pflicht
Die Zukunft der Ernährung ist nicht in Stein gemeißelt. Jeder von uns trifft täglich Entscheidungen, die das Morgen verändern. Rund 82 Mio. Verbraucher stimmen an den deutschen Ladentheken ab. Sie geben durch Kauf und Verzicht ein klares Votum mit globalen Konsequenzen ab. Wie sich unsere Welt verändern wird, hängt von jedem Einzelnen ab.
Spätestens seit ein schwedisches Mädchen entschied, nicht mehr zur Schule zu gehen, um ein Zeichen für den Umweltschutz zu setzen, ist klar: Jeder hat eine Stimme und jeder hat Macht. Wie groß dieser Einfluss ist, haben Boykotts als Folge von Lebensmittelskandalen bereits gezeigt. Ob gerechtfertigt oder nicht – drängten die Verbraucher so manchen Hersteller an den Rand des Ruins.
Mit jedem Einkauf beeinflussen wir die Zukunft. Wollen wir bio oder konventionell, verpackt oder unverpackt, regional oder global, Insekten oder Soja, Fleisch vom Tier oder aus dem Labor? Entscheiden Sie selbst! Und noch wichtiger: Handeln Sie entsprechend!
Katrin Quinckhardt