Jens Hafemann hämmert im gleichmäßigen Takt auf den unteren Teil eines Sensenblattes und rückt es pro Schlag wenige Millimeter weiter. Das Blatt liegt auf einem kleinen, glatten Amboss. Der Hammer läuft an beiden Enden spitz zu – ein typischer Dengelhammer.
Hinter Jens stehen Vater Thomas und Großvater Baldur. Sie geben dem 19-Jährigen Tipps, wie er das Blatt richtig bearbeitet, damit die Sense später wieder wie eine Rasierklinge durch das hohe Gras streicht. Denn um auf Dauer die Schnittigkeit des Mähwerkzeuges zu erhalten, ist nach längerem Gebrauch das Dünnklopfen der Schneide, das sogenannte Dengeln, wichtig.
Lippische Landesmeisterschaft
Gemeinsam stehen die Männer auf dem Heimathof des Heimatvereins Leopoldshöhe im Kreis Lippe. Dort hat der erste Vorsitzende Helmut Depping die Juroren und einige Teilnehmer des diesjährigen Dengel- und Mähwettbewerbes des Vereins erneut zusammengetrommelt. Sie fachsimpeln über das Dengeln und Sensen. Ihr Ziel ist es, diese alte Technik auch für die Zukunft zu erhalten.
Dazu richtet der Verein auf dem Heimathof alljährlich zu Fronleichnam die inoffizielle Lippische Landesmeisterschaft im Mähen und Dengeln aus. Dabei ganz wichtig: Wie ist der Schnitt und wie sauber liegt das Schnittgut später im Schwad in den eingeteilten Parzellen auf der Streuobstwiese? Richtiges Dengeln und Wetzen der Sensen ist dazu unerlässlich.
Optik vor Schnelligkeit
„Bei uns steht die Optik vor der Schnelligkeit“, sagt Rudi Strunk, Schiedsrichter und Ehrenvorsitzender des Heimatvereins. Er erinnert sich daran, wie die Idee zu dem Wettbewerb vor mehr als 40 Jahren an der Theke entstand. Seitdem kommen einmal im Jahr Gäste aus Lippe und dem Umland nach Leopoldshöhe, um den besten Schnitter zu küren. „In den vergangenen zwei Jahren musste der Wettbewerb Corona-bedingt ausfallen“, sagt Helmut Depping und stellt einige der Teilnehmer vor:
Da ist zum Beispiel Georg Müller. Der pensionierte Beamte aus Bielefeld-Brackwede hat vor ein paar Jahren die Sense für sich wiederentdeckt. „Ich habe etwas gesucht, mit dem ich auch sonntags leise mähen kann“, sagt er. Er erinnerte sich an die Ferien als Kind auf einem Hof im Münsterland. Dort griff der Senior des Bauern noch zur Sense. Mittlerweile mäht Georg Müller nicht nur den eigenen Garten und seine Wiesen mit der Sense, sondern auch die Flächen von Bekannten.
„Wenn der Rücken abends schmerzt, hält man entweder die Sense falsch oder die Größe passt nicht“, sagt der Pensionär. Er lässt seine Sense im Halbkreis von rechts nach links durch das hohe Gras gleiten. Das Blatt hat immer Kontakt zum Boden – auch bei der Rückholbewegung. Der obere Griff am Sensenbaum liegt etwa auf Schulterhöhe. Es wirkt nahezu meditativ, wie er das Blatt gleichmäßig durch das Gestrüpp zieht.
Erst Schnitter, dann Ziegler
Beim Wettbewerb starten seit Jahren auch Vater und Sohn Sonnenberg. Vater Jürgen grüßte zuletzt 2019 vom ersten Platz. Auch davor hatte er schon öfter das Teilnehmerfeld, das in diesem Jahr aus zwölf Personen bestand, angeführt. Der Tischler aus Detmold hält ein paar Mutterkühe als Hobby und greift in den Wiesen gerne zur Sense. „Am besten in den Morgenstunden. Dann fällt das Gras am besten“, sagt er.
Sein Interesse hat er an seinen Sohn Lars weitergegeben. Der 26-Jährige hat das Dengeln in Vorbereitung auf den Wettbewerb gelernt. Er arbeitet als Archivar bei der Stadt Lage und hat ein Faible für traditionelles Handwerk. Er zieht auch gleich eine historische Verbindung zwischen Lippe und der Sense: „Bevor die Lipper zum Ziegeln in die Niederlande wanderten, gingen sie dorthin zum Mähen.“ Schon im 17. Jahrhundert brachen sie als Wanderarbeiter im Sommer nach Friesland und Holland auf, um sich als Grasmäher und Torfstecher zu verdingen.
Gemeinsam mit seinem Vater zeigt Lars, wie man die Sense richtig wetzt. Das Wetzen nimmt den Grat, die Kanten im Metall, aus dem 70 cm langen Blatt. „Das muss man am Tag mehrfach wiederholen“, sagt Jürgen Sonnenberg. Dazu stellt er die Sense fest auf und arbeitet sich mit langen Strichen vom Bart zur Spitze vor. Wichtig dabei: immer in dieselbe Richtung streichen.
Sensen hält jung
„Ähnliche Wettbewerbe wie in Leopoldshöhe gibt es in Süddeutschland und Österreich und entlang der Küste, wo heute noch oft zur Sense gegriffen wird“, erzählt Baldur Hafemann. Für seinen Sohn Thomas spricht vieles für die Sense. Die fast lautlose Art zu mähen spart Sprit. „Mit der Sense lassen sich Gräben mähen, aber auch Streuobstwiesen und Blühstreifen“, sagt der Papiermacher aus Leopoldshöhe. Dabei sei er genauso schnell wie mit dem motorisierten Freischneider. Selbst eine Kleewiese lässt sich mit einer scharfen Sense kürzen.
Thomas Hafemann hat in diesem Jahr den Wettbewerb gewonnen. Er hat den Umgang von seinem verstorbenen Großvater gelernt. „Schon als Kind habe ich für die Kaninchen und Schweine Futter geschnitten“, erzählt der Lipper. Über den jährlichen Wettbewerb ist er dabei geblieben und hat seine Söhne dafür begeistert. Sein Vater Baldur senst mit seinen 77 Jahren noch täglich, um frisches Futter für die Kaninchen zu schneiden. „Das hält jung“, schmunzelt er.
Wichtig ist der korrekte Transport. „Nicht auf der Schulter. Es ist eben ein großes Messer“, sagt Thomas Hafemann. Er fasst die Sense etwa in der Mitte des Sensenbaums an, um sie auszubalancieren. Das Sensenblatt zeigt nach vorn.
Doch zurück zum Dengeln. Während mehrfach gewetzt werden muss, reicht das Dengeln einmal am Tag. Baldur Hafemann prüft die Klinge der Sense. Der dünne Schneidbereich lässt sich nun mit dem Fingernagel verformen. „So muss es sein. Damit könnte Jens sich jetzt auch rasieren“, zwinkert der Senior. Dass der Enkel das Dengeln kann, hat er beim Wettbewerb bewiesen. Da landete er als zweitjüngster Teilnehmer als Dritter auf dem Treppchen.
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