Heimatverein und Jugend klingt auf dem ersten Blick wie ein Widerspruch. Oft gelten die Vereine als Altherrenrunden. An einem Samstagmorgen im Herbst zeigt sich in Nieheim ein anderes Bild: Der Heimatverein hat zu einer Pflanzaktion geladen.
15 Mitglieder graben neben dem Kurpark der Kleinstadt im Kreis Höxter. Die meisten von ihnen sind um die 30 Jahre und jünger. Sie buddeln, hämmern und spannen Drähte auf anderthalb Meter Höhe. Mehr als 600 Weißdornsträucher setzen die fleißigen Hände auf knapp 150 m um ein Regenrückhaltebecken eines Neubaugebietes.
Kreuzhecke anstatt Maschendraht
Anstelle eines Maschendrahtzauns soll auf Dauer eine Kreuzhecke aus Weißdorn das Becken begrenzen und ein Lebensraum für Vögel, Insekten und kleine Säuger wie der Haselmaus bieten.
Die jungen Erwachsenen gehören zu „Jugend pro Natur“ (JuProNa), einem Arbeitskreis des Heimatvereins, der insgesamt etwa 120 Mitglieder hat. Er ist national bekannt für die Flechthecke und das Sackmuseum. Der Heimatverein Nieheim schafft es, jüngere Menschen mit einzubinden.
Dabei kennt auch der Vorstand das Problem vieler Vereine: Der Nachwuchs bleibt aus. In Nieheim sind die meisten Mitglieder älter als 60 Jahre. Da kam es gelegen, dass sich vor mehr als 15 Jahren im Ort eine Gruppe Jugendlicher und Kinder mit gleichen Interessen fand.
„Ich wollte etwas für die Natur machen. Alleine ging das nicht“, erinnert sich Bernd Spier, der beim örtlichen Bauhof arbeitet. Er scharte Kinder und Jugendliche um sich, die Lust hatten, sich draußen zu beschäftigen. „Weg vom Bildschirm, raus in die Natur“, lautete das Motto. Gemeinsam legten sie Biotope an, hängten Nistkästen auf und pflanzten Bäume für eine Streuobstwiese. „Viele Kinder wollen einfach wühlen. Oft fehlt nur das Angebot“, meint Bernd Spier.
Wichtig war ein Träger für die Gruppe. Da bot sich der Heimatverein an. Mittlerweile ist die Jugendgruppe einer von sieben Arbeitskreisen. Auch Christof Drewes gehört zu den Gründern. „Der Beitritt war für beide Seiten ein Gewinn: Wir sind versichert und der Heimatverein hat Kontakt zur Jugend“, sagt er. Der 37-Jährige arbeitet heute als Gärtnermeister .
Einige der ersten Mitglieder sind mitgewachsen und noch aktiv. Seit Beginn gehört auch Karsten Sander dazu. Der 31-Jährige leitet mittlerweile JuProNa. Auch wenn er den Begriff „leiten“ für etwas hochgegriffen hält. „Wir sind eine relativ flexible Truppe“, sagt er. Es gibt weder feste Wochen- noch Monatstreffen. Zu Beginn des Jahres reinigen sie die mehr als 100 Nistkästen. Sonst werden sie aktiv, wenn etwas ansteht wie jetzt im Herbst das Pflanzen des Weißdorns.
Für ihn ist die Arbeit in der Natur ein Ausgleich zu seinem Job beim Zoll. „Wichtig war und ist mir, draußen zu sein und anzupacken. Wir machen keine Theorie in der warmen Stube, sondern lernen bei der Arbeit“, sagt er.
Karsten Sander verschweigt aber nicht, dass sie Probleme haben, neue Mitglieder zu gewinnen. „Der Ganztagsunterricht macht uns zu schaffen. Jugendliche haben oft keine Zeit, sich nach der Schule noch zu engagieren. Das war bei uns früher anders“, sagt er. Zurzeit haben sie noch acht Mitglieder – zu Beginn waren es mal 20. Der Blick in die Zukunft bereitet ihm Sorge.
Knoten statt Konsole
Die jungen Mitglieder engagieren sich auch sonst für den Heimatverein. Zum Beispiel Jakob Kros. Während Gleichaltrige vor der Konsole hocken, hat der 16-Jährige des Flechten von Hecken für sich entdeckt. Die Flechthecke aus Hasel und Weide war rund um Nieheim ein prägender Teil der Landschaft. Hecken galten vor dem Stacheldraht als Weidegrenzen.
Jakob beherrscht den Knoten aus Weidenruten, der die Haselsträucher der Flechthecke zusammenhält. „Der Knoten ist sehr stabil. Damit könnte man jemanden fesseln“, scherzt er. Zu Beginn des Jahres zeigte der Schüler sein Können in den Niederlanden. Mit drei Mitgliedern des Heimatvereins war er auf einem internationalen Heckentreffen.
Mit nach Ostwestfalen nahmen sie die Idee für die Kreuzhecke aus Weißdorn, die ursprünglich aus Belgien stammt. Das internationale Treffen der Hecken-Fans soll 2022 übrigens in Nieheim stattfinden.
Jakob ist seit Kindesbeinen dabei. Über seine beiden Brüder stieß er zu JuProNa. Seine ältester Bruder Paul ist gelernter Landwirt. Der 20-Jährige mäht die Streuobstwiese, auf der mehr als 40 Obstbäumen stehen. Er ist zur Stelle, wenn die Truppe einen Trecker für ihre Einsätze braucht.
Das Erbe der Flechthecke weitergeben
Ohne Jakob und die anderen Mitglieder von JuProNa hätte die UNESCO-Kommission vor zwei Jahren die Nieheimer Flechthecke wohl kaum in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Denn die Kommission legt Wert darauf, dass das Wissen in den kommenden Generationen weiterlebt.
Dabei war es entscheidend, junge Menschen zu haben, die eine Hecke flechten können. „Ohne sie würde die Kunst des Flechtens mit uns aussterben“, macht Ulrich Pieper, der erste Vorsitzende des Heimatvereins, sich nichts vor. Auch sonst schätzt er eine aktive Jugendgruppe. „Die Jugendlichen müssen nicht durchgängig Mitglied sein. Manche verlassen zum Studium die Heimat. Wenn sie zurückkehren, kennen sie die Strukturen und übernehmen später Verantwortung im Verein“, meint Ulrich Pieper.
Denn Arbeit bleibt für die Heckenprofis aus Nieheim. So war das Pflanzen des Weißdorns nur der Anfang. In den kommenden Jahren wird er auf mindestens 1 m wachsen. Im Winkel von 60°, in Form eines Rautenmusters, lassen sich die Sträucher zu einer Kreuzhecke binden. Dann hofft Ulrich Pieper, viele junge Hände zu begrüßen, die ihm helfen.
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