Betrug mit der Liebe

Love Scammern auf der Spur

Die große Liebe sollte es sein. Doch es war ein einzigartiges Lügenkonstrukt, dem Helga Grotheer aufsaß. Heute hat sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, andere davor zu bewahren.

Er hieß Steve, kam aus London und liebte Motorräder, genau wie Helga Grotheer. Es funkte sofort zwischen den beiden. Zumin­dest glaubte die 62-jährige Frührentnerin das. Sie erzählt uns ihre vermeintliche Liebesgeschichte, die ihr Leben prägen sollte.

Lilienthal und London

Sie begegneten sich 2008 online. Helga lernte gerade für ihre erneute Zulassung als Versicherungskauffrau. Zur Ablenkung trieb sie sich auf gängigen Dating-Websites he­rum. Und dann waren da die Bilder von Steve. Eher der südländische Typ, groß mit markantem Gesicht. „Er gefiel mir sofort und dann schrieb er mich auch noch an“, erzählt sie. Sie antwortete unverzüglich auf Englisch, schließlich war sie dank jahrelanger Außendiensttätigkeit mit der Sprache vertraut. Es entstand ein reger digitaler Briefwechsel zwischen der Frau aus dem niedersächsischen Lilienthal im Landkreis Osterholz bei Bremen und dem Mann aus London, dem vorgeblichen Wohnort von Steve. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das bereits eine Lüge war“, sagt Helga.

Mails und Telefonate

Es blieb nicht bei Mails und Chatnachrichten: „Wir telefonierten und auch seine Stimme gefiel mir.“ Er machte ihr Mut für die bevorstehende Prüfung, erkundigte sich, wie ihr Tag war. Es entstand eine Vertrautheit, die Helga seit ihrer Scheidung fünf Jahre zuvor nicht mehr gefühlt hatte. „Jedes Mal, wenn eine Nachricht kam, spürte ich mein Herz ein wenig schneller schlagen“, erzählt sie. Auch ihren Freunden erzählte sie von ihrer Bekanntschaft. Sie war verliebt, obwohl sie ihr charismatisches Gegenüber nur von Bildern kannte. Ihrer Familie, zu Hause auf dem landwirtschaftlichen Betrieb, erzählte sie nichts. „Ich konnte ihn ja nicht zu Familienfesten oder Ähnlichem mitbringen – er war ja in London“, erklärt sie.

Helga Grotheer fiel selbst auf einen Love Scammer herein. Seitdem ermittelt sie zusammen mit anderen Geschädigten auf eigene Faust. (Bildquelle: K. Quinckhardt)

Meiner ist anders

Es war ein Versehen, dass Helga ­eines Tages Steves Mailadresse in die Adresszeile des Internetbrowsers eingab. Denn eigentlich hatte sie nur eine neue Mail beginnen wollen. Und plötzlich fand sie sich in einem amerikanischen Forum über Love Scammer wieder, wo ihr Angebeteter als Betrüger mit all seinen Bildern und Kontaktdaten aufgeführt war. „Ich wollte das nicht wahrhaben“, sagt Helga. Dennoch konfrontierte sie Steve noch am gleichen Abend mit ihren Erkenntnissen. Er beteuerte seine Unschuld, seine Daten und Bilder seien gestohlen worden und er hätte es ihr auch am gleichen Abend sagen wollen. Helga glaubte ihm. „Ich wollte ihm einfach glauben“, sagt sie heute. ­Warum auch nicht? Schließlich hatte er sie noch nie um Geld gebeten. Wie sollte er dann ein Betrüger sein? Helga hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie während ihrer beruflichen Umorientierung nur über wenig Geld verfügte. Sie setzten ihre digitale Romanze fort.

Was sind Love und Romance Scammer?
Diese Betrüger (englisch: scammer) haben sich darauf spezialisiert, sich auf Datingplattformen und Onlineportalen an Frauen und Männer heranzumachen. Ihr einziges Ziel ist, die Person finanziell auszunehmen. Dazu nutzen sie Fakeprofile. Sie fälschen also Personen­angaben auf Basis gestohlener Identitäten.

Auf nach Nigeria

Dann musste Steve wegen eines beruflichen Auftrags verreisen. Ihm war als Ingenieur ein Straßenbauprojekt übertragen worden – in Nigeria. Helga beschlich ein komisches Gefühl. In dem amerikanischen Forum hatte sie gelesen, dass der Betrüger „Steve“ nicht in London, sondern in Nigeria wohnen würde. Damals konnte man aufgrund des weniger strikten Datenschutzes noch Mails zu ihrer IP-Adresse zurückverfolgen. Helgas Erkenntnis: „Steves Nachrichten stammten alle aus Nigeria“. Helga wandte sich an Elke, die Autorin des Posts, die zufällig auch aus Deutschland stammte. Sie tauschten sich aus und beschlossen, das Spiel, das Steve mit Helga spielte, erstmal mitzuspielen – schließlich hatte er auch nach mehr als drei Monaten Kontakt immer noch nicht nach Geld gefragt. Helga hoffte weiter, dass es ein riesiges Missverständnis sei.

7000€ für den Liebsten?

Und dann kam der Tag, an dem Steve Helga doch um Geld bat. Er bräuchte 7000 €, um Zollbeamte zu bestechen, die seine Baumaschinen nicht freigeben wollten. Für Helga brach eine Welt zusammen: „Ich habe an allem gezweifelt, an mir, meiner Menschenkenntnis, einfach allem.“ Sie fiel in ein tiefes Loch, aber gleichzeitig wuchs die Wut in ihr. „Wie kann man so mit den Gefühlen anderer Menschen spielen?“, fragt sie sich bis heute. Sie wollte Gewissheit und stellte Steve zur Rede. In einem Videochat outete sich Steve. Er heißt Ehnis, 34 Jahre alt, kommt aus Nigeria und ist dort Student. Das Love Scamming ist seine tägliche Arbeit, mit der er sein Studium finanziert. Als Helga wissen wollte, wer die Person auf den Bildern des Fakeprofils war, blockierte Ehnis sie im Chat.

