Der Ennepe-Ruhr-Kreis wirkt ähnlich robust wie Stahl, der mehr als ein Jahrhundert lang aus den Hochöfen der Henrichshütte in Hattingen floss. Seit 1929 gibt es diese „Legierung“ aus Ruhrgebiet, Bergischem Land und Sauerland – eingekeilt zwischen den beiden Großstädten Wuppertal und Hagen.
Heute leben etwa 324 000 Menschen auf den 410 km². Vor 30 Jahren waren es noch 353 000. Dabei ist die Bevölkerung unterschiedlich verteilt: Während in Witten – seit 1975 Teil des Kreises – mehr als 95 000 Menschen wohnen, kratzt Breckerfeld im Südosten gerade mal an der 9000-Einwohner-Marke.
Die alte Hansestadt besitzt aber schon seit dem 14. Jahrhundert Stadtrechte. Die „Hauptstadt“ Schwelm, deren 28 000 Bewohner sich auf gerade mal 20 km² verteilen, ist die flächenkleinste Stadt NRWs und grenzt an die bergische Kapitale Wuppertal.
Früher Fluss, heute Straße
Der Kreis ist Mitglied im Regionalverband Ruhr (RVR), der Aufgaben der Bezirksregierung übernimmt. Ein dichtes Autobahnnetz durchzieht den Südostzipfel des Ruhrgebietes. Die Autobahnen 1, 43, 44 und 46 mit mehreren Anschlussstellen führen durch den Kreis. Im Sprockhöveler Stadtgebiet gibt es gleich drei Autobahnen (A 1, A 43, A 46) und das Autobahnkreuz Wuppertal-Nord. Hinzu kommen einige Bundesstraßen.
Von oben sieht es aus wie graue Streifen im samtenen Grün: Etwa ein Drittel des Kreises ist bewaldet. Aber auch hier hat der Borkenkäfer gewütet und viele Fichtenbestände ausradiert. Der höchste Punkt liegt nicht im Ardeygebirge, das im Norden verläuft, sondern ist mit 442 m der Wengenberg ganz im Süden bei Breckerfeld.
Historisch war die Ruhr, die etwa 40 km durch den Kreis fließt, bis ins 19. Jahrhundert ein wichtiger Verkehrsweg. Damals war sie die meistbefahrene Wasserstraße Europas. Ruhrschiffer verluden Steinkohle, deren Flöze im Nordkreis zu Tage traten. Deren intensiver Abbau setzte im ausgehenden 18. Jahrhundert ein. 1869 endete die Schifffahrt auf der Ruhr, da der Transport der Kohle sich auf die Schiene verlagert hatte.
Am kurvenreichen Verlauf der Ruhr liegen die Städte Herdecke, Wetter, Witten und Hattingen. Mittlerweile gilt die Ruhr als der sauberste Industriefluss Europas. Das Uferfiltrat dient als Trinkwasserreservoir für das Revier.
Der andere Fluss, der dem Kreis seinen Namen verleiht, wurde noch früher industriell genutzt. Die Ennepe entspringt bei Halver im Märkischen Kreis. Sie fließt 35 km durch den Kreis. Auf Hagener Stadtgebiet mündet der Fluss in die Volme und geht 4 km weiter in die Ruhr. An der Ennepe reihten sich einst Mühlen, Hammerwerke und Sensenschmieden – und das vor dem Boom im späteren Ruhrpott.
Sie gilt als eine Keimzelle der märkischen Kleineisenindustrie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden sich entlang ihres Laufes ungefähr 300 Kleinbetriebe, deren Hauptantrieb die Wasserkraft war. Heute drehen sich dort nur noch wenige Wasserräder.
Maloche und Metall
Die beiden Flüsse halfen der Industrie in der Region auf die Sprünge. Auch heute sind Maschinenbau, Metallerzeugung und Metallverarbeitung wichtige Branchen. Nach wie vor zählt der Kreis zu den am stärksten gewerblich-industriell geprägten Räumen NRWs. Der Anteil der Beschäftigten in der Spate ist nach wie vor hoch. Fast 40 % der etwa 110 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitet in ihr – höher als in anderen Ecken des Ruhrgebietes. Doch auch im Ennepe-Ruhr-Kreis kam es bis in die 1990er-Jahre zu einem Einbruch der Schwerindustrie.
