Weiterbildung

Ab 40 noch mal durchstarten

Rita Schäpers und Uwe Ramforth haben mit über 40 Jahren das gemacht, was sich nur wenige trauen. Sie saßen beruflich fest im Sattel und haben sich dennoch noch mal umorientiert.

Jetzt noch mal die Schulbank drücken? Ich bin mit einem mulmigen Gefühl angetreten. Danach war das Eis gebrochen“, erinnert sich Rita Schäpers aus Hamminkeln-Marienthal im Kreis Wesel an ihren ersten Schultag an der Fachschule für Agrarwirtschaft in Borken. 2014 begann die damals 42-Jährige ihre Fortbildung zur staatlich geprüften Agrarbetriebswirtin. Zwei Jahre Vollzeitunterricht lagen vor ihr. Für die dreifache Mutter war das die gefühlt größte Hürde, denn der Schulbetrieb mit langem Sitzen war nicht ihre Lieblingsbeschäftigung.

Sich fachlich fortbilden

„Ich wollte etwas Neues machen und quasi geistig aufrüsten“, benennt die gelernte Landwirtin die Motivation, beruflich noch mal nachzulegen. Seit ihrem 25. Lebensjahr bewirtschaftet sie den 6 ha großen Mutterkuhbetrieb mit Nachzucht und extensiver Grünlandhaltung im Nebenerwerb. Darüber hinaus hat Rita Schäpers einen Laden in die Deele des Wohnhauses eingebaut, in dem sie hofeigene und regional erzeugte Lebensmittel verkauft. Ihr Heimatort ist ein touristischer Magnet für Menschen aus dem Ruhrgebiet, sodass die Direktvermarktung gut läuft. Rita Schäpers lebt mit Mutter Maria, Ehemann Jens (59) und den Kindern Ole (10), Till (15) und ­Myna (16) auf dem Hof. Bevor ihr Vater vor fünf Jahren starb, reduzierte Ehemann Jens seinen kaufmännischen Job auf die Hälfte, um mehr Zeit für Familie, Haus und Hof zu haben. Die Unterstützung ihres Mannes öffnete ihr später den Weg zur Fachschule. Mutter Maria kümmerte sich weiter um den Laden. Finanziell hatte das Paar vorgearbeitet, um die zwei Jahre Schulzeit zu überbrücken.

Aller Anfang ist schwer

Das konzentrierte Lernen nach 20 Jahren Pause war zunächst eine Herausforderung für die Landwirtin, die es gewohnt war, überwiegend draußen zu arbeiten. Auf dem Stundenplan standen beispielsweise Recht, Steuern und Betriebsführung. „Der Unterricht war aber sehr interessant“, lobt sie. Dazu trugen zum einen die Ausbilder bei, aber auch der offene Kontakt zu den Mitschülern. Das herzliche Verhältnis besteht nach wie vor. „Unsere Lerngruppe trifft sich noch heute und wir sind sowohl fachlich als auch menschlich gut vernetzt.“

Nach Abschluss der Fachschule arbeitete die heute 45-Jährige an den Vorbereitungen eines Projektes zur „Ressourcen- und Umweltschonung in der Gemüseproduktion“ bei der Landwirtschaftskammer Borken in Kooperation mit dem Tiefkühlkosthersteller Iglo. Als das Ernteunternehmen von Iglo im Juli 2017 eine Assistentin für die Anbauberatung suchte, bewarb sich Rita Schäpers und bekam die Zusage. „Ohne die Fortbildung zur Agrarbetriebswirtin wäre mir das nicht gelungen. Bildung ist eine super Investition.“ Die Jobchancen seien mit Praxiserfahrung und Zusatzausbildung sehr gut, schätzt Rita Schäpers ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein. „Ich würde die Fortbildung sofort noch mal machen. Das war eine coole Zeit“, freut sich die Mittvierzigerin über ihren Erfolg.

