Nein, Ulrich Brinckmann ist keiner, der wertvolles Ackerland verschwendet. Jahrelang musste er von seinen 74 ha Nutzfläche möglichst viel Futter für 1000 Mastschweine ernten. „Ich bin konventionell wirtschaftender Landwirt. Und das bleibe ich auch“, stellt er klar. Zugleich ist es ihm und seiner Ehefrau Angelika ein Anliegen, ökologische Nischen zu schaffen. Das verwirklicht die Familie auf der eigenen Hofstelle in Iserlohn-Kalthoff. Ein Beispiel: Etwa 40 Bäume beschirmen das Haus, die Weiden und Zufahrten. „Diese Leistung fürs Klima auf dem Betriebsgelände müssen uns andere Unternehmer erst einmal nachmachen.“
Wie es gelingt, die Bürger beim Naturschutz durch Landwirtschaft einzubinden, zeigt Brinckmanns Projekt namens „Beepart“. Die Wortschöpfung spielt einerseits auf die Biene an, englisch bee genannt. Andererseits steckt darin die Redewendung to be a part of – ein Teil von etwas sein.
Erst nur ein Streifen
Anfangs waren auf der einen Seite die Bauern und die von ihnen angelegten Blühstreifen an den Wegesrändern. Auf der anderen Seite waren die Verbraucher, die sich an der Aktion „Blühendes durch Bauernhand“ erfreuten. 2022 geht diese vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband angestoßene Aktion ins fünfte Jahr. Vielerorts übernehmen einzelne Landwirte für eine Region die Einsaat einjähriger Wildpflanzen. So auch Ulrich Brinckmann, der sich seit Jahren im Verband engagiert und seit 2022 dessen Vorsitzender im Märkischen Kreis ist. Viel Freizeit ging dafür drauf, die Sämaschine passend einzustellen und dann im Mai von einem Feld zum anderen zu fahren, um die Feldränder zu bestellen. Der Landwirte stellte fest: „Das ist grundsätzlich eine Arbeit auf dem Feld, die in der öffentlichen Wahrnehmung positiv besetzt ist. Es kommt keine Gülle aufs Feld, es ist kein Pflanzenschutz nötig.“
Geht da noch mehr? Und wenn ja, wie? Darüber wurde in der Familie diskutiert. „Daran waren auch unsere drei erwachsenen Töchter interessiert. Sie haben außerlandwirtschaftliche Berufswege eingeschlagen“, berichtet Ulrich Brinckmann. Ehefrau Angelika, die als Agraringenieurin in der Umweltbildung arbeitet, zog ebenfalls mit.
Acker mit Aussicht
2019 war das Jahr der Veränderungen auf dem landwirtschaftlichen Betrieb am Stadtrand von Iserlohn. Ulrich Brinckmann gründete mit seinem jüngeren Berufskollegen Ralph Göckmann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, um die Ackerflächen gemeinsam zu bewirtschaften. Das war ein erster Schritt in Richtung Generationswechsel und Ruhestand für den heute 58-jährigen Landwirt. Im Herbst 2021 stockte er einen Großteil seines Schweinesbestandes ab.
Hinzu kam eine neue Idee: Blühstreifen mit finanziellem Ausgleich. „Wir wollten schauen, ob sich unsere ökologische Leistung am freien Markt verkaufen lässt“, erklärt Angelika Brinckmann. Aus dem Blühstreifen wurde gleich ein ganzes Feld. „Wildpflanzen bevorzugen abgemagerten Boden. Den konnten wir mit einem Acker bieten, der seit einigen Jahren stillgelegt war. „Für diese Fläche sprach auch, dass sie von vielen Menschen gesehen wird. Hundebesitzer drehen dort ihre Runden und der Radweg von Iserlohn zum Ruhrtalradweg führt vorbei“, erklärt Ulrich Brinckmann.
860 zahlende Blühpaten
Die Landwirtsfamilie meldete die 1,5 ha nicht mehr als Stilllegungsfläche für den Antrag auf EU-Betriebsprämien. Das Konzept für das Blühwiesenprojekt tüftelte sie folgendermaßen aus:
Das Saatgut stammt von einem zertifizierten Anbieter und ist auf die Region abgestimmt. Es besteht zu 40 % aus Blühpflanzen wie Färberkamille, Flockenblumen und Wilde Möhre und zu 60 % aus Kulturpflanzen wie Klee, Malven und Lupinen.
Anders als die Blühstreifen am Feldrand, die einjährig sind, bleibt die Blühwiese mindestens zwei Jahre stehen, damit Insekten überwintern und Nachkommen darin aufziehen und ernähren können.