Allein in der Henrichshütte in Hattingen malochten zu Hochzeiten mehr als 10 000 Arbeitnehmer. 1987 wurde der Hochofen 3, einer der ältesten im Revier, ausgeblasen. Doch den Strukturwandel konnte der Kreis abfedern. Zurzeit schwankt die Arbeitslosenquote um 6 % – niedriger als im restlichen Ruhrgebiet, wo der Wert meist über 10 % liegt. Grund für die Stabilität ist eine klein- und mittelständisch geprägte Industrie.
Zwischen Ruhrgebiet, Südwestfalen, Bergischem Land und dem Rheinland „verbergen“ sich viele familiengeführte Unternehmen, die sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen eine herausragende Stellung bis hin zu Weltmarktführerschaften erarbeitet haben – mehr als 30 Weltmarktführer weist der Kreis auf.
Aus dem Alltag bekannt sind hingegen andere Firmen wie Abus oder Burg-Wächter mit Stammsitz in Wetter (Ruhr). Sie stellen Metallschlösser und Abus auch Fahrradhelme her. Die Unternehmensgruppe Altenloh, Brinck & Co (ABC) mit Hauptsitz in Ennepetal ist die älteste Schraubenfabrik Deutschlands – überregional bekannt für die SPAX-Schraube.
Das Gewerbe verteilt sich gleichmäßig über den Kreis und benötigt weitere Flächen. Es konkurriert mit der Landwirtschaft und der Wohnbebauung. In den vergangenen Jahren fahndeten Wirtschaftsförderer und die IHK daher gezielt nach Brachflächen der Industrie, um sie fürs Gewerbe wieder fit zu machen.
Edelstahlschmieden
Auch heute noch stammt Stahl aus dem Kreis. Firmen wie die Deutschen Edelstahlwerke und das traditionsreiche Friedrich Lohmann Stahlwerk von 1790 – beide in Witten – haben sich auf die Produktion hochwertiger Stahltypen spezialisiert. Auch ein paar der einst zahlreichen Bergbauzulieferer haben überlebt und liefern passendes Equipment in andere Reviere der Welt.
Die Gesundheitswirtschaft mit mittelständischen Unternehmen, Fachkliniken und Forschungsinstituten – zum Beispiel in Herdecke – hat in den vergangenen Jahrzehnten neue und hoch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen. Für Innovationen sorgt seit fast 40 Jahren die erste nicht staatliche Hochschule Deutschlands, die Universität Witten/Herdecke.
Wichtiges Standbein war und ist der Tourismus. Hier setzen die Verantwortlichen auf Naherholung. Grüne Hügel mit Burgen, Skipisten, Seen und Flüssen sowie Altstädten mit viel Fachwerk und Schiefer lassen sich aus Essen, Bochum, Dortmund, Hagen und Wuppertal gut erreichen.
Hürden der Zukunft
Im Zukunftsatlas 2019 der Prognos AG landet der Kreis im Deutschland-Ranking von 401 Kreisen auf Platz 226. Ihm werden ausgeglichene Chancen und Risiken attestiert.
Doch die Wirtschaft im Kreis steht wieder vor großen Hürden. Nicht nur Digitalisierung und Fachkräftemangel spielen eine Rolle, sondern vor allem das Thema Energie. Auf dem Weg zur CO2-neutralen Produktion liegt noch eine gute Strecke vor den energieintensiven Herstellern. Manches Stahlwerk benötigt so viel Energie im Jahr wie eine Kleinstadt.
Der Anteil des aus erneuerbaren Energien gewonnenen Stroms liegt im Kreis noch unter 5 %. In Zukunft geht es darum, noch energieeffizienter in den Werken zu produzieren und weitere Gewerbedächer mit Photovoltaik auszustatten. Ein Ausbau der Windkraft im eng besiedelten Kreis mit seinen 789 Einwohnern je km² funktioniert nur an den Rändern.
Durch die Pandemie ist die Wirtschaft gut gekommen. Vielen Unternehmern bereitet der Krieg in der Ukraine viele größere Sorgen: So brechen nicht nur Absatzmärkte weg, sondern auch Energie und Rohstoffe verteuern sich. Viele Firmen brauchen Gas. Nun müssen der Kreis und seine Wirtschaft wieder beweisen, wie robust sie sind.
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