Wochenblatt-Picknick

Auf Zeitreise in Saerbeck

In Saerbeck, Kreis Steinfurt, packen Landjugend und Heimatverein zum Schutz der Heide gemeinsam an. Die Aktion ist nicht nur ein einfacher Arbeitseinsatz. Sie ist ebenso ein Ausflug in die Geschichte des Ortes.

Überall werden Bäume gepflanzt – in Saerbeck sind Mitte September Landjugend und Heimatverein ausgerückt, um Birken, Kiefern und Co. auszureißen. Was ungewöhnlich klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Die Heide im Naturschutzgebiet Bertlings Haar ist das letzte zusammenhängende Heidestück im einstigen Heidedorf Saerbeck. Die dortige Besen- und Glockenheide steht ebenso wie viele in ihr heimische Pflanzenarten – Kleiner Vogelfuß, Hornflechte, Sparrige Binse, Englischer Ginster – auf der Roten Liste.

Gut erprobt im Heideschutz sind die Mitglieder des Saerbecker Heimatvereins rund um den Vorsitzenden Martin Wenners (Zweiter von rechts). (Bildquelle: Schulte)

Doch die Saerbecker Heide ist nicht nur Lebensraum für viele streng geschützte Pflanzen und Tiere. Die Landschaft im Norden der Gemeinde ist ebenso Relikt einstiger bäuerlicher Wirtschaftsweise. Um dies zu erhalten, packten mehr als 40 Helfer zwischen 16 und 70 Jahren mit an. Ihre Mission: die Heide entkusseln und beimpfen. Das Wochenblatt begleitete die Aktion im Rahmen des Jubiläums-­Picknicks.

Die Hintergründe zur Picknick-Aktion des Wochenblattes lesen Sie hier:

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Nährstoffe raus, Heide rein

„Entkusseln“, erklärt Dr. Peter Schwartze, „nennt man die Beseitigung junger Gehölze, der sogenannten Kussel.“ Schwartze unterstützt den Arbeitseinsatz von Landjugend und Heimatverein vonseiten der Biologischen Station Kreis Steinfurt. Er weiß: Allein durch die Luft werden der Heide mehr Nährstoffe zugeführt, als diese überhaupt aufnehmen kann. Was für die nährstoffarme Heide zu viel ist, freut Pionierbaumarten wie Kiefer oder Birke. „Wenn die Bäume erst einmal 3m und höher sind, dann hat die Heide keine Chance mehr“, erklärt Schwartze. „Heide ist ein Kulturlandschaftsbiotop. Ohne regelmäßige Pflege bleibt sie nicht er­halten.“

Für die angerückten Helfer von Heimatverein und Landjugend bedeutet dies eine schweißtreibende Arbeit. Denn die jungen Birken, Kiefern, Zitterpappeln und Eichen, die sich in der Saerbecker Heide selbst gesät haben, sind teils tief verwurzelt. Alles andere als angenehm zu entfernen sind auch die rankenden Brombeeren. „Zieht so viel Wurzeln wie möglich mit raus, sonst kommt die Pflanze wieder“, rät Dr. Schwartze den ­Helfern.

Unter Anleitung von Bettina Wegener müssen die Landjugendlichen ganz schön ackern, um die jungen Bäume mitsamt ihrer Wurzeln aus der Heide zu ziehen. (Bildquelle: Schulte)

Leichter hat es Dr. ­Peter Schwartze von der Biologischen Station Kreis Steinfurt: Mit einem sogenannten Extractigator lassen sich die jungen Bäume greifen und aus der Heide hebeln. Bei dem Gerät handelt es sich um ein Originalteil aus Kanada. (Bildquelle: Schulte)

Etwas leichter von der Hand ging den Ehrenämtlern das sogenannte „Beimpfen“ der Böden. Um neue Heide zu pflanzen, werden Fruchtstände vorhandener Pflanzen abgezogen und auf freien Flächen verteilt.

Tradition erlebbar machen

Der Saerbecker Heimatverein entkusselt und beimpft die verbliebene Heidefläche alle zwei Jahre. Die Katholische Landjugendbewegung Saerbeck war in diesem Jahr erstmalig dabei. „Wir versuchen, beide Vereine enger zu verknüpfen“, erklärt Martin Wenners, Vorsitzender des Heimatvereins. Schnittstellen und Kooperationen gibt es bereits an unterschiedlicher Stelle: So unterstützen sich beide Vereine bei Veranstaltungen etwa in Form von Thekendiensten. Rund 20 Personen sind zudem Mitglied sowohl im Heimatverein als auch in der Landjugend.

