Entwicklung ländlicher Räume

Das Comeback der Dörfer

Neue Arbeitsformen, Telemedizin und Dorf-App statt der ewigen Diskussion über Abwanderung, Alterung und Schließung. Ländliche Räume scheinen derzeit eine Renaissance zu erleben. Zentraler Treiber ist die Digitalisierung.

Thomas Aßmann, Landarzt und Telemedizin-Pionier aus Lindlar, ist sich sicher: „Wir haben ein Zeitalter des Landes vor uns!“ Das, was Aßmann als flammendes Plädoyer vergangene Woche auf einer Veranstaltung des Zentrums für ländliche Entwicklung (ZeLE) vorträgt, passt derzeit gut ins Bild: Der ländliche Raum rückt wieder verstärkt in den Fokus. Zahlreiche Projekte und Initiativen vor Ort nehmen sich der Lebensverhältnisse der Menschen an. Und auch Berlin stellt mit zusätzlichen Finanzmitteln und gleich zwei Ministerien die politischen Weichen für zukunftsfähige ländliche Räume. Ein, vielleicht das zentrale Thema dabei ist die Digitalisierung.

Vielfältige Chancen?

Einig waren sich auch die Teilnehmer und Referenten der ZeLE-Veranstaltung in Dörentrup: Gerade für das Leben auf dem Dorf ergeben sich durch die Digitalisierung vielfältige Chancen. Wege können eingespart, das Miteinander ausgebaut und die Versorgung gesichert werden. Aber – und auch hier herrschte Einigkeit – diese Chancen werden noch nicht ausreichend genutzt.

Dass es vor Ort nicht an innovativen Ideen mangelt, zeigen die 237 für das Programm „Land.Digital“ eingereichten Projektskizzen. Gerechnet hatte Christian Rößler von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit knapp 100 – optimistisch geschätzt.

Schreibtisch auf Zeit

Warten die „Land.Digital“-Ideen noch auf das offizielle Go in Form eines positiven Förderungsbescheides, wird in der Westeifel bereits der digitale Alltag erprobt. So hat sich das Projekt „Schreibtisch in Prüm“ zum Ziel gesetzt, ein wohnortnahes, professionelles Arbeitsumfeld zu schaffen. Im ehemaligen, zuvor leer stehenden Kreiswasserwerk des knapp 5500 starken Ortes können acht Arbeitsplätze zeitlich flexibel angemietet werden. „Coworking“ nennt sich das Konzept hinter dem Projekt. Spannend ist dies gerade für Pendler. Statt jeden Tag lange Strecken zurückzulegen, kann vom Coworking-Space aus gearbeitet werden. Der Vorteil zum Homeoffice: Arbeits- und Wohnort werden klar getrennt.

Nebenbei soll innerörtlicher Leerstand verringert und Kaufkraft im Ort gehalten werden. Genutzt wird das Angebot allerdings noch eher verhalten, räumt Carolin Oldenstein von der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz ein. Vier Nutzer coworken derzeit regelmäßig.

Der Arzt in der Tasche

Als Landarzt im oberbergischen Kreis saß Thomas Aßmann viel im Auto. Für einen zehnminütigen Hausbesuch musste er im Schnitt rund 50 Minuten fahren. Zeit, in der seine Kompetenz als Arzt niemandem zur Verfügung stand. „Fragen Sie mal meine Mitfahrer, wie kompetent ich Auto fahre, da hat niemand was von!“ Eine Lösung haben Aßmann und sein Team mit dem Projekt „TeleArzt Lindlar“entwickelt. Statt dem Hausarzt selbst besucht nun eine speziell ausgebildete medizinische Fachangestellte die Patienten zu Hause. Immer dabei: Die Telemedizin-Tasche, in der sich eine komplette internistische Praxis befindet. Die vor Ort erhobenen Daten werden über die Messgeräte direkt in die Praxis übermittelt. Bei Bedarf kann sich der Arzt jederzeit per Videokon­ferenz dazuschalten. „Wir müssen den Patienten mit der modernen Technik mitnehmen, nicht abhängen“, betont Aßmann. Daher sei auch immer eine dem Patienten bekannte Arzthelferin dabei.

Bürokratische Hürden

Bei aller Begeisterung für die digitalen Chancen begegnen vielen der Referenten auch bürokratische Hürden. Der Deutsche Ärztetag hat zwar jüngst für eine Lockerung des Fernbehandlungsverbotes gestimmt, dennoch darf Thomas Aßmann nur Bestandspatienten als Telearzt behandeln.

Und auch Klaus Schafmeister, Leiter des Zukunftsbüros Kreis Lippe, berichtet von Hindernissen. Zur Verbesserung der eigenen Mobilität und Radiuserweiterung bieten sogenannte Freeliner – im Grunde E-Bikes mit drei Rädern – für Patienten eine sichere Alternative zum Fahrrad. Da die Freeliner aber wie Mofas eingestuft werden, dürfen sie nur im Straßenverkehr genutzt werden. Nicht in den Kurparks, wo es für die Patienten am sinnvollsten wäre.