Man nehme ein bisschen Sauerland, ein paar Gramm Münsterland sowie einen der besten Böden Deutschlands und vermenge alles mit einer Prise Ostwestfalen und einem Hauch Ruhrgebiet: Fertig ist der Kreis Soest.
Der viertgrößte Kreis NRWs mit seinen mehr als 1300 km² ist landschaftlich so vielfältig wie kaum eine andere Region. Mehr als 300 000 Menschen leben in den 14 Gemeinden und Städten in der Nähe des historischen Hellweges.
Am Lauf der Lippe
Doch blicken wir auf die einzelnen „Zutaten“: Den nördlichen Teil prägt die Münsterländer Parklandschaft. Hier treffen die drei Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Detmold aufeinander.
Die Lippe schlängelt sich entlang der Grenze zum Kreis Warendorf und bildet den Übergang zwischen dem Münsterland und den Hellwegbörden. Mittlerweile ist der Fluss in Teilen wieder renaturiert, vor allem in der Gemeinde Lippetal.
Weiter geht es flussaufwärts nach Lippstadt, mit mehr als 67 000 Einwohnern die größte Stadt des Kreises. Die erste Planstadt Westfalens gründete Bernhard der Zweite, ein Ahnherr des Lipper Fürstenhauses, im Jahr 1185.
Seit 1945 sitzt die Deutsche Saatgut Veredelung (DSV) in Lippstadt. Das Unternehmen schufen 1923 Landwirte in Landsberg an der Warthe, im heutigen Polen. Verwandtschaftliche Beziehungen des damaligen Geschäftsführers führten die DSV nach dem Krieg an die Lippe. Rund 800 Aktionäre, in der Hauptsache Landwirte und Mitarbeiter, halten heute das Stammkapital.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mauserte sich Lippstadt zu einem Zentrum der Automobilzulieferer, vor allem in der Lichttechnik. Der Scheinwerfer-Spezialist Hella mit weltweit 35 000 Mitarbeitern ist der größte Arbeitgeber im Kreis. Die Eigentümerfamilien haben vor wenigen Wochen ihre Aktienmehrheit an einen französischen Autozulieferer verkauft. Der Standort in Lippstadt mit seinen knapp 5000 Beschäftigten gilt aber als sicher.
Insgesamt liegt die Arbeitslosigkeit im Kreis bei 5,5 % und nähert sich dem Vor-Corona-Niveau von 5,3 % an. Am Horizont zeichnet sich der Fachkräftemangel ab. 40 % der Beschäftigten arbeiten im produzierenden Gewerbe, vor allem bei mittelständischen Unternehmen. Zum Vergleich: In NRW sind es 25 %. Klimaschutz und Digitalisierung stellen die Firmen vor Umbrüche.
Seit 2009 gibt es in Lippstadt einen Campus. Sie teilt sich mit Hamm eine Hochschule. Etwa 2000 Studierende erfahren in Lippstadt mehr über Mechatronik, Bionik und Photonik – im engen Austausch mit der Praxis.
Mehr als alte Gassen
Die akademische Tradition ist in Soest deutlich älter. Vorläufer gehen zurück bis ins Jahr 1824. Seit 2002 ist der dortige Campus, zu dem auch der Fachbereich Agrarwirtschaft zählt, Teil der Fachhochschule Südwestfalen. Schon seit 1966 gibt es in Soest eine Ingenieurschule für den Landbau – entstanden aus der Höheren Landbauschule.
Die angehenden Agraringenieure – heute Bachelor und Master – finden damals wie heute ideale Bedingungen für den Ackerbau in der Umgebung. Nördlich des Höhenzuges Haarstrang, der sich quer durch den Kreis zieht, lagerte sich in der letzten Eiszeit Löss ab. Auf ihm bildeten sich nährstoffreiche Böden. So gehören die Werl-Unnaer Börde, die Soester Börde und die Geseker Börde mit zum fruchtbarsten Ackerland Deutschlands.
Reiche Getreideernten, Salz aus Sole und die Lage am Hellweg machten Soest im Mittelalter zu einer überregional bedeutenden Stadt. Hier entstand das erste aufgezeichnete Stadtrecht auf deutschem Boden, niedergeschrieben auf einer Kuhhaut. Allein 65 Städte in Norddeutschland orientierten sich daran. Die Gassen der 47 000-Einwohner-Stadt zeugen noch heute von diesem Stolz . 2030 möchte die Stadt klimaneutral sein und wieder eine Vorreiterrolle einnehmen.
Heute fertigt in Soest Kverneland Sämaschinen und die Firma Müthing hochwertige Mulcher. Der Süßwarenproduzent Kuchenmeister stellt nicht nur Pumpernickel her, sondern vor allem Christstollen und Baumkuchen und gilt als Weltmarktführer.
Einst zwei Kreise und ein Amt
Zum heutigen Kreis Soest verschmolzen 1975 die Altkreise Soest und Lippstadt und das ehemalige Amt Warstein, ein Teil des Altkreises Arnsberg. Das Wappen spiegelt das wider:
Der Petrusschlüssel als Stadtwappen von Soest sowie für den Kreis Lippstadt die Rose als Symbol des Hauses Lippe liegt auf dem kurkölnischen Kreuz. Die Wahl des Kreissitzes fiel auf Soest. Die Stadt liegt zentraler als das größere Lippstadt.
Ob die Lippstädter das überwunden haben, lässt sich nur vermuten. Das wieder verfügbare Autokennzeichen „LP“ erfreut sich einer sichtbaren Beliebtheit. Die Trennung zeigt sich bei den Tageszeitungen. Während der „Soester Anzeiger“ im Altkreis Soest auf dem Tisch liegt, ist die Tageszeitung „Der Patriot“ um Lippstadt verbreitet.
