Westfälisches Wörterbuch: Das Platt von A bis Y

Das Westfälische Wörterbuch bildet den niederdeutschen Wortschatz der Region ab. Ob es jemals fertig wird, das stand lange auf der Kippe. Doch 2021 konnte es Dank Robert Damme vollendet werden.

Das Westfälische Wörterbuch ist ein Mammutwerk. Die fünf Bände kommen auf mehr als 3600 Seiten. Knapp 90  000 Wörter der niederdeutschen Mundart Westfalens sind dort verewigt.

Von A bis Y reichen die Einträge. Der Buchstabe Z ­wurde nicht vergessen: Hochdeutsche Wörter mit „Z“ beginnen im Platt, wie das Niederdeutsch landläufig heißt, meist mit „T“ oder sind im Wörterbuch wie das Wort Ziege unter„Ss“ zu finden.


Im vergangenen Jahr erschien der fünfte und abschließende Band. Herausgeber ist die Kommission für Mundart und Namenforschung Westfalens des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Vier Bände steuerte Dr. Robert Damme bei. Wir sprachen mit dem Germanisten.

Eine logistische Leistung

Plattdeutsch ist in Westfalen nicht Plattdeutsch. Welche niederdeutschen Mundarten zählen zum Westfälischen?

Damme: Die westfälische Mundartlandschaft lässt sich grob gesagt in vier Gruppen aufteilen: münsterländisch, westmünsterländisch, ostwest­fälisch und südwestfälisch.

Im Münsterland ist das Plattdeutsch von Steinfurt bis Beckum ähnlich, während es in Ost- und Südwestfalen nicht selten von Ort zu Ort Unterschiede gibt. Das Wörterbuch bündelt alle niederdeutschen Dialekte Westfalens.

Nicht dazu gehört das Siegerländer Platt. Es ist eine mitteldeutsche Mundart. Dazu zählt aber der niederdeutsche Dialekt aus dem Waldecker Land in Nordhessen.

Können Sie die Vielfalt an einem Wort veranschaulichen?

Deutlich wird es am Begriff „Frosch“: „Höpper“ heißt er im südlichen Ostwestfalen, im Westen „Kickfors“ und im Kreis Steinfurt und im nördlichen Ostwest­falen findet man den Ausdruck „Pogge“ .

Im südlichen Münsterland und Südwestfalen findet man „Fors(k)“. Münster liegt an der Grenze zwischen dem „Pogge“- und dem „Forsk“- Gebiet.

Welche Lücke schließt das Westfälische Wörterbuch?

Es schließt eine geografische ­Lücke zwischen dem Rheinischen Wörterbuch, das schon seit 50 Jahren abgeschlossen ist, und dem Niedersächsischen Wörterbuch, das noch zehn Jahre braucht.

Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 30 großlandschaftliche Dialektwörterbücher wie das Badische oder Bayerische. Davon ist etwa die Hälfte fertig.

Wie sind Sie 1985 zu der Arbeit an diesem Werk gekommen?

Meine Eltern stammen aus Berlin und ich bin in Bielefeld groß geworden. Im Studium der Germanistik in Münster stieß ich durch Zufall auf die dortige „Niederdeutsche Abteilung“.

Wegen meiner Lateinkenntnisse bekam ich eine Hilfskraftstelle bei einem Projekt zu lateinisch-niederdeutschen Wörterbüchern des Spätmittelalters. Als eine Stelle beim Westfä­lischen Wörterbuch frei wurde, habe ich mich beworben.

Mittlerweile besitze ich eine große passive Sprachkompetenz. Ich spreche aber keine Ortsmundart.

Während sich früher vier Wissenschaftler um das Wörterbuch gekümmert haben, waren Sie seit Anfang der 1990er-Jahre der einzige hauptamtliche Mitarbeiter.

Meine Vorgänger haben das Archiv aufgebaut. Anfang der 1970er begannen sie, aus der Sammlung ein Nachschlagewerk zu machen. Bis 2008 waren aber gerade mal die Buchstaben A bis F fertig. Es war unklar, ob das Wörterbuch jemals vollendet werden kann.

Die LWL-Kulturabteilung äußerte öfter ­Kritik am schleppenden Fortgang. So fasste ich einen ambitionierten Entschluss: das Wörterbuch bis zum Renteneintritt fertigzustellen.

Wie konnten Sie das Tempo anziehen, ohne die Genauigkeit zu verlieren?

Das war vor allem eine logistische Leistung. Um den Plan zu realisieren, stellte ich die Arbeitsabläufe komplett auf den Prüfstand und strukturierte sie um. Viele Aufgaben delegierte ich an Studierende.

Ich konzentrierte mich auf die speziellen germanistischen Aufgaben. Außerdem habe ich die letzten 13 Jahre meines Berufslebens nichts anderes gemacht und ging anderthalb Jahr später in den Ruhestand.

Digitalisierung läuft

Das Gesamtwerk kostet über 800 €. Wer nutzt es?

Es hat einen wissenschaftlichen Anspruch. Vor allem Sprachwissenschaftler nutzen es.

Jeder, der sich über die Verbreitung und Bedeutung von Begriffen, aber auch die Verwendung in Redensarten informieren will, wird fündig. Die Digitalisierung wird es zudem benutzerfreundlicher machen.

Auch wenn es nicht als gelebte Sprache erhalten bleibt, so doch zumindest als Kulturgut.

Was ist im Rahmen der Digitalisierung geplant?

Nur die Bände 3 bis 5 liegen in digitaler Form vor, vom ersten und zweiten Band nur Teile. Diese müssen erst noch digital erfasst werden. Wenn das erfüllt ist, wird es in das digitale Wörterbuchnetz der Uni Trier eingebunden.

Das wird noch einige Monate dauern. Dann kann jeder kostenlos und mit Volltextsuche im Internet stöbern.

Wie schätzen Sie die Zukunft des Platt in Westfalen ein?

Schon vor 100 Jahren gingen die Forscher von seinem baldigen ­Ende aus. In manchen Regionen ist es aus dem Alltag verschwunden. Woanders, wie im Westmünsterland, sprechen es nicht nur die Alten.

Während Mundart lange Zeit verpönt war, steigt seit Jahrzehnten das Interesse am Plattdeutschen – sei es beim niederdeutschen Theater oder in VHS-Kursen. Auch wenn es nicht als gelebte Sprache erhalten bleibt, so doch zumindest als Kulturgut.

Das Westfälische Wörterbuch
Die Basis für das Westfälische ­Wörterbuch ist das gleichnamige Archiv, das im Jahr 1927 gegründet wurde. In über 500 Kästen vereint es ungefähr 5 Mio. mundartliche Belege. Zunächst führten die Forscher Interviews mit Sprechern des Platt.

Es entstand eine Sammlung lautschriftlicher Belege, die sich bei der Beurteilung der laienschriftlichen Belege als unentbehrlich erwies.

Weniger zeitaufwendig und flächendeckender war die Datenerhebung per Fragelisten, die in ganz Westfalen verschickt wurden. Den Grundstock des Archivs bilden aber veröffentlichte und unveröffentlichte Wörtersammlungen.

Im Nachschlagewerk liegt jedem Wortartikel ein historischer Stichwortansatz zugrunde, das heißt: Als Stichwort wurde die Form angesetzt, auf die sich alle mundartlichen Belege zurückführen lassen.

Innerhalb des Artikels folgt zunächst die Angabe zur grammatischen Kategorie und zur Verbreitung, dann ein Bedeutungsteil. Er beinhaltet Satzbeispiele, Redens­arten und Sprichwörter. Es folgen Lautteil und Verweise auf Wörter­bücher umliegender Dialektgebiete.