Ben krabbelt durch die Küche. Zwei starke Hände greifen ihn, wirbeln ihn kurz durch die Luft und platzieren ihn dann zielsicher im Hochstuhl. Es ist Essenszeit im Hause Hartmann. Was sich wie ein ganz typischer Alltag einer jungen Familie anhört, ist es auch. Mit einem feinen Unterschied: Hier übernimmt tagsüber ein 2-m-Hüne die Kinderbetreuung. Die kräftigen Hände gehören Bens Vater Lennart. Der studierte Agrarwissenschaftler ist tagsüber für die Fürsorgearbeit zuständig.
Kind, Karriere und Hof
Bens Mutter Corinna ist nach achtwöchigem Mutterschutz wieder Vollzeit in ihren Beruf als Bilanzbuchhalterin zurückgekehrt. 3 % der Mütter mit Kindern unter einem Jahr tun es ihr gleich und sind wie sie vollumfänglich berufstätig. Mit Heranwachsen der Kinder erhöht sich der Anteil derer, die Vollzeit arbeiten gehen. Immerhin jede zehnte Frau mit Kindern zwischen ein und zwei Jahren geht ihrem Beruf wieder in vollem Umfang nach.
Lennart bleibt seit Bens Geburt gern zu Hause und ist Haus- und Hofmann. Denn neben der Rolle als Vater ist im vergangenen Jahr eine weitere Aufgabe hinzugekommen. Nach erfolgreicher Hofübergabe darf er nun rund 40 Mastbullen und 33 Milchkühe samt Nachzucht sein Eigen nennen. „Meine Eltern unterstützen uns super“, betont das Älteste der drei Kinder von Barbara und Bernhard Hartmann. Das Babyphone bleibt schon mal bei der Oma im Haus. Denn der 15 Monate alte Ben kann nicht bei allen Arbeiten auf dem Hof dabei sein. Die jungen Eltern sind sich ihrer Pflichten bewusst: „Ben ist nicht das Kind von Oma und Opa.“
Routinierte Väter
Arzttermin, Babyschwimmen oder die Treffen im Café Kinderwagen – Lennart Hartmann hat alles mitgemacht. „Beim Café Kinderwagen war ich der einzige Mann“, sagt der 31-Jährige. Das Café Kinderwagen in Milte ist ein Treffpunkt für Eltern von Kindern bis zu einem Jahr. Initiatorinnen sind eine Erzieherin und eine Hebamme. Während sie von den übrigen Müttern mit Fragen gelöchert wurden, kümmerte Lennart sich um Ben und gern auch um die anderen Kinder. „Irgendwie hatte ich einfach nicht so viele Fragen“, erklärt der junge Vater.
Beim Babyschwimmen waren zumindest hin und wieder mal Väter dabei. „Es war schon lustig, wenn die Mütter am Rand saßen und die Männer mit ins Wasser mussten. Die wussten häufig nicht so genau, mit ihren Kindern umzugehen“, schildert der blonde Westfale seine Erfahrungen.
Der passionierte Landwirt hat vereinzelt aber auch erlebt, dass es nicht immer einfach ist und das Umdenken in der Gesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. So waren die Sammelumkleiden, auch die der Herren, während des Babyschwimmens für die Frauen reserviert. Lennart Hartmann zog sich in der Einzelkabine um, doch hier gab es leider keine Wickeltische. „Ben habe ich dann einfach am Beckenrand umgezogen. Was sollte ich auch anderes machen?“, fragt er achselzuckend.
Rückhalt anstatt Kritik
Ebenso pragmatisch löste der Tierhalter die Frage nach der kindgerechten Ernährung. „Ich habe das mal kalkuliert und festgestellt, dass sich das Kochen von so kleinen Portionen nicht rechnet“, erklärt er. Ben hat Essen aus dem Gläschen bekommen. Schräge Blicke von Müttern habe er dafür nicht erhalten. „Und das, obwohl die meisten Eltern heute selbst kochen. Das gehört in der Gesellschaft doch quasi zum guten Ton“, ergänzt seine Frau Corinna, die nach Feierabend die Kinderbetreuung übernimmt. „Morgens schleiche ich mich meist raus, wenn die beiden noch schlafen“, erzählt die 33-Jährige. „Abends freue ich mich dann auf die Zeit mit meinen Männern“, gibt sie unumwunden zu. Für die gebürtige Warendorferin war immer klar, dass sie nach der Geburt ihres Sohnes wieder Vollzeit arbeiten gehen würde. „Mein Job macht mir Spaß“, sagt Corinna Hartmann. Unverständnis für die Entscheidung haben Lennart und Corinna weder im Freundeskreis noch von Arbeitskollegen erfahren. „Da hat sich in den letzten Jahren doch einiges in den Köpfen gewandelt“, sind sie sich sicher. Und doch wissen sie, dass ihr Weg, die Care-Arbeit aufzuteilen, noch nicht alltäglich ist.