Festlich geschmückte Straßen, die Spannung beim Königsschießen, prachtvolle Kleider vor jubelnden Menschenmengen, tanzende Paare in Halle oder Zelt, rudernde Schützen bis in den frühen Morgen – das wird in diesem Jahr alles fehlen.
Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und der direkten Nachkriegszeit werden flächendeckend die Schützenfeste ausfallen. Das Coronavirus macht den Vereinen und Bruderschaften einen Strich durch die Rechnung.
Allein beim Bund der historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BhDS), einem der größten Schützenverbände, stehen dieses Jahr knapp 1000 Feste vor dem Aus, viele davon in NRW. Rolf Nieborg, BhDS-Pressesprecher, geht noch einen Schritt weiter: „Solange es keinen Impfstoff gibt, wird es kein normales Schützengeschehen geben.“
Jubiläum des Borgholzer Schützenvereins abgesagt
Viele Vereine haben schon abgesagt, andere werden in den nächsten Tagen folgen. Manche Vorstände ärgert es, dass die Landesregierung bis dato weder den Begriff Großveranstaltung genau definiert noch einen genauen Fahrplan für Feste und Feiern nach dem Ende der Kontaktsperre Anfang Mai veröffentlicht hat. Planungs- und Rechtssicherheit fehle so.
In Borgholz im Kreis Höxter haben die Schützen schon Klarheit. Dort hat der Vorstand das Fest kurz nach Ostern abgesagt. Alle zwei Jahre findet in dem 1200-Einwohner-Ort das Schützenfest statt. In diesem Jahr wäre es etwas besonderes gewesen: Am ersten Wochenende im Juni hätten sie den 400. Geburtstag ihres Vereins St. Hubertus gefeiert.
König für das Jubiläum wäre Kai-Uwe Bathe gewesen. Er hat sich beim Königsschießen 2018 durchgesetzt und gemeinsam mit seiner Königin Alice Egginger sowie den sechs Paaren des Hofstaates auf das Fest hingefiebert.
Seit dem vergangenen Jahr bereiteten sie sich vor. Die Kleider waren angepasst und der Hofstaat plante für den Festsamstag einen Mottoabend im Stil der 60er-Jahre. Dafür hatten sie eine Choreografie einstudiert. „Natürlich sind wir enttäuscht, haben aber volles Verständnis. Unter den Umständen macht Feiern keinen Spaß“, sagt der 25-Jährige.
Auch das Festkomitee um Oberst Ralf Tewes traf sich schon seit fast zwei Jahren, zuletzt alle zwei Wochen. „Die Festchronik stand kurz vor dem Druck“, erzählt der Vorsitzende. Doch schweren Herzens fassten sie den Entschluss, das Jubiläum abzusagen.
Selbst wenn sie es ausgerichtet hätten, wären weniger Gäste gekommen, ist sich Ralf Tewes sicher. Die Bevölkerung ist verunsichert und vielen fehlt durch Kurzarbeit das nötige Kleingeld, um es auf Festen auszugeben. Wirtschaftlich wird der Borgholzer Verein es verkraften können. „Die Jahre ohne Fest sind für die Bilanz besser“, sagt der Oberst.
Viele Schützenfeste im Kreis Höxter gehen höchstens mit einer ausgeglichenen Bilanz für die Vereine aus. Oft zahlen sie drauf. Denn die Feste finden überwiegend in Zelten oder Hallen statt, die den Vereinen nicht gehören. Matthias Gockeln, Bezirksbundesmeister des BhDS Bezirk Warburg, hebt aber die emotionale Bedeutung für die Orte hervor: „In den Dörfern herrscht die Zeitrechnung: Vor und nach dem Fest. Ein Sommer ohne Schützenfest kann für die Jugend lang werden.“
Manche Vereine spüren die finanziellen Einbußen
Im Sauerland ist ein Jahr ohne Schützenfest unvorstellbar, vor allem auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn in Südwestfalen gehört den meisten Schützenvereinen eine eigene Halle, in der nicht nur das Schützenfest gefeiert wird.
