Westfalen in der britischen Besatzungszone

1945: Als Bad Oeynhausen "Zonen-Hauptstadt" war

Weder Vergeltung noch Abrechnung lenkte die Politik der britischen Besatzung nach 1945. Ihr Kernziel war vielmehr der Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens.

Am 8. Mai 1945 – am Tag der Kapitulation Hitler-Deutschlands und des Kriegsendes – erhielt der Landwirt Heinrich Natrop in der Bauerschaft Leven bei Datteln ein denkwürdiges Schreiben. Es stammte aus der Dattelner Stadtverwaltung, war aber nicht in deutscher, sondern in englischer Sprache niedergeschrieben.

Er, Natrop, erhalte seine beiden Zuchtstuten zurück, die Anfang April von der Wehrmacht noch requiriert worden seien. Die Pferde müsse er aber selbst abholen: "One stays on a farm at Mengede near Dortmund", hieß es in dem Schreiben. Das andere Tier stehe in Sümmern bei Menden. Unterzeichnet hatte zwar der Bürgermeister Dattelns, zu dem die Bauerschaft Leven damals gehörte – doch die Unterschrift des eigentlich Mächtigen stand in kräftigem Federstrich unter dem Schreiben: "Okay by us" hatte ein Offizier der britischen Militärregierung unter das Schreiben gesetzt. Ob der Landwirt den englischen Brief auf Anhieb verstand?

Hauptquartier in Westfalen

Viele in Westfalen mussten nach Kriegsende umdenken und auch ihre Englisch-Schulkenntnisse zusammenkratzen. Denn amerikanische Soldaten und ihnen nachfolgend britisches Militär besetzten das Land, übernahmen die Herrschaft – und damit auch die Verantwortung für den Wiederaufbau des zerstörten Landes. Sie bestimmten vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsende, was getan wurde und was nicht. Ob Lebensmittelkarten oder Wohnungsbeschlagnahmungen, Demontagen oder Entnazifizierung, Aufbau demokratischer Verwaltungen oder Lizenzen für das Veröffentlichen von Tageszeitungen: In unterschiedlichem Mafle redeten die Briten mit.

In Wirtschaft, Politik und Kultur legte die britische Besatzung vor allem in den frühen Nachkriegsjahren wesentliche Fundamente für den Wiederaufbau des Landes und auch für die Blüte in den 1950er Jahren. Das freilich konnte in Stadt und Land noch kaum jemand ahnen, der die dürftigen Anfänge des britischen Besatzungsregiments in Westfalen verfolgte.


Briten im Nordwesten
Die vier Alliierten hatten auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 beschlossen, dass die Briten den Nordwesten Deutschlands besetzen und unter ihre Militärverwaltung stellen sollten. Von Schleswig-Holstein über die Hansestädte Hamburg und Bremen und die ehemaligen Länder Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Lippe sowie die alte preßische Provinz Westfalen reichte die britische Besatzungszone.

Auch die Rheinprovinz war dem britischen Besatzungsgebiet zugeschlagen, aber zuvor geteilt worden. Der ländlich geprägte Süden der alten preußischen Rheinprovinz war der französischen Besatzungszone unterstellt, während der nördliche Teil, der fortan "Nordrhein" hieß, unter britische Verwaltung fiel.

"Hauptstadt" der Britischen Zone war lange Zeit weder Düsseldorf noch Münster und auch nicht Berlin, sondern: Bad Oeynhausen. Dort hatte die "Control Commission für Germany/British Element" nach Kriegsende ihren Sitz aufgeschlagen. Feldmarschall Montgomery als Militärgouverneur lenkte aus dem ostwestfälischen Badeort die Aufbaupolitik in der britischen Besatzungszone.

Erst im September 1945 bezog die "Control Commission" ihren Hauptsitz in Berlin. Das militärische Hauptquartier hingegen blieb in Bad Oeynhausen, ehe es 1954 nach Mönchengladbach verlegt wurde.

Eine Vorentscheidung für NRW

Für die alte preußische Provinz Westfalen und auch für die Provinz "Nordrhein" war bereits wenige Tage nach Kriegsende je eine eigene Militärregierung eingesetzt worden – in Düsseldorf die eine, in Münster die andere. Beide Provinzial-Militärregierungen waren von Beginn an einem gemeinsamen Kommando, dem I. Corps-District in Düsseldorf, unterstellt.