Es passiert auch Polizisten

Heute weiß Helga, dass es viele Menschen wie Ehnis gibt: „Viele unserer Fälle führen uns nach ­Nigeria“. Mit „Fällen“ meint Helga andere, die Betrügern aufgesessen sind. Denn nur ein Jahr nach ihrem eigenen Liebes-Aus gründete sie die Plattform romancescambaiter.de auf der sich Betroffene melden und vernetzen können. Hier stellte Helga fest, dass Menschen aller Bevölkerungsschichten betroffen sind. „Das was mir passiert ist, kann ­jedem anderen auch passieren“, ist die Niedersächsin überzeugt. „Unter den rund 5000 Mitgliedern in unserem Forum sind Polizist­Innen, RichterInnen und RechtsanwältInnen“, führt sie fort, „und auch sie sind darauf reingefallen.“ Helga gendert bewusst, denn sowohl Männer als auch Frauen lassen sich in die Falle locken. „Männer schämen sich aber häufig noch mehr als Frauen, darüber zu sprechen“, sagt sie. Helga stellt einen weiteren Unterschied zwischen den Geschlechtern fest: „Männer sind meist nicht bereit, mehr als eine Geldzahlung zu tätigen. Daher verlieren sie oftmals nur rund 5000 € an die Betrügerin. Frauen sind meist leidensfähiger und spielen länger mit. Im Schnitt beläuft sich die Schadenssumme bei ihnen auf rund 20  000 €.“ Ein ­Opfer ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: „Sie hat ihrem Scammer in Summe 770  000 € geschickt.“

Informationen sammeln

Helga und die anderen sechs Admins im Forum verbringen viel Zeit mit Internetrecherchen. Außerdem chatten sie mit Love Scammern. Sie versuchen, an möglichst viele Informationen über ihr Gegenüber zu kommen. Manchmal schickt einer einen Kontoauszug als Beleg für sein Vermögen. Sind die anderen Transaktionen nicht geschwärzt, können wir über die IBAN andere Opfer ausfindig machen oder Betroffene gegebenenfalls auch warnen“, sagt Helga.

Das Vorgehen der Betrüger ist vielfältiger geworden. Während früher ausschließlich nach Geld gefragt wurde, geht es heute auch um das Weiterleiten von Geldern über das eigene Konto oder das Weiterschicken von Paketen. Die Opfer machen sich so der Geldwäsche strafbar oder schließen unbewusst Verträge ab.

Deutsch kostet mehr Zeit

Für Helga ist die Jagd auf Love Scammer zur Lebensaufgabe geworden. Allein 70 Verhaftungen konnte die Polizei hierzulande durchführen, weil sie und ihre Kolleginnen ermittelt, recherchiert und als Lockvögel agiert haben. Sie wird sich also weiter auf Datingplattformen tummeln. „Ich schreibe nur mit Männern, deren Bilder mir auch gefallen“, erklärt sie. Im Gegensatz zu der Kommunikation mit Steve schreibt Helga aber nur noch auf Deutsch. „Wenn es ein Betrüger ist, dann soll ihn das Gespräch wenigstens mehr Zeit kosten, weil er jeden Satz in den Übersetzer eingeben muss“, lacht sie. Helga hat gelernt, das Spiel mit den Gefühlen zu spielen. „Und wenn sich hinter den ansprechenden Bildern kein Betrüger verbirgt? Umso besser!“, sagt Helga augenzwinkernd.

Tipps gegen Heiratsschwindel 2.0
Als „charmant und extrem zugewandt“ beschreibt Kriminalhauptkommissarin Cordula Mayer „Love Scammer“. Bei der Polizei Münster kümmert sie sich um den Opferschutz. Damit die Liebesfalle nicht zuschnappt, hat sie einige Hinweise.
Wer auf deutschsprachigen Dating­plattformen auf Englisch schreibt, ist verdächtig.
Geben Sie den Namen der Internet-Bekanntschaft, am besten auch die E-Mail-Adresse, zusammen mit dem Begriff „Scammer“ in eine Suchmaschine ein. Betrüger sind meist bekannt.
Kommunizieren Sie auf der Dating­plattform und verwenden Sie eine alternative E-Mail-Adresse. Im Betrugsfall müssen Sie dann nicht Ihren Hauptaccount löschen.
Stellen Sie Gegenfragen nach Persönlichem. Wenn Infos spärlich kommen, sollten Sie nachdenklich werden.
Wirken Sie mit Nachdruck auf Videotelefonate hin. Diese zu fälschen ist aufwendig.
Sichern Sie Chats und Daten, um im Zweifel Belege zu haben.
Senden Sie niemals Geld an jemanden, den Sie noch nie gesehen haben. Fragen Sie sich: Warum sollen ausgerechnet Sie die Einzige sein, die helfen kann? Was würde ich einer Freundin raten, wenn sie in einer solchen Situation ist?
Wenn Sie sicher sind, es mit einem Betrüger zu tun zu haben: Brechen Sie den Kontakt ab, blockieren Sie die Person, informieren Sie den Betreiber der Plattform und löschen Sie im Zweifel Ihren Account. Erstatten Sie Anzeige, auch wenn eine Strafverfolgung oft schwierig ist. Weitere Hinweise gibt es online.
www.polizei-beratung.de

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