Die Blühwiese ist in drei Teile unterteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten gemäht oder neu angesät werden. So bleiben immer Ausweichzonen für die Tiere; es können sich mehrjährige Pflanzengesellschaften etablieren. Ab Mitte Dezember 2019 bewarb Familie Brinckmann die Blühwiese auf facebook und instagram.
Auch eine professionell gestaltete, informative Internetseite wurde freigeschaltet. Sie beantwortet viele Fragen und nennt die Buchungsoptionen: 1,5 oder 10 m2 als kleine Parzellen – beispielsweise als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk. Aber auch Patenschaften über 50 oder 100 m2 sind möglich. Das nutzen örtliche Vereine, ob Pfadfinder, Sportgruppe oder Frauenkreis. Auch Firmen und Parteien schmücken sich gern mit einer Blühpatenschaft. Berichte in den örtlichen Zeitungen tragen zur Bekanntheit von Beepaart bei. „Die meisten Paten kommen aus der Region. Das ist in unserem Sinne“, sagt Ulrich Brinckmann. Rund 860 Blühpaten gehören aktuell zum Beepart-Unterstützerkreis. Eine Patenschaft läuft über zwei Jahre und kostet für diese Zeit zwischen 5 € für die Kleinstparzelle von 1 m2 und 300 € für die 100 m2 große Fläche. Hat der Pate per Vorkasse über den Onlinebezahldienst Paypal seinen Obolus entrichtet, erhält er per Post eine Urkunde mit seinem Namen und der Dauer der Patenschaft. Außerdem gibt’s ein Tütchen Saatgut für eine kleine Blumenwiese dazu.
Noch ist Brinckmanns ehemaliger Acker nicht komplett mit Patenschaften belegt. Finanziell lohnt sich die Blühwiese jetzt schon, obwohl das Saatgut mit einem Kilopreis von 40 € ordentlich zu Buche schlägt und Geld für die Internetseite und Werbematerialien wie Postkarten und Patenurkunden investiert wurde. Hinzu kommt die Arbeitszeit zum Säen und Pflegen der Fläche. „Bezogen auf die Ertragsfähigkeit des Bodens ist der Erlös besser als bei Weizen“, lässt Ulrich Brinckmann wissen.
Steile Lernkurve
Die Blühpaten, aber auch viele andere Bürger sind begeistert von der Pflanzen- und Artenvielfalt auf dem ehemaligen Acker. Wie viel Arbeit dahintersteckt, die empfindlichen Wildsamen zum Keimen und Wachsen zu bringen, ehe die Vögel sie fressen, können sich die wenigsten vorstellen. Dass eine ordnende Hand nötig ist, damit stark wachsende Pflanzen die anderen nicht verdrängen, sieht auch kaum jemand. Das stört Ulrich und Angelika Brinckmann aber nicht. Sie verbuchen die Arbeitsstunden auf der Blühwiese auch als Lehrzeit im Umgang mit dem neuen Metier. Viel mehr zählen für sie die positive Resonanz der Bürger und die zahlreichen Unterstützungsangebote. „Ein Imker hat sich bei uns gemeldet und einen Bienenstock an die Wiese gestellt. Er erledigt die ganze Arbeit mit dem Bienenvolk und dem Abfüllen des Honigs, den wir dann mit dem Beepart-Label vertreiben “, nennt Angelika Brinckmann ein Beispiel.
Übers Internet kommen Kontakte quer durch die Republik zustande. „Kürzlich rief jemand aus Flensburg an und bot uns finanzielle Unterstützung an“, ergänzt sie. Aus der Umweltbildung ist es ihr vertraut, Fördermittel einzuwerben. Das läuft auch zu Hause bei Beepart so. Lässt die Pandemie es zu, sollen die Mittel eingesetzt werden, damit beispielsweise Kindergarten- und Grundschulkinder die Blühwiese mit pädagogischer Begleitung erleben.
Neue Sichtweisen
Ob Pate oder nicht – schon jetzt identifizieren sich die Menschen mit „ihrer“ Blühwiese. Manche kommen vorbei und machen Fotos in der farbenfrohen Kulisse. Andere passen auf und geben Bescheid, wenn plötzliche Fremde auf dem Feld herumturnen. Ein Infoschild auf einem alten Ballenwagen nennt Brinckmanns Kontaktadresse. Der Landwirt zieht ein positives Fazit: „Über die Blühwiese knüpfen wir neue Kontakte und Verbindungen. Da schaltet man auch im Kopf um.“
Lesen Sie mehr: