Von der Friseurin zur Destillateurmeisterin

Auf Umwegen zum Familienbetrieb

Anna-Clarissa Schulze Rötering (28) war auf dem besten Weg, eine erfolgreiche Friseurin und Make-up Artist zu werden. Doch dann kam alles anders als geplant.

Destillat, Feinbrennkolonne, Glockenböden, Feinbrennkolonne – diese für Laien etwas sperrigen Begriffe gehen Anna-Clarissa Schulze Rötering aus Ahlen (28) leicht über die Lippen. Sie weiß genau wovon sie spricht, kennt die Abläufe im Detail, durch die aus Weizen aus eigenem Anbau edle Tropfen entstehen (siehe Kasten). Gerade hat sie den Kurs zur Destillateurmeisterin in Berlin begonnen. In den kommenden Jahren wird sie in der hofeigenen Brennerei Seite an Seite mit ihrem Vater arbeiten. Noch vor wenigen Jahren hätte sie nie gedacht, dass es so kommen würde.

Großstadtleben in Köln

Weg vom Land, raus in die Großstadt – das waren Anna-Clarissas Pläne nach Ende der Schulzeit. Als Jugendliche hatten sie und ihre Geschwister oft auf dem Hof angepackt, um sich ihr Taschengeld aufzubessern. Und Anna-Clarissa hat es immer gern getan. Der Fa­milienbetrieb ist breit aufgestellt, die Arbeit abwechslungsreich. In einem der Betriebszweige einzusteigen, kam der damals 18-Jährigen dennoch nie in den Sinn. „In Oelde habe ich bei Frank Brormann meine Ausbildung zur Friseurin absolviert und dort insgesamt vier Jahre gearbeitet“, erzählt sie. Anschließend besuchte sie die Make-up Artist Akademie in Köln. Später arbeitete sie in Düssel­dorf beim renommierten Friseur Oliver Schmidt. Anna-­Clarissa liebte ihren Job und war sehr gut in dem, was sie tat. Ihr Chef legte ihr nahe, die Meisterausbildung zu absolvieren. „Damals hätte ich mir gut vorstellen können, später meinen eigenen Salon zu eröffnen“, erinnert sie sich. Doch bei der Arbeit hatte sie immer wieder starke Schmerzen in der Hand.

Dann kam die Diagnose

„Drei Jahre lang lief ich von Arzt zu Arzt. Niemand konnte mir sagen, woher die Schmerzen kamen. Dann die Diagnose: Anna-Clarissa wuchsen gutartige Tumore in der Hand. Es folgten mehrere OPs,

bei denen ihr Ringband verletzt wurde. „Mein Arzt sagte mir, ich solle mir einen Plan B für meine beruf­liche Zukunft überlegen.“ Doch davon wollte sie nichts wissen. Während ihrer Meisterausbildung musste sie jedoch einsehen: Ihr Arzt hatte recht: „Den dritten Teil habe ich in Vollzeit absolviert, stand also nicht im Friseur­salon. In dieser Zeit waren meine Schmerzen verschwunden.“ Damit stand der Entschluss fest. Anna-­Clarissa würde ihren Traumberuf aufgeben. „Dieser Schritt war für mich sehr schmerzhaft. Es hat lange gedauert, bis ich damit abschließen konnte.“

Mit der Entscheidung kam die große Frage: Was nun? „Mir war es wichtig, wieder einen Beruf zu finden, den ich mit Leidenschaft ausüben kann.“ Ihr Vater bot ihr an, bei ihm in der Brennerei einzusteigen. Für die Arbeit dort hatte sie sich schon als Jugendliche interessiert. Sie war sich jedoch bewusst: „Als Erwachsene mit dem eigenen Vater zusammenzuarbeiten, ist etwas ganz anderes“. Sie entschied sich daher zunächst für ein einjähriges Praktikum, um zu sehen, ob es passt. Und das tat es. „Anfangs stand mein Vater jedes Mal hinter mir, wenn ich Zutaten abgemessen habe: ,Ganz genau, Anna-Clarissa. Ganz genau!‘, hat er immer gesagt“, erzählt sie schmunzelnd. Mittlerweile kann sie völlig selbstständig arbeiten.

Noch nicht ganz zufrieden

Was Anna-Clarissa in den kommenden Jahren in der Brennerei erreichen möchte? Sie denkt ­einen Augenblick nach. „Genug Produkte haben wir schon. Da müssen wir nicht noch viel mehr entwickeln.“ Beim Marketing beispielsweise sieht sie jedoch noch Luft nach oben. So hat sie bereits das Logo der Brennerei auf den Flaschen-Etiketten überarbeitet. Außerdem hat sie ihren Vater davon überzeugt, den Bourbon mit 42 % statt mit 32 % anzusetzen. „Ich war mir sicher, dass das beim Kunden gut ankommen würde.“ Und sie behielt recht.

So ganz ohne eigene Produktentwicklung geht es aber dann doch nicht. Seit einiger Zeit arbeitet Anna-Clarissa an einem eigenen Aperitif. Auch wenn ihre Freunde bereits begeistert sind: Sie selbst ist noch nicht hundertprozentig zufrieden mit ihrer Arbeit. Daher wird es bis zur Markteinführung noch einige Monate dauern. Sie ist eben auch eine Perfektionistin – genau wie ihr Vater.