Drei Männer und eine Frau ziehen an einem Herbstmorgen Futterrüben aus dem lippischen Boden. Im Hintergrund dreht sich eine Bockwindmühle. Was wie eine Szene aus Urgroßelternszeiten wirkt, gehört für Jette Reimer, Timo Schleheck, Tim Brombach und Sascha Grüttemeier gerade zum Alltag.
Sie machen ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) im Freilichtmuseum in Detmold. Seit 25 Jahren bietet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe diese Orientierung für Schulabgänger an. Damit war das Museum eine der ersten Orte, an dem junge Erwachsene ab 16 Jahren diesen Weg einschlagen können.
Rotes Höhenvieh und andere alte Rassen
Gemeinsam mit sechs fest angestellten Mitarbeitern kümmern sich die FÖJler – wie sie genannt werden – um die Äcker, Gärten, Bäume und Tiere des mit fast 100 ha größten Freilichtmuseums Deutschlands. Dabei lernen sie nicht nur ökologische Zusammenhänge in der Praxis kennen.
Sascha und Tim heben die gelben und roten Futterrüben der Sorte Eckendorfer mit der Grepe aus der feuchten Erde. Jette und Timo rücken den Blättern mit dem Stecheisen zu Leibe. Die Runkeln landen im Winter im Trog der Schafe des Freilichtmuseums.
Eine kleine Herde des Schwarzbunten Niederungsrindes und des Roten Höhenviehes grasen in Sichtweite.
Nur im Winter kommen die Kühe und Kälber in den Stall. Jette hat hier ihre Leidenschaft für Tiere entdeckt. Die 18-Jährige aus dem lippischen Horn möchte nach dem FÖJ eine Ausbildung zur Tierpflegerin beginnen. Das Umtreiben der Kühe ist für sie immer wieder ein Erlebnis. Zu Beginn hat es ihr Respekt eingeflößt, die behornten Tiere am Strick zu führen. Mittlerweile hat Jette Routine darin. Jeden zweiten Tag bringt sie neues Wasser zu der Weide.
Neben den Rindern leben im Museum Bentheimer Schafe, Senner Pferde, Weiße Deutsche Edelziegen sowie vom Aussterben bedrohte Gänse- und Hühnerrassen.
Händchen für Motoren
Nachdem die Runkeln aufgeladen sind, schwingen sich die Vier auf einen Deutz D2807. Im Paderborner Dorf – einem Teil des Museums – braucht ein Kollege ihre Hilfe. Timo steuert den Youngtimer. Genau wie Jette ist er seit August 2019 im Museum. Beide haben ihren Dienst auf 18 Monate verlängert.
Im Museum hat Timo sein Händchen für Motoren entdeckt. Eigentlich wollte er Forstwirt werden und brauchte das Jahr nur zur Überbrückung, um den Führerschein machen zu können. Doch ständig half er beim Reparieren und Warten der Maschinen. Jetzt steht für ihn fest: „Ich möchte Kfz-Mechatroniker werden!“
Auch wenn im Museum das westfälische Landleben der vergangenen 500 Jahre wieder auflebt, kommen auf den knapp 20 ha landwirtschaftliche Fläche moderne Traktoren und Anbaugeräte zum Einsatz. Timo durfte grubbern und Ballen pressen. Geerntet haben sie historische Getreidesorten wie den Siegerländer Weizen und verschiedene alte Gerstensorten mit einem betagten Mähdrescher der Marke „Claas Columbus“.
Unkraut mit der Hand jäten
Neben dem Schlag mit den Futterrüben trocknen geerntete Luzerne auf einem Heureuter so wie schon vor Jahrhunderten. „Wir haben das auch per Hand gemacht“, erinnert sich Sascha an die Arbeit mit der Forke. Er hat auch gelernt, die Sense richtig zu schwingen. Oft sind die Vier aber mit dem Freischneider unterwegs, um zum Beispiel die Zäune freizuhalten.
„Hier kommen alte Fertigkeiten und moderne Technik zum Einsatz“, begeistert sich Sascha. Da stört es ihn gerade auch nicht, dass er im Garten des Paderborner Dorfes Unkraut mit der Hand jäten muss.
Der 16-Jährige hat 2020 im August begonnen. Er kennt die Arbeit im Museum schon von einem Schulpraktikum. Die Begeisterung für die historische Landwirtschaft merkt man ihm an. Er hat immer eine Geschichte auf den Lippen. „In den Gärten wachsen alte Nutzpflanzen wie Tabak, der Kaffeeersatz Zichorie oder Sauerampfer“, erklärt der FÖJler, auf dessen Kopf stilecht eine Schiebermütze sitzt.
Erdbeerspinat und alte Grünkohlsorten wie die Lippische Palme findet man fast nur noch im Freilichtmuseum. Sascha hat ein paar Ableger aus dem Kräutergarten und historische Kartoffelsorten wie Isolde schon im heimischen Garten gepflanzt. In Detmold-Hiddesen leben er und seine Familie in einem restaurierten Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert. Nach dem FÖJ plant er eine Lehre zum Landwirt.
Neben ihm kniet Tim und kontrolliert die Möhren. „Mir war klar, dass die Arbeit anstrengend wird. Das habe ich aber gesucht“, sagt er. Gemeinsam mit Sascha ist er dieses Jahr gestartet. Der Detmolder will nach dem Jahr reifer sein und wissen, welchen beruflichen Weg er einschlagen soll.
Äpfel für den Museumsmost
Die beiden „alten Hasen“, Jette und Timo, kümmern sich währenddessen in der Streuobstwiese des Dorfes um die reifen Äpfel. Allein über 150 alte Apfelsorten wachsen im Museum. Am Vortag haben sie noch Apfelbäume geschüttelt, heute pflücken sie. Die meisten Äpfel wandern in den Most, den man im Museumsshop kaufen kann.
In wenigen Tagen wird das Museum schließen und erst wieder im Frühjahr öffnen. Noch streifen Besucher über das Kopfsteinpflaster der historischen Dörfer. „Eine Schulklasse hat Tim und mich neulich beim Holzhacken für die Töpferei ausgefragt. Die fanden unsere Arbeit spannender als das Töpfern“, erzählt Sascha. Die FÖJler können auch in der Schmiede und der Tischlerei des Museums hospitieren.
Im Winter sind zwar keine Besucher im Museum. Das heißt aber nicht, dass die Arbeit ruht. „Wir fallen nicht in den Winterschlaf“, stellt Timo klar. Das Team um die FÖJler kann dann großflächigere Einsätze fahren, ohne die Besucher zu stören. Sie setzen die Hecken auf Stock, reparieren die Weidezäune, bereiten das Saatgut auf und fällen Bäume mit der Motorsäge.
Doch für heute ist erst mal Schluss. Der Feierband gegen 16 Uhr naht und gemeinsam geht’s in die Nähe des Lippischen Meierhofs, ihrem Stützpunkt. Morgen gegen 7 Uhr beginnt wieder ihre tägliche Zeitreise.
Arbeit bei Wind und Wetter
Im Freilichtmuseum arbeiten meist drei FÖJler. Zurzeit sind sie zu viert, weil zwei ihren Einsatz auf 18 Monate ausgedehnt haben. Länger geht nicht. „Vorerfahrung brauchen sie keine. Das Jahr dient der Orientierung“, sagt Margret Habig. Die Gartenbautechnikerin ist zuständig für die FÖJler im Museum. Interessierte sollten wind- und wetterfest sein und anpacken können. Die FÖJler im Museum verdienen 436 € pro Monat. Die Mindestvergütung für FÖJler liegt bei 300 €. Das Museum stellte ihnen keine Unterkunft. Daher stammen die meisten aus der Region. Das Land NRW hat die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen zu Zentralstellen des FÖJs ernannt.
Im August 2020 starteten 150 Jugendliche an über 90 Einsatzstellen im Bereich Naturschutz und Umweltbildung. Jugendliche können nach Ende der Schulpflicht ein FÖJ beginnen. Das Höchstalter beträgt 26 Jahre. In NRW dürfen nur maximal die Hälfte der Stellen mit Abiturienten besetzt seien. Der zwölfmonatige Dienst wird durch mindestens 25 Seminartage ergänzt. Corona-bedingt gibt es mittlerweile auch digitale Bildungsangebote.
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