Das Feuer prasselt unter dem schweren Kessel aus Kupfer, laut zerknallen die Harzgallen des Holzes. Der Kessel fasst 340 l. Im Nebenraum ist das Nachspülen der Melkmaschine zu hören, von draußen dringen erste Sonnenstrahlen durch die kleinen Holzfenster. Geschäftig laufen Katja Auracher und Ilona Bickmann in Gummistiefeln und langen weißen Schürzen durch die Küche der Alphütte. Von Zeit zu Zeit ist das Klingeln der Kuhglocken zu hören, wenn sich Fabula, Rose oder Pauline hinten im Stall bewegen. Es ist sieben Uhr, die Kühe sind gemolken. Katja prüft noch schnell den Säuregrad der Kultur in einem Reagenzglas. Je nach Kultur entsteht die gewünschte Käseart, in diesem Fall: Berner Alpkäse.
Von Delbrück in die Berge
Seit Mitte Mai ist Ilona Bickmann „auf der Alp“ im französischen Teil der Schweiz. 785 km sind es von ihrer Heimatstadt Delbrück im Kreis Paderborn bis nach Rougemont im Kanton Waadt. Die 39-Jährige ist zum zweiten Mal auf einer Alp. Ihre Kollegin Katja Auracher ist eigentlich Goldschmiedin und kommt aus Augsburg. Diese Alp ist ihre sechste. Zusammen versorgen die beiden 23 Milchkühe für den Besitzer der Alphütte „La Neyrivue“.
Die beiden Frauen teilen die Leidenschaft für die Arbeit mit den Tieren, die Ilona Bickmann erst spät zum Beruf gemacht hat. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete sie lange in einem Medienkonzern. Ein Sabbatjahr führte sie auf landwirtschaftliche Betriebe in verschiedenen Ländern. Danach wollte sie herausfinden, wo Lebensmittel herkommen und wie sie angebaut werden. Zum 30. Geburtstag schenkte ihre beste Freundin ihr einen „Tag auf dem Hof“. Ilona Bickmann schwenkte um und begann eine landwirtschaftliche Ausbildung. Inzwischen hat sie auch ihren Agrarbetriebswirt gemacht, an der Fachschule für Ökologischen Landbau in Kleve.
Zwei Käselaibe pro Tag
Zurück auf die Alp: Jeden Tag verarbeiten die beiden Frauen rund 280 l Milch zu zwei großen Käselaiben. Bevor die Milch in den Kessel fließt, wird ein Teil in flache, große Schüsseln, die „Gebsen“, geschüttet und über Nacht stehen gelassen. Die obere Haut, den Rahm, schöpfen die beiden Frauen am nächsten Morgen ab. Aus ihm stellen sie alle drei Tage Butter her. Die Milch im Kessel erhitzen sie auf 32 bis 33 °C, dann nehmen sie ihn zum Einlaben vom Feuer. Mit einer „Harfe“ schneiden sie den Käse in kleine Stücke. Der Kessel kommt wieder auf das Feuer, zum Brennen. 52 °C sind jetzt die Zieltemperatur. Der „Quietschtest“ zeigt, ob der Käse die richtige Konsistenz hat. Je größer der Bruch, desto weicher und feuchter wird der Käse. „Für Raclettekäse sollten die Stücke so groß wie Maiskörner sein, für den Berner Alpkäse wie Reiskörner“, erklärt Katja.
Mit einem Tuch wird der Käse jetzt aus dem Kessel „ausgezogen“. Temperatur, Sauberkeit und das genaue Einhalten der Zeiten sind wichtig beim Käsen. „Käse ist eine Diva“, sagt Katja und notiert die Produktionszeiten in einer Liste.
Ein Familienbetrieb
Aufgereiht an einem Balken in der Küche hängen 13 schwere Kuhglocken. Auf der größten sind die Initialen der männlichen Mitglieder der Besitzerfamilie zu lesen: Martin, Ueli, Daniel und Simon Raaflaub. Die Familie wohnt auf ihrem Biohof (www.muhof.ch) im 15 km entfernten Gstaad. Ein großer Schwall Molke läuft dampfend aus dem Käsetuch, das Ilona und Katja aus dem Kessel zum Tisch wuchten. Den Käse pressen sie in zwei große runde Holzringe, sogenannte „Järbe“. Zwei Stück stapeln Katja und Ilona aufeinander. Ein mit Steinen beschwerter Stab drückt von oben auf die Järbe und presst den Käse zusammen. Bis zum nächsten Morgen ruht er so. Die beiden Käserinnen spülen die Gerätschaften, schrubben die Arbeitsflächen und scheuern den Kessel blitzeblank.
Das gemeinsame Frühstück vor der Hütte haben sie sich jetzt verdient. Über ihnen an der Frontseite ist das Jahr zu lesen, in dem die Hütte gebaut wurde: 1797. Der Blick wandert zum „Le Rubli“, mit 2284 m der höchste Berg der Videmanette-Kette. Rougemont unten im Tal liegt auf 1007 m.
112 Laibe Käse
Unter Katjas Schlafzimmer befindet sich der Käsekeller. 112 Laibe Käse ruhen und reifen dort auf Holzbrettern. Vor dem Mittagessen wenden Ilona und Katja sie und schmieren jeden einzelnen mit Wasser oder Salzlauge ein. Bevor es abends wieder zum Melken in den Stall geht, haben sie auf den Weiden zu tun.
„Wenn man heiraten oder eine Firma gründen will, dann sollte man einmal zusammen Käse auf einer Alp gemacht haben“, sagt Ilona. „Entweder es funktioniert danach super oder gar nicht mehr.