Einmal in ihrem Leben für ein paar Monate ins Ausland zu gehen – und das nicht als Tourist auf Stippvisite. Davon hatte Christa Gaßmann aus dem niedersächsischen Springe viele Jahre geträumt. „Meine älteste Tochter ist als ländliche Hauswirtschafterin über den Deutschen Bauernverband einige Male auf Betrieben im Ausland gewesen“, erzählt die Bäuerin. Sie gönnte ihrer Tochter diese Erfahrung von Herzen, war aber gleichzeitig traurig darüber, dass sie diese Chance in jungen Jahren nie gehabt hatte. „Die Zeiten waren einfach andere. Den Begriff Au-pair hatte damals sicher noch niemand gehört“, sagt sie schmunzelnd.
„Jetzt kannst du auch los!“
Wenige Monate vor ihrem 72. Geburtstag legte ihre Tochter ihr schließlich einen Prospekt mit den Worten auf den Tisch: „So, Mamma, jetzt kannst du auch los.“ Es handelte sich um die Broschüre einer damals neuen Agentur. Diese hatte sich darauf spezialisiert, Seniorinnen als Au-pairs ins Ausland zu vermitteln (siehe Kasten). Einige der Gastfamilien waren aus Deutschland ausgewandert. Fremdsprachenkenntnisse wären also nicht zwangsläufig notwendig gewesen. Christa Gaßmann jedoch besuchte damals schon seit einigen Jahren einen Englisch-Kurs an der Volkshochschule. Auslöser war einige Jahre zuvor eine geführte Gruppenreise in die USA. „Nur drei von uns sprachen Englisch. Abends, wenn unser Reiseführer Feierabend hatte, mussten diese Drei immer alles für uns regeln.“ Das nächste Mal würde sie sich selbst ihr Essen bestellen können. Mit diesem Vorsatz meldete sie sich für den Kurs an. Konkrete weitere Reisepläne hatte es seitdem jedoch nie gegeben. Das sollte sich nun mit diesem Flyer ändern.
Wunschland: Kanada
Mit ihrem Vorschlag hatte Sabine Knudsen ihre Mutter ziemlich überrumpelt. Die Seniorin musste erst einmal sacken lassen. Einen Rückzieher wollte sie nach all den Jahren, in denen sie einer solchen Reise hinterhergetrauert hatte, nun aber auch nicht machen. Und so meldete Christa Gaßmann sich bei der Agentur an. Die Mitgliedschaft war damals kostenlos. Dafür fiel – anders als heute - sowohl für die Granny als auch für die Gastfamilie eine Gebühr von je 300 € an. Als Mitglied hatte Christa Gaßmann Zugriff auf die Profile verschiedener Familien, die eine Au-pair-Oma suchten. Christa Gaßmann wollte gerne nach Kanada, da ihre Tochter ihr von dem Land vorgeschwärmt hatte. So nahm sie Kontakt zu einer Familie im 500-Seelen-Ort Rossburn im Südosten des Landes auf.
Au pair: Auf Gegenseitigkeit
Der französische Begriff „au pair“ bedeutet übersetzt „auf Gegenseitigkeit.“ In der Regel bezeichnet er junge Erwachsene, die für einige Monate ins Ausland gehen. Gegen Kost, Logis und ein kleines Taschengeld unterstützen sie ihre Gastfamilie beispielsweise bei der Kinderbetreuung und lernen im Gegenzug die Sprache und Kultur der Landes kennen.
Üblicherweise zahlen angehende Au-pairs eine Mitgliedsgebühr, um Zugriff auf die Datenbank möglicher Kontaktfamilien zu bekommen. Bei einigen Anbietern wird zusätzlich im Falle einer erfolgreichen Vermittlung eine Gebühr fällig.
Die Anzahl der Vermittlungsagenturen ist groß. Einen Überblick über laut ihren Standards vertrauenswürdige Anbieter gibt der Verein „au pair e. V.".
Auf die Vermittlung von Seniorinnen als Au pairs hat sich die Agentur „Granny-Aupairs“ spezialisiert. Über sie hat auch Christa Gaßmann damals Kontakt zu ihrer späteren Gastfamilie in Kanada erhalten.
Die Eltern – Deutsche Auswanderer – suchte für die Sommermonate eine Betreuung für die drei Kinder im Alter von damals fünf, sieben und neun Jahren. „Die Mutter arbeitete seit kurzem als Erzieherin und konnte nur sechs Tage bezahlten Urlaub im Jahr nehmen. Die Sommerferien in Kanada dauern aber fast drei Monate.“ Da der Sommer vor der Tür stand, drängte die Zeit. Und so flog Christa Gaßmann schon fünf Wochen nach dem ersten Telefonat nach Kanada. Der Vater der Familie holte die Seniorin am Flughafen in Winnipeg ab. Die Fahrt dauerte dreieinhalb Stunden. „In Kanada ist das nicht ungewöhnlich“, sagt Christa Gaßmann. „Bei uns im Ort gab es beispielsweise nur einen kleinen Tante-Emma-Laden. Für den Großeinkauf mussten wir alle zwei, drei Wochen 120 km in die nächst größere Stadt fahren.“
Nicht fürs Putzen zuständig
Bei ihrer Anreise kam Christa Gaßmann erst nachts in ihrem zu Hause auf Zeit an. „Die Kinder schliefen schon. Damit sie mich kennenlernen konnten, blieb der Vater am nächsten Tag noch zu Hause.“ Von da an war die Seniorin den tagsüber über allein für die Kinderbetreuung zuständig.
„Die Mutter hatte vorab betont, dass ich nicht fürs Saubermachen zuständig sein sollte. Ihr ging es darum, dass die Kinder den Tag über gut betreut und versorgt sein würden.“ Das Haus der Familie lag 9 km vom Dorf entfernt und war zwar von viel Wasser umgeben. Doch das eignete sich nicht zum Baden. Und so bestand die tägliche Routine des Vierergespanns darin, zum nächst gelegenen Badesee zu fahren. „Der neunjährige Marcel war anfangs wenig begeistert, dass jetzt eine Oma aus Deutschland auf ihn aufpassen sollte. Doch später sind wir gut miteinander klar gekommen.“ Die fünfjährige Julie hingegen war ganz begeistert, eine Granny zu Hause zu haben. Und für Christa Gaßmann war es ein tolles Gefühl, gebraucht zu werden. Schließlich waren ihre Kinder aus dem Haus, ihr Mann war verstorben und eigene Enkelkinder waren damals noch nicht in Sicht.
Ein zweites Mal geflogen
Auch den folgenden Sommer verbrachte Granny Christa in Kanada. Im Jahr darauf hatte die Mutter eine Stelle an der Schule angenommen, sodass sie selbst die Sommerferien über die Betreuung übernehmen konnte. Noch heute, mehr als zehn Jahre später, blickt Christa Gaßmann gern auf diese Zeit zurück. Der Kontakt zur Familie besteht bis heute. Als Granny in eine andere Familie zu gehen, kam für sie nie infrage. „Zwischen uns die Chemie einfach gestimmt. Und so ein gutes Verhältnis hätte ich vermutlich so schnell nicht wieder vorgefunden.“
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