Viele Gotteshäuser in Nordrhein-Westfalen müssen renoviert und saniert werden. Das Geld der Kirchengemeinden ist knapp, doch Tatkraft und Ideenreichtum sind reichlich vorhanden. Unser Beispiel aus Neuengeseke, einem kleinen Ort im Kreis Soest, zeigt, wie sich die Menschen für den Erhalt ihrer Kirche einsetzen.
Wir schreiben das Jahr 2002: Die Glocken der evangelischen Kirche „Johannes der Täufer“ in Neuengeseke im Kreis Soest sind verstummt. Der Glockenturm ist marode und muss dringend renoviert werden. Doch wie in vielen Kirchengemeinden fehlt dafür das Geld. Es ist die Geburtsstunde des Fördervereins der „Freunde und Förderer der evangelischen Kirche Johannes der Täufer zu Neuengeseke“. Bereits ein Jahr später rufen die drei Glocken der Kirche wieder zum Gottesdienst. Beflügelt vom Erfolg ihrer Spendenaktion, widmen sich die Vereinsgründer schnell weiteren Projekten rund um die Kirche. Denn die Kirchengemeinde allein kann die notwendigen Vorhaben kaum stemmen (siehe Kasten).
Küster ade! Ehrenamt juche!
„Wir sind die Kirche und wir machen aus ihr, was wir können“, sagt Simone Heeren-Woesthoff, Vorstandsmitglied und Ehefrau des Gemeindepfarrers. Die Opferrolle passe nicht zu ihnen, sind sich alle Beteiligten einig. In Neuengeseke nehmen die Menschen das Schicksal ihrer Kirche selbst in die Hand. Auch als im Laufe der Jahre die Stelle der Küsterin eingespart werden musste, fand sich schnell eine Gruppe Ehrenamtlicher zusammen. Sie übernehmen bis heute die Aufgabe. Weit gefehlt, wer nun denkt, dass sich die Gemeinde von der Landeskirche bei der Rettung ihres Gotteshauses im Stich gelassen fühlt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es unserer Kirchengemeinde guttut, wenn das Ehrenamt funktioniert“, fasst Heidrun Varnholt, eine der treibenden Kräfte im Vorstand des Fördervereins, zusammen. Die Aktionen rund um die Kirche werden tatkräftig von zahlreichen Gemeindemitgliedern unterstützt. Denn allen liegt das Gebäude und die dort gelebte Gemeinschaft am Herzen.
Kirche ist Leben
„Unsere Kirche ist für viele Heimat“, fasst es Sina Verhaegen zusammen. Sie ist nach fünf Jahren Studium in Köln und anschließender Berufstätigkeit in Soest wieder in den Ort zurückgekehrt. Dass ihre Tochter Amelie in der Kirche getauft wird, stand für sie außer Frage. Einstimmig führen die Vorstandsmitglieder die herzliche (Wieder-)Aufnahme in die Gemeinde auf ihren Gemeindepfarrer zurück. Dietrich Woesthoff ist seit mehr als 27 Jahren für die Gemeinde zuständig und wohnt direkt neben der Kirche. Er unterstützt die Arbeit des Fördervereins nach Kräften. Wie selbstverständlich packt er auch mal mit an, wenn die Kirchenbänke beiseite müssen oder der Altarraum für die anstehende Musicalaufführung hergerichtet werden muss.
Glaube und Gebäude
Denn das Gebäude mittelalterlichen Ursprungs ist mehr als ein Ort, um Gottesdienste zu feiern. Nicht selten weichen die Kirchenbänke weiß gedeckten Esstischen oder einer Kinobestuhlung. „Wir hatten schon die dollsten Ideen“, sagt Heidrun Varnholt schmunzelnd. So wurden sämtliche Kirchenfenster abgedunkelt, um einen Film über Martin Luther zu zeigen. Ein anderes Mal organisierte man in der denkmalgeschützten Wehrkirche ein „musikalisches Nachtmahl“. „Wenn möglich, finden alle unsere Benefizveranstaltungen in der Kirche selbst statt. Das Gemeindehaus nutzen wir nur in Ausnahmefällen oder als Künstlergarderobe“, ergänzt Michaela Dreses, die als Katholikin die Ökumene im Vorstand des Vereins lebt.