Diese Feinheiten würden heute allenfalls noch Spezialisten interessieren, wäre damit seinerzeit nicht eine Vorentscheidung gefallen. Denn mit der Teilung der alten Rheinprovinz und der Organisation der Provinzial-Militärregierungen hatten die Briten wichtige Weichen für die Zusammenlegung der beiden Provinzen zum neuen "Bindestrich-Bundesland" Nordrhein-Westfalen getroffen.

Doch das dürfte den allermeisten Menschen in Stadt und Land im Frühjahr und Sommer 1945 verborgen geblieben sein. Sie hatten andere Sorgen. Überlebenswichtige Fragen bestimmten ihren Alltag der Nachkriegsmonate: das Schicksal von Familienangehörigen vor allem, die Sicherung der Ernährung und die Frage nach einem Dach über dem Kopf.

Wer kennt Ledingham und Chadwick?

Über den Alltag der Besetzten wird in diesen Tagen viel geschrieben und viel gesendet. Der Alltag und die besondere Leistung der Besatzer hingegen rückt dabei bisweilen in den Hintergrund. Schon die Namen des führenden Personals sind in Vergessenheit geraten. Wem zum Beispiel sagen hier zu Lande noch die Namen George Alexander Ledingham oder Cecil A. H. Chadwick etwas?

Beide leiteten die britische Militärregierung Westfalens in Münster: Ledingham nahm seine Tätigkeit ausgerechnet am Namenstag des Bistumsgründers Liudger, am 26. März 1945, auf. Als er im September 1945 in den Dienst der frisch gegründeten "Vereinten Nationen" trat, folgte ihm Chadwick.

Unter äußerst schwierigen Bedingungen – fehlende Büroräume, mangelndes Personal, schwierige Lebensbedingungen – schafften sie es, bis zum Herbst 1945 eine staunenswert funktionierende Verwaltung aufzubauen.
Manche Militärkommandanten, vor allem auf lokaler Ebene, ließen ihrem Argwohn freien Lauf, legten einen mitunter barschen Befehlston an den Tag und lißen die deutschen Verwaltungsstellen die unvorstellbaren Untaten der Nazis spüren.

Wohnungsbeschlagnahmen trübten das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten, ebenso das rigoros wirkende Festhalten der Briten an Demontagen ganzer Industrieanlagen. Landwirte empfanden vor allem die britischen Holzeinschläge und das Beschlagnahmen von Erntevorräten als "hemmungslose Siegerpolitik". Insgesamt aber bestimmten weder Vergeltung noch Abrechnung die Politik der britischen Besatzer, sondern der Neuaufbau einer demokratischen Gesellschaft. Aber wo sollten sie beginnen?

Britische Besatzung und deutsche Verwaltung

"Die Besatzungsmacht stand vor einer außerordentlich komplexen und schwierigen Aufgabe", so hat es der Historiker Karl Teppe für Westfalen zusammengefasst. "Sie musste das öffentliche Leben wieder in Gang bringen, die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung garantieren, das Schul- und Bildungswesen sowie die Gerichtsbarkeit reorganisieren, die Camps mit den ,displaced persons' (den befreiten Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern) auflösen und deren Rückführung in die Heimatländer veranlassen. Ferner wollte sie belastete Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Verwaltung, Wirtschaft und Politik aus ihren Ämtern entlassen, politische Erziehungsarbeit leisten sowie ein demokratisches, auf Gewaltenteilung und politischer Mitverantwortung der Sieger basierendes Gemeinwesen aufbauen."

Dieses Programm in denkbar karger Zeit umzusetzen, war alles andere als leicht. Dass es dennoch gelang, war auch dem allmählich wachsenden Einverständnis und der wechselseitigen Kooperation zwischen britischen Besatzungs- und neu geschaffenen deutschen Verwaltungsbehörden zu verdanken. Noch einmal der Historiker Karl Teppe:

"Der ständige Dienstverkehr und zwischen deutschen und englischen Behörden und die Erkenntnis, die drängenden Gegenwartsprobleme nur gemeinsam bewältigen zu können, beeinflussten maflgeblich das Klima und den Umgangston zwischen Siegern und Besiegten."