Noch eine Erfolgsstory

Vom Tischler zum Landwirtschaftsmeister: Uwe Ramforth bei der Arbeit auf seinem Milchviehbetrieb in Vlotho-Bonneberg. (Bildquelle: Schulze Tomberge)

Auch Uwe Ramforth (54), gelernter Tischler aus Gütersloh, schlug nach der Ausbildung einen neuen beruflichen Weg ein. 1994 tauschte er seinen stadtverdrängten Kotten gegen einen Voll­erwerbsbetrieb in Vlotho-Bonneberg, Kreis Herford, ein. Jahrelang bewirtschaftete er den Familienbetrieb mit Milchviehhaltung, Grünland, Acker- und Waldbau zwar nicht staatlich geprüft, aber praxiserfahren. An einem Tag des offenen Hofes, den er mit seiner Familie im Jahr 2002 ausrichtete, wurden Lehrer der Fachschule für Agrarwirtschaft Herford auf ihn aufmerksam. Sie fanden, dass der Hof sicher ein guter Ausbildungsbetrieb sei. „Also habe ich mich entschlossen, bis zum Meister weiterzulernen, um ausbilden zu dürfen.“

Ohne Familie geht es nicht

2003 lag der Gesellenbrief auf dem Tisch, 2009 der Meisterbrief. „Da war ich 45 Jahre alt.“ Die Meisterschule besuchte Ramforth wochenweise in den Wintermonaten von 2007 bis 2009 auf dem Versuchs- und Bildungszentrum Haus Düsse. „Als Motivation für mich in den Internats-Schulbetrieb zu starten, habe ich meinen Freund mitgenommen.“ Für den heute 54-Jährigen steht fest: „Das war eine schöne Zeit. Es sind NRW-weit viele Freundschaften entstanden. Über eine Meister-WhatsApp tauschen wir uns fachlich aus und treffen uns einmal jährlich privat.“ Während der Schulzeit lief der landwirtschaftliche Betrieb weiter. Altenteiler Lisa und Werner Ramforth, Ehefrau Angelika und die Töchter Kristina und Patricia haben mitangepackt.

„Ohne familiäre Unterstützung geht so etwas nicht“, betont Uwe Ramforth. „Finanziell war das kein Problem. Der Betrieb lief und zudem gab es einen Finanzzuschuss für die Ausbildungskosten.“ Als Herausforderung empfand der Vlothoer die Meisterarbeit. „Hier war viel selbstständiges Arbeiten erforderlich. Von etwa 25 Meisteranwärtern, die die Ausbildung angetreten hatten, haben am Ende 13 bestanden.“

Ziele erreicht

Gelohnt habe sich der Aufwand. Durch Gesellen- und Meisterbrief werde sein Betrieb bei den Banken besser gewertet und bei der Beantragung bestimmter Fördermittel hänge die Förderfähigkeit von einem entsprechenden Ausbildungsnachweis ab. Die schönste Folge des Meisterbriefes ist für Ramforth, dass er ausbilden darf. Jedes Jahr hat er einen Auszubildenden und Schülerpraktikanten auf dem Hof.

Arbeitsagentur unterstützt
„Dass sich ungekündigte Arbeitnehmer nach 20 Jahren Berufstätigkeit noch mal für eine ganz neue Ausbildung entscheiden, beobachten wir in den vergangenen Jahren zunehmend“, berichtet Michael Kottmann, Teamleiter Arbeitsvermittlung und Arbeitgeberservice bei der Agentur für Arbeit in Beckum, Kreis Warendorf. Die Arbeitsagentur bietet diesen Menschen eine kostenlose Umstiegs­beratung an, aber leistet keine finanzielle Unterstützung. Ausnahme: die Förderung der Weiterbildung von Beschäftigten im Rahmen des Programms „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ (WeGebAU). Bedingung ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Weiterbildung für den Mitarbeiter wollen und diese unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes erfolgt.

So können zum Beispiel Arbeitnehmer in Betrieben mit bis zu neun Beschäftigten durch die volle Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden. Umschulungen erfolgen in den meisten Ausbildungsberufen in zwei Dritteln der normalen Ausbildungszeit, sagt der Arbeitsvermittler. Damit wird der Lebens- und Berufserfahrung der Umschüler Rechnung getragen.

„Aktuell ist der Arbeitsmarkt sehr dankbar für umgeschulte und engagiert weitergebildete Arbeitskräfte“, macht der Teamleiter der Arbeitsvermittlung Mut für einen Berufswechsel. Seiner Erfahrung nach sind diejenigen Berufe besonders aussichtsreich, in denen Fachkräfte fehlen. Bei Jobs, die weniger stark ausgeschrieben werden, biete sich ein Betriebspraktikum an, um einen Fuß in die Tür zu bekommen.

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