In Westfalen "regieren" in diesem Sommer wieder die Schützen. Nach zwei Jahren Auszeit wollen viele wieder unbeschwert feiern und ihren Majestäten zu jubeln. Zurzeit gibt keine coronabedingten Einschränkungen. Wie sich das über den Sommer entwickeln wird, weiß niemand.
Doch nicht nur Corona ist weiterhin ein Thema, sondern auch die steigenden Preise sowie der Krieg in der Ukraine trübt ein wenig die Vorfreude. Wir sprachen mit Verantwortlichen, Wissenschaftlern und Gästen über den Neustart der Saison.
Sicht der Vorstände
Mario Kleinemeier ist Diözesanbundesmeister beim Diözesanverband Paderborn des Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften. Der 46-Jährige aus Rietberg-Westerwiehe im Kreis Gütersloh steht 155 Schützenbruderschaften, Gilden und Vereinen vor mit insgesamt 75 000 Mitgliedern.
„Viele Vereine in unserem Diözesanverband wollen nach zwei Jahren Auszeit endlich wieder starten und ihr traditionelles Schützenfest feiern. Ich selbst freue mich, viele Feste zu besuchen und mit der Schützenfamilie an der Basis zu reden. Obwohl 2020 gewählt, ist es für mich die erste Schützenfestsaison als Diözesanbundesmeister.
Stand jetzt gibt es wegen Corona keine Auflagen mehr. Außer dass beim Ausschank genauer hingeschaut wird, ob auch mit dem Spülboy gereinigt wird. Aber das war vorher schon Auflage. Daher schaue ich in Bezug auf Corona optimistisch auf die Saison. Es wird wärmer und die Inzidenzen sinken. Daher befürchte ich auch keine weiteren Auflagen. Wichtig ist aber immer der enge Austausch mit dem Ordnungsamt vor Ort.
Hingegen bin ich bei den Besucherzahlen verhalten optimistisch. Bei einer aktuellen Teuerung von 7 % fehlt vielen die Kaufkraft im Portemonnaie. Die Vorstände sehen sich mit höheren Kosten als noch 2019 konfrontiert. In unserem Diözesanverband gibt es viele Traditionsveranstaltungen in Festzelten. Manche Zeltverleiher haben aufgehört. Ein geringeres Angebot macht die Zelte teurer.
Außerdem haben Kellnerinnen und Keller sowie Mitarbeiter aus der Veranstaltungsbranche sich in den zwei Jahren neue Jobs gesucht. Um diese Arbeiten wieder attraktiv zu machen, werden höhere Löhne gezahlt. Zeltverleiher, Festwirte und Schausteller dürfen aber nicht versuchen, die Ausfälle der vergangenen zwei Jahre binnen einer Saison wieder reinzuholen. Sonst verschrecken sie Besucher und Vereine.
Daher dürfen die Preise nur moderat steigen. So wird das Glas Bier vermutlich 20 bis 30 Cent teurer sein. Das Schützenfest muss aber noch ein Fest bleiben, auf dem das ganze Dorf feiern kann und nicht nur die Besserverdienenden.
Neben der Pandemie und der Teuerung kommt nun noch der Krieg in der Ukraine hinzu. Ich kann die Bauchschmerzen mancher Schützenbrüder verstehen. Der Krieg ist gerade mal 1,5 Flugstunden von uns entfernt und Geflüchtete aus der Ukraine leben unter uns.
Doch ich bin der Meinung, dass eine Absage des Festes falsch wäre und man feiern darf. Denn wir Schützen gedenken nicht nur beim Schützenfest am Ehrenmal der Gefallenen und Opfer sämtlicher Kriege und mahnen zum Frieden. In der Schützenmesse wird für den Frieden gebetet. Vereine und Bruderschaften organisieren Spendenaktionen für die Ukraine.
