Die Stimmung im Auto ist fröhlich und bedrückt zugleich. Alexa, Maria und Claudia wissen bereits, worauf sie sich einlassen. Ich bin der Neuling in der Runde und habe keine Ahnung, was mich im Ahrtal erwartet. Die drei Schwestern waren schon mehrmals mit dem Helfer-Shuttle (siehe Kasten unten) in der Region unterwegs und haben mit angepackt wo es nötig war.
Roter Eimer heißt: Ein Toter
„Beim ersten Mal erhielten wir eine konkrete Adresse, zu der wir nach der Busfahrt laufen sollten", erinnert sich Maria. Dort angekommen, schaufelten sie Schlamm aus dem Gebäude. „Es gab genaue Anweisungen, worauf wir achten sollten", berichtet Alexa. Die gelten auch heute noch: Jegliche Verletzungen, und sei es nur eine kleine Macke, muss sofort desinfiziert werden und Häuser, die mit einem roten „X" markiert sind, dürfen nicht betreten werden, weil sie einsturzgefährdet sind. „Und dann waren da am Anfang noch die roten Eimer", beginnt Claudia vorsichtig. Die gelernte Landwirtin ist froh, dass sie keinen gefunden hat. Denn rote Eimer durften nicht bewegt oder mitgenommen werden. Sie markierten einen Leichenfund.
Auch bei den weiteren Einsätzen wurden die drei zusammen mit anderen Helfern in großen Bussen in die Nähe betroffener Orte gebracht. Von dort liefen sie Richtung Marktplatz. „Auf dem Fußmarsch bogen Einzelne ab, um bei Häusern entlang der Straße mit anzupacken", erinnert sich Claudia. Einmal kamen sie zu einem Haus, bei dem bereits mehr als 30 Helfer eine Eimerkette gebildet hatten, um den Schlamm aus dem Keller zu holen. „Dass auch unsere Hände gebraucht wurden, wurde uns erst klar, als wir weiter in den schummerig beleuchteten Keller vordrangen", erzählt Claudia. Dort waren Helfer seit mehreren Stunden dabei, Eimer weiterzureichen. „Da werden die Arme lahm“, weiß Maria aus eigener Erfahrung. „Eimerketten brauchen viele Hände."
Meine Gedanken kreisen. Welches Bild wird sich mir gleich bieten? Der Treffpunkt des Helfer-Shuttles gleicht einer Zeltstadt. Jedes Zelt ist gekennzeichnet: Erste Hilfe, Baumarkt, Verpflegung – alles ist organisiert. Wir sind keine Minute da, als uns ein Scout anspricht. Und eh wir uns versehen, sitzen wir im Bulli eines Winzers, um bei der Rebpflege und Lese zu helfen.
Helfer-Shuttle.de: Jede Hand hilftMarc und Thomas, zwei Unternehmer aus dem Ahrtal, begannen am Samstag, den 17. Juli, nur zwei Tage nach der Flut damit, freiwillige Helfer zu koordinieren. Was mit privaten Bullis und Pkws begann, ist zu einem professionell organisierten Shuttle-Service gewachsen. Die Busse bringen wochentags von 9 bis 12 Uhr zwischen 400 und 600 Freiwillige in die von der Flut betroffenen Orte. Am Wochenende sind es etwa doppelt so viele Helfer. Nachmittags ab 16.30 Uhr fahren sie die Orte erneut an, um alle wieder abzuholen.
Der morgendliche Treffpunkt ist am „Innovationspark-Rheinland“ in Grafschaft, an der Autobahn 61. Dort werden die Helfer nicht nur verpflegt, sondern auch mit den notwendigen Werkzeugen ausgestattet – von der Schaufel bis zum Bohrhammer. Freiwillige, die mehrere Tage bleiben, können hier nicht nur ihre Zelte aufschlagen, sondern auch Dusch- und Sanitäreinrichtungen nutzen.
Der Helfer-Shuttle wird laut Aussage der Initiatoren noch so lange weitergehen, „bis sie uns hier wegtragen“ – denn es gibt noch einiges zu tun. Weitere Informationen finden Interessierte auf:
www.helfer-shuttle.de Ernte, aber keine Weinlese
Während der Fahrt zum Einsatzort bekomme ich einen ersten Eindruck davon, was die Flut vor zwei Monaten angerichtet hat. Unmittelbar an der Ahr, die mancherorts nur 50 cm tief ist, stehen teils nur noch Überreste von Häusern. Je weiter wir hochfahren, desto normaler wirkt das Straßenbild. Manchmal verrät nur ein Strich an der Hauswand noch, wie hoch das Wasser stand. Hier und da blühen Blumen auf den Balkonen im ersten Stock. Eine bizarre Szenerie.
Wir kommen am Einsatzort an. Claudia scannt den QR-Code, um den Organisatoren des Helfer-Shuttles unseren aktuellen Status mitzuteilen. Wir arbeiten im Steilhang, oder zumindest dem, was wir als Münsterländer als solche empfinden. Dort bekämpfen wir manuell das teils hüfthohe Unkraut und beschneiden die Reben. Sonst übernehmen das Hilfsarbeiter, sagt man uns. „Wo sind die jetzt?", frage ich mich, „nehme ich denen die Arbeit weg?“. Ich möchte nicht unhöflich klingen und behalte meine Fragen für mich. Der Winzer erzählt, dass er nicht elementarversichert war. Ich habe so manch eine Diskussion mitbekommen, ob nicht alle, die an der teuren Versicherung gespart haben, quasi selbst schuld seien. Innerlich zucke ich mit den Schultern: Ich bin nicht die Richtige, um darüber zu urteilen.
„Unser" Winzer hat 1,5 seiner 9 ha Rebfläche verloren. In der Ebene hat das Wasser die Reben mitgerissen. Andere Flächen wurden nur überspült. Die Trauben, die dort wachsen, darf er ernten, aber nicht zu Wein verarbeiten. Sie könnten belastet sein. Wir lesen also Trauben und lassen sie auf dem Boden fallen. Alle sind ruhig während der Arbeit. Es wirkt so sinnlos.
Gänsehaut zum Mittagessen
Auf dem Weingut selbst erinnert von außen wenig an das Hochwasser. Die Gebäude liegen nah an der Ahr, aber etwas höher. Innen wieder der verräterische Strich auf Hüfthöhe. Er lässt nur erahnen, welchen Kraftakt der Winzer und seine Angestellten in den vergangenen Wochen vollbracht haben.Draußen trocknen Weinfässer in der Sonne. Sie standen, gefüllt mit der Ernte der vergangenen Jahre, im Keller. Ihr Inhalt ist weitestgehend zerstört.
Mittags pilgern wir alle zum Verpflegungszelt. Freiwillige geben dort Essen aus. Anwohner und Helfer sitzen zusammen und stärken sich. Die Dame an der Essensausgabe kommt aus dem Ort. „Uns fehlen Helfer“, sagt sie. Sie muss Berufstätigkeit und Essensausgabe unter einen Hut bringen. Vorsichtig frage ich, ob das Wasser in ihrem Haus nicht stand. Sie schüttelt nur den Kopf, blickt mir in die Augen und sagt: „Nein, wir sind auch betroffen, aber bei uns stand das Wasser nur im Erdgeschoss – das ist nicht so schlimm.“ Ich bekomme Gänsehaut und in diesem Moment steht für mich fest: Ich werde wiederkommen, trotz aller Gedanken, die ich den Tag über hatte. Ich frage mich, warum ich nicht früher hingefahren bin und mit angepackt habe. Alexa hat recht wenn sie sagt: „Helfen kann jeder – und einfacher als hier geht es nicht.“