Dietrich-Wilhelm Dönneweg, Oberst des Kreisschützenbundes Arnsberg, geht davon aus, dass es bis in den Herbst 2020 keine Feste im Sauerland geben wird. Das Kreisschützenfest im September in Herdringen ist schon abgesagt. „Sicherlich wird es Vereine geben, die bis zur letzten Minute abwarten, ihr Fest abzusagen“, sagt er und beklagt die fehlende klare Generalabsage seitens der Landesregierung.
„Die Absage bedeut für große und kleine Vereine einen großen finanziellen Schaden“, so der Kreisoberst. Sie verlieren eine einmalige Einnahmequelle, mit der sie ihre Schützenhallen instand setzen und pflegen. Hinzu kommt vermutlich eine Nullrunde bei der Vermietung der Hallen (siehe Kasten).
Den Schützenvereinen macht ein Vorstoß der Regierungskoalition in NRW Mut. Ähnlich wie den Sportvereinen, die durch die Corona-Krise in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind, sollen Vereine der Brauchtums- und Heimatpflege durch ein millionenschweres Soforthilfeprogramm unterstützt werden. Bis dato ist dieser Vorstoß aber noch nicht vom Landtag beschlossen.
Für Kreisoberst Dietrich-Wilhelm Dönneweg ist die Bedeutung des Fests für das Gemeinschaftsgefühl der Dörfern noch wichtiger: „Auf dem Fest trifft sich Jung und Alt und vor allem ist es die Veranstaltung, bei dem die Weggezogenen zurück zu ihren Wurzeln kommen. Gerade ein Schützenfest bringt neue Mitglieder und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.“
Chance um das Image aufzupolieren
In der Absage sieht Dr. Peter Becker, Herausgeber einer Studie zur Zukunft des Schützenwesens, eine Chance für die Vereine. Sie könnten nun ihr Image aufpolieren. Oft gelten sie als Feier-Vereine und werden auf das Fest reduziert. Laut Peter Becker hätten sie nun die Möglichkeit, ihr soziales Profil zu schärfen. Sie könnten zum Beispiel Hilfe für Risikogruppen anbieten.
Außerdem ist spätestens jetzt die Zeit gekommen, sich online zu präsentieren und vorhandene Auftritte auszubauen. Darüber könnten die Schützen den Dörfern ein kulturelles Angebot bieten. „Vielleicht schaffen sie es, einen Film eines historischen Festes zu digitalisieren und online anzubieten“, schlägt der Wissenschaftler der Uni Paderborn vor.
Die Schützenhallen bleiben leer
Bei vielen Schützenvereinen im Sauerland ist das Fest die Haupteinnahmequelle und finanziert die Hallen. Bei manchen ist es andersherum. „Die Vermietung bringt bei uns wirtschaftlich mehr als das Fest“, sagt Werner Müskens von der St. Franziskus Schützenbruderschaft in Sundern-Allendorf.
Ihre Halle ist sehr gut ausgelastet. Sie haben zum Teil mehrere Veranstaltungen pro Wochenende. Besonders schmerzt dem Verein, dass zwei geplante Jugendlager in der Halle abgesagt werden mussten. Laut Müskens hätte so ein Lager mehrere Tausend Euro brutto in die Kassen des Vereins gespült.
Ohne Vermietung und das Schützenfest bleiben dem Verein nur seine moderaten Mitgliedsbeiträge als Einnahme. Der Verein muss aber trotzdem weiter die Fixkosten für die Halle sowie Reparaturen tragen. „Wir bringen die Halle permanent auf Vordermann. Allein dieses Jahr sind vierstellige Beträge in sie geflossen“, sagt er.
Außerdem hat der Verein ständig Ausgaben für neue Fahnen und Uniformen. Bei diesen Anschaffungen liegt man schnell bei mehr als 1000 €. „Ohne die Einnahmen leben wir von der Substanz. Bis zum Jahresende können wir das aushalten“, sagt Werner Müskens. Andere Vereine werden eher in Schieflage geraten, vermutet er.
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