Wie die Vorstände das Fest dieses Jahr aber im Detail feiern, muss jedes Team selbst entscheiden. Manche unterlassen das traditionelle Böllerschießen, andere verkürzen den Ausmarsch durch den Ort oder verzichten auf die Holzgewehre. Wir können jetzt aber noch nicht absehen, wie die Lage sich über den Sommer entwickelt und wie nah der Krieg uns noch kommt.“
Stimme der Wissenschaft
Jonas Leineweber forscht an der Uni Paderborn zum Schützenwesen und ist Mitautor einer Corona-Sonderstudie. Er ist selbst Mitglied der St. Sebastian Schützenbruderschaft Schwaney.
„Das Schützenfest ist elementar für jeden Schützenverein. Es ist Ort der Begegnung, Gemeinschaft und Geselligkeit, besonders auf dem Land. Dort ist es häufig das zentrale, manchmal sogar das einzige Fest im Ort. Vergleichbares zeigen auch die Ergebnisse unserer Sonderstudie zur Corona, bei der wir mehr als 2000 Schützen befragt haben. Das Treffen und das Wiedersehen mit Freunden und Bekannten wurde als der Aspekt beschrieben, der am stärksten vermisst wurde.
Bei den meisten Vorständen steigt die Vorfreude auf das Fest. Dennoch gibt es noch einige Unklarheiten. Auf den diesjährigen virtuellen Schützenkonferenzen gaben manche Vorstandsmitglieder zu, dass es schwierig werden könnte, die eigenen Mitglieder nach zwei Jahren wieder zu motivieren, um sich für den Verein und für das Fest zu engagieren.
Ein noch größeres Fragezeichen steht hinter der Frage, kommen so viele Gäste wie zuvor. Oder lassen sich einige von den Gedanken an eine mögliche Ansteckung abschrecken?
Sensibel umzugehen ist auch mit dem Krieg in der Ukraine: Was denken Geflüchtete, wenn Menschen in Uniform durch die Straßen marschieren? Das Schützenfest kann dabei aber auch seine integrative Kraft entfalten und den Geflüchteten ein paar schöne Stunden bieten, in denen sie nicht an den Krieg denken müssen. Dabei müssen die Vorstände ihnen die Tradition und den Volksfestcharakter des Festes erklären. Vielleicht sollte man aber sehr bedacht mit Böller- und Salutschüssen dieses Jahr umgehen.“
Und die Musikkapellen?
Katharina König (32) aus Schmallenberg-Westfeld im Hochsauerlandkreis ist 1. Vorsitzende der Sauerlandkapelle Bracht-Wormbach. Sie berichtet:
„Die vergangenen beiden Jahre waren eine große Herausforderung für uns als Musikkapelle. Wir konnten nicht wie gewohnt alle gemeinsam jede Woche üben, sondern durften anfangs gar nicht, später dann in Kleingruppen mit maximal zehn Musikern proben. Zwischenzeitlich konnten wir wegen der Abstandsregelungen auch auf dem Sportplatz und in der Schützenhalle üben. Da haben uns die anderen Vereine wirklich toll unterstützt.
Eine weitere Herausforderung war, neue Musikstücke einzuüben, weil uns das Ziel vor Augen fehlte. Es fanden ja kaum Veranstaltungen statt.
Seit März dieses Jahres dürfen wir wieder als gesamte Kapelle proben.
Die Wiedersehensfreude war riesig. Alle hatten sich viel zu erzählen. Und alle freuen sich jetzt auf die bevorstehende Schützenfestsaison. Wir begleiten auf vier Schützenfesten die Festzüge und spielen ein Schützenfest komplett alle drei Tage, worauf wir uns ganz besonders freuen. Denn es ist einfach schön, mit den Leuten zu feiern und für gute Stimmung zu sorgen. Seit den Impfungen und seit der Omikron-Variante haben wir weniger Bedenken, ein so großes Fest in einer Schützenhalle zu spielen.“
Lesen Sie mehr: