Rechts neben mir sitzt Pasqual, ITler aus Hemer. Mir gegenüber arbeitet Jessy an ihrem Laptop. Heute sind wir sind Kollegen – Kollegen für einen Tag. Denn wir sitzen gemeinsam im Coworking-Space in Iserlohn. Rund 50 Arbeitsplätze gibt es hier in der ehemaligen Fertigungshalle, die Kim und Frank Höhne 2018 zu einem Büro umbauten. Eigentlich wollten sie ihre Kommunikationsagentur vergrößern, „doch es gelang nicht, die Kreativen aufs Land zu holen“, erzählt Frank Höhne. Kurzerhand änderte er seine Pläne und richtete Arbeitsplätze ein, die er tage-, wochen- oder monatsweise vermietet – Infrastruktur wie Internet und Drucker sind inklusive. „Wir kamen eher ungewollt zu dem, was man neudeutsch ‚Coworking‘ nennt“, schmunzelt der 53-Jährige.
CoWorking in Zahlen
In Deutschland gibt es laut Erhebung des Bundesverbandes Coworking Spaces Deutschland e. V. 1268 Coworking-Spaces (Stand 05/2020). Das Magazin „Deskmag“ meldet jeden dritten von ihnen in einem Ort mit weniger als 100 000 Einwohnern. Im Schnitt teilen sich etwa 60 Mieter 45 Arbeitsplätze. Das ist möglich, da nicht alle Schreibtische fix an eine Person, sondern flexibel vermietet werden. Im Schnitt messen die Spaces 475 m2, wobei jeder Dritte kleiner als 250 m2 ist. Die Fläche teilt sich in offene Bürofläche (47 %), Einzel- und Teambüros (19 %), Meeting- und Veranstaltungsräume (21 %) sowie Lounges (9 %) auf. Drei von vier Betreibern sind profitorientierte Unternehmen, doch nur gut jeder zweite hierzulande wirtschaftete 2019 profitabel. 40 % verbuchen weder Gewinne noch Verluste.
Alleine zusammen arbeiten
Studien zeigen, dass gerade in Großstädten diese Form des Arbeitens großen Anklang findet. Die Angebote sind sehr unterschiedlich: Einige bieten zusätzlich Kinderbetreuung, andere ein Urlaubsambiente, kombiniert mit Yoga-Einheiten in der Mittagspause. Im ländlichen Raum sind die Orte, um „alleine zusammen zu arbeiten“ oft auf das Wesentliche reduziert. Was aber alle eint, ist eine ganz maßgebliche Voraussetzung: Gutes Internet. Es ist die Einstiegshürde, die jeder Anbieter eines Coworking-Spaces nehmen muss. Denn alle Coworker sind auf diesen Kommunikationskanal angewiesen. „Das kann schon mal zu Ärger führen“, weiß Frank Höhne, der trotz Glasfaseranschluss ab und an mal Probleme mit dem Online-Zugang hat.
Obwohl der ländliche Raum nicht für flächendeckend schnelles Internet bekannt ist, bescheinigt die Studie „Coworking im ländlichen Raum – Menschen, Modelle, Trends“ der Bertelsmann Stiftung gerade den weniger stark bevölkerten Regionen großes Potenzial für das Konzept des Coworkings. Kürzere Wege zur Arbeit und so eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie ökologische Vorteile sind nur einige Argumente. Gleichzeitig trägt das gemeinsame Arbeiten verschiedener Professionen zur Integration Zugezogener bei. Es unterstützt den Netzwerkgedanken, der nicht nur für Neugründungen von Betrieben und Unternehmen notwendig ist, sondern auch sonst in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnt.
Inspiration und Netzwerken
Das ist auch vor Ort in Iserlohn spürbar. Philipp hat hier, genau wie ich, heute seinen ersten Tag als Coworker. Er kennt das Konzept schon aus anderen Orten der Welt. So hat er zum Beispiel für einen weltweit agierenden Hard- und Softwareentwickler in Dublin gearbeitet, ehe er sich in Frankfurt niederließ. „Nun haben wir ein Kind und sind in die Nähe der Familie nach Schwerte gezogen“, erzählt der Mittdreißiger. Sie brauchen das familiäre Netzwerk, wenn seine Freundin auch wieder arbeiten geht. Zusammen mit einem Freund hat Philipp vor einiger Zeit ein Unternehmen gegründet. An seinem Rechner zeigt er mir ihre Idee. Sie haben ein Programm für Online-Shops und Buchungssysteme entwickelt, das kleine Betriebe ohne großen Aufwand auf ihrer Internetseite einbauen können. Vielleicht ja auch eine Idee für Landwirte?
Netzwerken ist ein wichtiger Aspekt beim Coworking. Auch Pasqual, der ITler aus Hemer, genießt den Austausch mit den fachfremden Kollegen. Seine Beweggründe, jeden Morgen die zehnminütige Fahrt ins Büro auf sich zu nehmen, sind andere. „Hier bin ich produktiver als im Homeoffice“, sagt er. Die Firma, für die er tätig ist, sitzt in Köln und zahlt seinen Arbeitsplatz im Coworking-Space.
Das hatte ich nicht erwartet – ich dachte, hier Soloselbstständige und Freelancer, sprich freie Mitarbeiter, die nur einzelne Projekte für Unternehmen ausführen, zu treffen. Doch weit gefehlt. Hier haben sich sogar kleine Unternehmen eingemietet.
Coworking weiterdenken
Es ist elf Uhr. Pasqual hat ein Online-Meeting. Da wir im Großraumbüro sitzen, hören alle mit, was er sagt. Würde es Jessy oder mich stören, könnten wir uns an einen anderen Schreibtisch setzen – weiter weg, in der Lounge oder einem anderen Raum. Für rund 100 € im Monat haben wir die freie Platzwahl. Im Preis enthalten sind neben Internet und Drucker auch Wasser und Kaffee. Philipp will mehr Ruhe bei der Arbeit. Er würde gerne eines der kleinen Einzelbüros mit verschließbarer Tür ab monatlich 300 € mieten – wenn eins frei wäre. „Aktuell sind wir voll“, freut sich Frank Höhne, der weitere Ebenen in die ehemalige Industriehalle einziehen lässt, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Doch die Pläne des Designers, der auch in Olpe einen Coworking-Space betreibt, gehen weiter. Er möchte ein Co-Dorf bauen. „Dort sollen Menschen arbeiten, leben, Sport machen und entspannen“, beschreibt er den Vorsatz, die innovative Triebkraft der ganzen Region in den Fokus zu rücken.
Die Mittagspause läuft wie in vielen Büros: Ein Grüppchen tingelt zum Imbiss nebenan, andere packen ihr Brot aus, essen es vorm Rechner oder in der Küche. Egal, für welche Option man sich entscheidet, ein kleiner Plausch entsteht in vielen Fällen. Der Name des Coworking-Space, „Office & Friends“, scheint nicht von ungefähr zu kommen. „Büro und Freunde“ scheint hier zu klappen. Am Ende fällt es mir fast ein wenig schwer, meine „Kollegen für einen Tag“ wieder zu verlassen – aber ich darf wiederkommen, wann immer ich in der Nähe bin. Und wenn es nur auf einen Kaffee ist.