„Andere machen Fridays for Future, wir machen Saturday for History.“

Hinter der Zusammenarbeit in der Heide steckt aber noch ein anderer Gedanke: „Wir wollen der nächsten Generation ein Stück Ortsgeschichte mitgeben und das bewahren, was Saerbeck geprägt hat“,berichtet Wenners. , Förster und Mitglied im Heimatverein, ergänzt: „Andere machen Fridays for Future, wir machen Saturday for History.“

Düngen mit Heide

Berkemeier hat im Bereich Umweltgeschichte promoviert und ist der Experte, wenn es um die Kulturgeschichte der Saerbecker Heide geht. Vor 200 Jahren, so berichtet er, waren 60% – etwa 4000 ha – der Gemeindefläche Heide. Der sehr magere Boden hatdie Region und ihre Bewirtschaftung geprägt. „Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Heide zur Plaggendüngung genutzt“, erklärt Berkemeier.

Beim Abplaggen wird – ganz allgemein erklärt – der Oberboden in rund 4 bis 6 cm Stärke abgestochen. Was heute nur noch vereinzelt als Pflegemaßnahme betrieben wird, war früher existenziell. „Die abgestochenen Plaggen mitsamt Heidekraut wurden über Nacht in die Schafställe eingestreut und haben sich mit dem Urin und Kot der Tiere vollgesogen“, weiß Berkemeier. „Die vollgesogenen Plaggen wurden dann als Dünger auf dem Eschland, dem fruchtbaren Boden,verteilt.“

Saerbecker Heidebauernwirtschaft
Die Saerbecker Heide gehörte bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Dorfgemeinschaft gemeinsam – eine Fläche, die damals rund 4000 ha umfasste. Die Landwirte hatten entsprechend ihrer Betriebsgröße Eintriebsrechte für ihre Tiere. Nur die sogenannten Heuerleute besaßen keine eigenen Rechte, kein eigenes Land und keinen Hof. Als Landlose bewirtschafteten sie Land zur Pacht und mussten dafür in Form von Geld, Naturalien und ihrer Arbeitskraft bezahlen. Sie waren in besonderem Maße von Hunger und Armut infolge der mageren Böden betroffen.
Die Saerbecker Heidebauernwirtschaft wurde durch die Markenteilung vor 150 Jahren beendet. Angelehnt an die Eintriebsrechte wurden den Landwirten Flächen zugewiesen. Die Heuerleute gingen auch hierbei leer aus. Die Markenteilung galt bis zur Flurbereinigung in den 1970er-Jahren.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Plaggendüngung durch den aufkommenden Kunstdünger abgelöst. „Heute haben wir ein Problem mit Überdüngung. Das war früher komplett anders“, ordnet Berkemeier ein. „Bis in die 1840er-Jahre sind hier Menschen aufgrund der mageren Böden verhungert.“

Wissen anschaulich vermittelt: Dr. Georg Berkemeier (links) und Johannes ­Teigeler zeigen auf einer Karte von 1828 die damaligen Heideflächen (weiß). (Bildquelle: Schulte)

Von den einstigen 4000 ha Heidelandschaft sind heute noch 4 ha geblieben. Diese gilt es zu bewahren – auch als Denkmal für eine völlig übernutzte Landschaft. Denn, so erklärt Berkemeier, ein optimales Verhältnis zwischen Ackerland und Heidefläche für die Plaggendüngung wäre bei 20% Acker und 80% Heide gegeben. „Die Saerbecker hatten aus der Not heraus viel zu viel Ackerflächen. Nicht selten kam es zu Winderosion auf den Heideflächen, da der Boden viel zu häufig abgetragen wurde.“

Demut vor Geschichte

Dass der Wissenstransfer zwischen Heimatverein und Landjugend funktioniert, war vor Ort deutlich spürbar. „Man wird regelrecht demütig vor dem Reichtum, in dem wir heute leben“, sagt Johannes Teigeler, Zweiter Vorsitzender der Landjugend. Vielen seiner Vereinskollegen sei gar nicht bewusst gewesen, was für eine Geschichte hinter der Heidelandschaft steckt – oder, dass es in Saerbeck überhaupt noch Heide gibt. „Die Flächen liegen relativ weit außerhalb, hier kommt man nicht täglich vorbei.“Damit das Wissen nach der gemeinsamen Aktion auch hängen bleibt, hat sich der Heimatverein zum Abschluss etwas Besonderes überlegt: Im Rahmen eines Heidequiz wurde mit Fragen rund um die Heide der erste Saerbecker Heidekönig ermittelt.

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