Für Bauern und Rentner
Zahlreiche Schlösser und Herrensitze zeugen von dem einstigen, zum Teil umkämpften Reichtum der Region. Für Landwirte ist das berühmteste Haus Düsse im Bad Sassendorfer Ortsteil Ostinghausen. Aus der einstigen Melkerschule entstand eine zentrale Bildungs- und Versuchseinrichtung für Tier- und Pflanzenproduktion der Landwirtschaftskammer NRW und Sitz des Zentrums für nachwachsende Rohstoffe. Zurzeit blicken die Bauern gespannt auf den geplanten Modellstall für Schweine, dessen Planung ins Stocken geraten ist.
Bad Sassendorf selbst ist mittlerweile das Florida NRWs. Fast ein Drittel der Einwohner ist älter als 65 Jahre. Damit ist die Gemeinde eine der Kommunen mit dem höchsten Durchschnittsalter der Bevölkerung. Ähnlich wie in dem Sunshine State verbringen in dem Kurort viele Menschen ihren Lebensabend.
Der einstige Sälzerort, in dem bis ins 20. Jahrhundert Salz aus Sole gewonnen wurde, bildet mit Bad Waldliesborn und Bad Westernkotten das westfälische Bäder-Dreieck. Nicht nur dort, sondern im ganzen Kreis spielt die Gesundheitsbranche mit 20 000 Beschäftigten eine wichtige Rolle.
Lotse für Landärzte
Damit Praxen nicht schließen müssen, bietet die Wirtschaftsförderung des Kreises einen Arzt-Lotsen an. Seit 2017 konnte er 20 Mediziner vermitteln, viele in die ländlichen Gemeinden. Denn mehr als ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger wohnt in einem der 160 Dörfer mit bis zu 3000 Einwohnern. Manche der Orte sind mehr als 1000 Jahre alt. Vor allem in den Börden sind sie bis heute von der Landwirtschaft geprägt, was nicht immer einfach für die Entwicklung der Betriebe war. So mancher Hof ist aufs freie Feld „umgezogen“.
Drei LEADER-Regionen decken das Kreisgebiet ab. Darüber lassen sich Projekte aus und für die Dorfgemeinschaft mit EU-Geld finanzieren. Das Anröchter Dorf Altenmellerich darf sich Bioenergiedorf nennen. Es deckt seinen Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf Kreisebene liegt bei fast 40 %. Vor allem auf dem Haarstrang, wie um Ense, aber auch um Anröchte und Rüthen, stehen zahlreiche Windkraftanlagen. Seit 2017 ist aber keine Anlage hinzugekommen. Gestritten wird gerade um 15 Windräder im Warsteiner Wald.
Waldarm und waldreich
Der Wald ist im Kreis Soest sehr unterschiedlich verteilt. In der Soester Börde herrscht Waldarmut. In Kommunen wie Soest und Bad Sassendorf sind weniger als 5 % der Fläche bewaldet. Im gesamten Kreisgebiet liegt der Anteil bei 17 %. Südlich der Möhne sieht es anders aus. Allein auf der Fläche der Kommune Warstein gibt es 55 % Wald – ein Spitzenwert in NRW. Der Stadtwald von Warstein ist knapp 5000 ha nach Brilon der zweitgrößte städtische Waldbesitz in NRW.
Im Forst des Kreises hat seit 2018 massiv der Borkenkäfer gewütet. 95 % des Fichtenvorrates sind geschädigt. Von rund 23 000 ha Wald sind seit dem Sturm Friederike 9000 ha Fichte betroffen – knapp 40 %. Die Forstleute stehen vor der Herausforderung, Mischbestände zu pflanzen, die an den Klimawandel angepasst sind. Auch das Sikawild im Arnsberger Wald bereitet ihnen Kopfschmerzen. Das Waldgebiet liegt mit mehr als der Hälfte im Kreis Soest und ist Lebensraum des größten Sikawild-Bestands Deutschlands. Die aus Ostasien stammende Hirschart verbeißt junge Triebe und schält die Rinde der Bäume.
Das Westfälische Meer
Um Rüthen, der flächenmäßig größten Stadt, und Warstein, der waldreichsten Stadt, spürt man die Nähe zum Sauerland. Eingebettet zwischen Wäldern und Hügeln liegt die 1753 gegründete Warsteiner Brauerei der Familie Cramer. Sie gehört zu den Top Ten der deutschen Bierhersteller. Vor Jahren hat sie andere Brauereien wie die Herforder oder die Paderborner geschluckt.
In Warstein-Belecke fertigt Infineon Halbleiter für Automobile, Windkraftanlagen und Haushaltsgeräte. Durch den Süden fließt die Möhne, deren Wasser seit 1913 durch die Möhnetalsperre gestaut wird und das „Westfälische Meer“, den Möhnesee, bildet. Im Südwesten, wo die Ruhr den Kreis schneidet, liegt Wickede. Bis heute ein Ort der Stahlproduktion.
Ein gutes Wege- und Straßennetz zeichnen den Kreis aus. Dort wo einst der Hellweg Flandern und Osteuropa verband, verläuft heute die Bundesstraße 1. Fast parallel dazu verläuft die Autobahn 44. Ganz im Westen schneiden die Autobahnen 445 und 2 den Kreis.
Wer auf der B 1 fährt, erspäht Türme um Erwitte und Geseke. Sie gehören zu einem der größten europäischen Zementreviere. Heute arbeiten insgesamt noch 1800 Person im Sektor „Steine und Erden“. Unter anderem in Anröchte. Dort wird ein Kalkstein gebrochen, dessen grüne Farbe ein Symbol der Hellwegregion ist, die manche als das Herz Westfalens bezeichnen.
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