Anfang 2019 machte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz der Familie Wassenberg ein Angebot, das sie kaum ablehnen konnte. Wenn sie schnell einen Antrag stellten, sollten sie zügig 50 000 € Förderung für die Sicherung ihrer Mühle bekommen.
Normalerweise wenden sich Denkmaleigentümer mit ihren Wünschen an die Stiftung. In diesem Fall war es aus einem besonderen Grund anders. Die Mühle der Familie war in einem ähnlich schlechten Zustand wie die Mühle in Immerath. Dieser Ortsteil von Erkelenz im Kreis Heinsberg soll als einer der letzten Orte dem Braunkohletagebau Garzweiler weichen. Nach langem Hin und Her hatte die RWE dort die Mühle abgerissen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wollte zeigen, dass auch so stark beschädigte Denkmäler zu retten sind. Und da brachte das Rheinische Amt für Denkmalpflege die Mühle auf dem Hof der Familie Wassenberg in Winnekendonk, einem Ortsteil von Kevelaer im Kreis Kleve, ins Spiel.
Eine Mühle mit Hof
„Kerssenbooms Hof“ heißt dieser bis heute. Denn so hieß die Familie, von der die Wassenbergs den Hof vor 22 Jahren übernommen haben. Bis zum vergangenen Jahr bewirtschafteten sie ihn auch. Inzwischen ruht die Landwirtschaft – auch weil keiner der drei Söhne dort seine berufliche Perspektive sieht.
Für Robert und Matthias Wassenberg, heute 35 und 32 Jahre alt, war die Mühle einst ein Spielplatz, wegen der wachsenden Schäden ein nicht ganz ungefährlicher. Zuletzt klafften riesige Löcher in der Kappe. Wind und Wetter setzten vor allem den vielen Holzteilen innen und außen zu. Bernhard Wassenberg, der Vater von Matthias und Robert, hat noch andere Erinnerungen an die Mühle. Sein Vater war nach dem Krieg Verwalter auf dem Hof gewesen, der seiner Cousine gehörte.
Die Geschichte der Mühle beginnt rund 100 Jahre zuvor. Sieben Landwirte und ein Kaufmann bauten 1849 eine sogenannte „Gesellschaftsmühle“. Sich selbst und weiteren Bauern wollten sie den Weg zur nächsten Mühle verkürzen. Sie errichteten einen „Turmholländer“. „Holländer“ sind in der Fachsprache der Mühlenbauer Modelle mit drehbarer Kappe. Drinnen setzten die Erbauer auf Technik, die zuvor schon im Emsland im Einsatz gewesen war. Für den Betrieb stellten sie einen Müller ein.
1858 wurde die Mühle mit Haus und Garten verpachtet. Bernhard Kerssenboom bekam den Zuschlag und kaufte den Gesellschaftern zwei Jahre später die Mühle ab.
Gespanne „einparken“
Basis des Baus ist ein hohes Kellergeschoss, um das rundum Erde aufgeschüttet ist. Hier mussten die Bauern einst ihre Pferdegespanne rückwärts „einparken“, um Korn zu liefern oder Mehl abzuholen. Aufgesetzt ist der sogenannte Mühlenschaft. Sein Backsteinmauerwerk reckt sich auf insgesamt 32 m Höhe. Oben bildet die Kappe das Dach. An ihr drehten sich einst zwei gewaltige, mit Segeltuch bespannte Gatterflügel. Mit dem sogenannten Holzstert oder Stertwerk ließen sich die Flügel in den Wind drehen. Dafür ist die ganze Kappe auf einem Drehkranz gelagert.
Zwei Mühlsteine vermahlten Getreide zu Mehl. Schon Anfang der 1870er-Jahre war dafür aber nicht mehr zwingend Windkraft erforderlich. Die Mühle bekam eine Dampfmaschine, 1913 wurde sie auf Elektrizität umgerüstet. Damit konnte sie rund um die Uhr laufen, egal ob der Wind zu stark oder zu schwach wehte. 1949 schloss der letzte Müller die Tür ab. Das Geschäft lohnte sich nicht mehr. Die Regie auf dem Hof führten ab den 1960er-Jahren Pächter.
Entrümpeln und sichern
Die Wassenbergs kennen die Mühle inzwischen bis in die Details. Nach der Förderzusage haben sie den lange verschlossenen Bau entrümpelt, den Schmutz vieler Taubengenerationen entfernt und die verschiedenen Ebenen wieder begehbar gemacht. Auch gefunden haben sie einiges, zum Beispiel einen alten Mühlstein. „Damit hat sich unser Radlader schwergetan“, berichtet Matthias und fragt sich bis heute, wie solche Gewichte einst an Ort und Stelle gebracht wurden.
Die Suche nach einer Firma, die eine marode Mühlenkappe instand setzen kann, führte die Wassenbergs in die nahen Niederlande. Mit einem Autokran hievten die Restauratoren die ganze Konstruktion auf den Boden und nach anderthalb Jahren wieder zurück in die Höhe. In der Zwischenzeit wurden morsche Teile ersetzt. Auch im Gebäude tauchten immer wieder neue Baustellen auf. Viele Balken faulten an den Auflagepunkten im Mauerwerk.
Die Kappe kam schließlich „nackt“ aus den Niederlanden zurück. In drei Lagen nagelten die Handwerker vor Ort in Winnekendonk neue Schindeln auf. Sie sind allesamt aus Eiche und handgespalten. Aus gutem Grund, weiß Robert Wassenberg. „Die Holzfasern bleiben so heil und das Wasser läuft besser ab.“ Trotzdem halten die Schindeln nur 20 bis 30 Jahre. Die Familie hätte deshalb lieber Schiefer verwendet. Aber da sträubte sich der Denkmalschutz. Und ob die Haube das schwere Material getragen hätte? Auch das ist fraglich.
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Viel Zeit und auch Geld hat die Familie inzwischen in die Mühle gesteckt. Rund 250 000 € kalkuliert sie für einen Zustand, der den Bau für die nächsten Jahrzehnte sichert. Rund 90 % tragen Förderer, darunter ist auch das Land NRW. Als nächstes sollen Flügel und Stertwerk restauriert werden. Der Förderantrag ist in Vorbereitung.
Ob die Mühle jemals wieder in Gang kommt? Für die Wassenbergs ist das sehr fraglich. Es ist kaum zu kalkulieren, was die Belastungen mit dem Material machen, wenn sich die Flügel wieder drehen. Lohnend ist das Projekt für die Familie aber auch so: Die Mühle können sie der Nachwelt erhalten – und Winnekendonk einen Teil seiner Silhouette.
Pfingstmontag ist Mühlentag
Rund 600 historische Mühlen in ganz Deutschland öffnen am Pfingstmontag, 6. Juni, ihre Türen. In Nordrhein-Westfalen sind etwa 100 Mühlen dabei. An vielen Orten gibt es neben Führungen auch Ausstellungen, Vorführungen und Angebote für Kinder.
Interessierte können online nach Mühlen suchen, die am Pfingstmontag geöffnet sind. Auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung steht eine Karte mit allen beteiligten Mühlen bereit. Auch Öffnungszeiten und Programm sind dort hinterlegt.
(www.deutsche-muehlen.de)
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