Schrott für Gott
Anders als andere Vereine haben die Förderer der Kirche zahlreiche junge Gesichter in ihren Reihen – auch im Vorstand. „20 unserer rund 80 Mitglieder sind um die 30 Jahre alt“, berichtet Heidrun Varnholt stolz. Durch die teilweise unkonventionellen Aktionen und Veranstaltungen macht der Verein immer wieder von sich reden. Zum Beispiel 2008, als klar wurde, dass die Sanierung des Kirchendaches ansteht. Es wurde rund eine halbe Million Euro benötigt. „Die Schrottpreise waren gut“, erklärt Vorstandsmitglied Karl-Heinz Schulze Zur Wiesch die kreative Idee zweier Gemeindemitglieder zu der Zeit. Kurzerhand fuhren sie mit Trecker und Anhänger durch den Ort und sammelten Altmetall zugunsten des Kirchendaches. Es kamen rund 5000 € zusammen. Jährlich kann die Kirchengemeinde mithilfe des Fördervereins rund 10 000 € zurücklegen. Zur Finanzierung des Vereins und seiner Aufgaben tragen neben den einmaligen, häufig öffentlichkeitswirksamen Aktionen auch wiederkehrende Veranstaltungen bei. So etablierte der Verein unter anderem eine neue Tradition an Weihnachten.
Mit Glühwein in die Nacht
An Heiligabend finden zwei Gottesdienste in Neuengeseke statt. Im Anschluss lädt der Förderverein gegen eine Spende zu Glühwein vor der Kirche ein. „Wir sprechen uns immer vorher ab, in welchen Gottesdienst wir gehen. Denn das gemütliche Beisammensein danach möchte keiner verpassen“, beschreibt die 28-jährige Sina Verhaegen das lieb gewonnene Ritual. Einer der beiden Gottesdienste wird seit Jahren speziell für die kleinen Gemeindemitglieder gestaltet: mit einem Krippenspiel der Konfirmanden. „Aktuell haben wir leider keine Konfirmandengruppe“, erklärt Gerlinde Blumendeller, ein weiteres der insgesamt acht Vorstandsmitglieder des Vereins. In diesem Jahr werden also die Erwachsenen das Krippenspiel übernehmen. Denn in der Gemeinde hilft man sich. Selbst wenn das bedeutet, am 24. Dezember in die Kostüme von Maria und Josef zu schlüpfen.
Gemeindemitglieder werden Förderer
Auf dem Gebiet des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen liegen drei evangelische Landeskirchen: die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen, zu der auch Neuengeseke gehört, und die Lippische Landeskirche. Sie umfassen knapp 1000 Gemeinden, mehr als 4,3 Mio. Mitglieder sowie rund 2300 Kirchen und Kapellen. Die großzügige Anzahl an Gebäuden je Gemeinde liegt in den Gemeindefusionen der vergangenen Jahre begründet. Seit 2000 fusionierte allein im Landesteil Westfalen rund jede vierte Gemeinde mit einer anderen. Aus 655 wurden so 490 Gemeinden.
Die Gebäude zu unterhalten, ist aufwendig und die Finanzmittel der Kirchengemeinden sind begrenzt. Sie erhalten ihr Geld gemäß dem Verteilungsschlüssel der jeweiligen Landeskirche. Kleine Gemeinden erhalten dabei weniger als große. In NRW führen katholische und evangelische Christen 9 % ihrer Lohn-, Einkommens- und Kapitalertragssteuer als Kirchensteuer ab. Auf dieser Basis nahm allein die evangelische Kirche in Westfalen 2018 rund 560 Mio. € ein. Rund 40 % dieses Geldes erhalten die Gemeinden zur Finanzierung ihrer eigenen Aufgaben. Sie bezahlen daraus Personal, unterhalten die Gebäude, stemmen die Verwaltung und bilden, wenn möglich, Rücklagen für anstehende Renovierungsarbeiten. Doch die Mittel reichen nicht immer aus. Viele Kirchenmitglieder gründen Fördervereine, die zum Beispiel notwendige Reparaturen übernehmen.
Einheitliche Angaben über die Anzahl an Fördervereinen gibt es nicht. Die Evangelische Kirche von Westfalen schätzt jedoch, dass bereits heute etwa jede fünfte der 911 Kirchen und Kapellen in ihrem Gebiet durch einen eigenen Förderverein unterstützt wird – Tendenz steigend.