Was sich nach einer Erfindung der Moderne anhört, ist eigentlich ein alter Hut. Schon vor über 100 Jahren begannen Laienforscher, sich an der Wissenschaft zu beteiligen. Denn bereits 1900 riefen Wissenschaftler die Bürger der USA zur ersten Vogelzählung auf. Seitdem findet jährlich zu Weihnachten der „Christmas Bird Count“ statt. Das war die Geburtsstunde der Bürgerwissenschaften, neudeutsch: Citizen Science.
Was seiner Zeit mit Papier und Stift begann, läuft heute digital. Denn die neuen digitalen Möglichkeiten erlauben es den Menschen weltweit, unabhängig von ihrem Wohnort gemeinsam zu forschen.
Motivierte Laienforscher
Die Beweggründe, aus denen sich Bürger an Forschungsprojekten beteiligen, sind vielfältig: Bei Projekten wie „Flora incognita“, einer App zum Bestimmen von Pflanzen, merkt manch ein Nutzer nicht einmal, dass er ein Forscher ist. Bei anderen Forschungsvorhaben ist das deutlich offensichtlicher. „Expeditionsteilnehmer“, die das Erdreich erforschen, Soja-Pioniere oder Hobby-Übersetzer, die historische Dokumente übersetzen, sind sich ihrer Rolle häufig sehr bewusst. Sie wollen ihr eigenes Wissen erweitern und Teil eines übergeordneten Projektes sein. Die Motivation für die Teilnahme am Migräne Radar 2.0 ist eine Mischung. Das persönliche Anfalls-Tagebuch hilft die individuellen Einflussfaktoren zu identifizieren. Die Wissenschaftler erhalten die Daten in anonymisierter Form. Aus ihnen erhoffen sie sich neue Erkenntnisse für die zukünftige Behandlung von Patienten mit anfallartigen Kopfschmerzen. Folglich geht es bei der Teilnahme an bürgerwissenschaftlichen Projekten nicht nur um den Eigennutz, sondern auch um die Möglichkeit, anderen zu helfen.
Online-Plattform für aktuelle Projekte
Auf der gemeinsamen Online-Plattform von „Wissenschaft im Dialog“ und dem Museum für Naturkunde Berlin finden Interessierte einen Überblick über Citizen Science-Projekte in Deutschland: www.buergerschaffenwissen.de
Nachfolgende ein paar Beispiele:
Pflanzen per App bestimmen – „Flora incognita“
Mit Hilfe der App lassen sich heimische, aber auch fremde Blumen, Sträucher und Bäume ganz einfach anhand von Fotos bestimmen.
Ziel: Möglichst viele Daten über die Verbreitung der verschiedenen Pflanzenarten sammeln.
Mitmachen: Dazu ist die kostenfreie App (für iOS und Android verfügbar) nötig. Pflanzen fotografieren und einfach bestimmen (lassen).
Das passiert mit den Ergebnissen: Sie sind auf der Homepage für alle einsehbar und werden für internationale Publikationen genutzt.
www.floraincognita.de (Kopf-)Schmerz lass nach – „Migräne-Radar 2.0“
Mit Hilfe des Kopfschmerzkalenders kann jeder Nutzer dokumentieren wann, wo und unter welchen Bedingungen er einen Migräneanfall bekommen hat. Die gesammelten Daten werden von Forschern verglichen und ausgewertet.
Ziel: Systematische Untersuchung von Faktoren, die anfallartige Kopfschmerzen wie Migräne oder Spannungskopfschmerzen auslösen. Das Ziel ist, Beratung und Behandlung von Schmerzpatienten zu verbessern.
Mitmachen: Nach einer Registrierung über die Web-Anwendung oder die Smartphone-App (iOS und Android) können Betroffene (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) ihre Anfälle melden.
Das passiert mit den Ergebnissen: Teilnehmer können ihre eigenen Daten in übersichtlicher Form abrufen und selbst auswerten. Die Projektergebnisse werden in medizinischen Fachmagazinen veröffentlicht.
www.migraene-radar.de Geschichte (auf-)schreiben – „Transkribathon“
Historische Dokumente sind oft handgeschrieben oder in einer alten Schrift, wie Sütterlin, verfasst.
Ziel: Historische Dokumente zu digitalisieren und sie so für nachfolgende Generationen zu erhalten.
Mitmachen: Auf der Homepage registrieren, ein Projekt auswählen und mit der Übersetzung beginnen.
Das passiert mit den Ergebnissen: Die nun maschinell lesbaren Dokumente eröffnen Wissenschaftlern neue Möglichkeiten der Analyse und Verbreitung.
www.transcribathon.com/willkommen Mit Teebeuteln forschen – „Expedition Erdreich“
Der Boden ist Lebensraum für unzählige Organismen, aber auch Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion. Die Bürgerwissenschaftler machen verschiedene Experimente und vergraben unter Anderem Teebeutel, die im Aktionskit enthalten sind, um den Boden genauer kennenzulernen.
Ziel: Wissenswertes rund um das Thema Boden kommunizieren und weitreichende Daten über die Bodenbeschaffenheit in ganz Deutschland gewinnen.
Mitmachen: Zur Teilnahme braucht es ein GPS-fähiges Gerät (dafür reicht ein Smartphone), um den Standort zu bestimmen. Die kostenfreien Aktionskits sind auch für Gruppen geeignet. Später meldet jeder Forscher seine Versuchsergebnisse online.
Das passiert mit den Ergebnissen: Sie fließen nach Abschluss der Aktion in eine Datenbank zum europäischen Tea-Bag-Index ein.
www.expedition-erdreich.de Soja selbst anbauen – „1000 Gärten“ (bereits beendet)
Ziel: Sojasorten identifizieren, die in verschiedenen Regionen Deutschlands wachsen und sich außerdem für die Tofuherstellung eignen.
Mitmachen: Interessierte konnten kostenfreie Pflanzsets mit 12 verschiedenen Soja-Kreuzungen bestellen. Sie säten sie nach Vorgabe aus, dokumentierten das Wachstum und die Ernte. Außerdem schickten sie eine Probe der Ernte an den Initiator des Projektes.
Das passiert mit den Ergebnissen: Die zurückgeschickten Proben des Sojas wurden zu Tofu verarbeitet, und so auf ihre Eignung für die menschliche Ernährung getestet. Außerdem wurden die Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet, um die Vererbung der erfassten Merkmale weiter zu erforschen.
www.1000gaerten.de Mehr zum Thema: