So eine schöne Sportstätte! Wer die Radrennbahn in Bielefeld zum ersten Mal besucht, erlebt eine echte Überraschung. Zuerst sieht alles ziemlich gewöhnlich aus: Umkleidegebäude, eingeschossig, deutlich in die Jahre gekommen. Durch einen finsteren, feuchten und tiefen Tunnel geht es ins Innere. Und dann liegt es da: Ein weites Oval, eine Piste aus Beton, mit hohen, steilen Kurven und flacheren Geraden, in der Mitte sattgrüner Rasen, darüber nur noch der blaue Himmel. Ein stiller Ort am Rande der Großstadt, eine Welt für sich, versteckt im Grün.
Die Bielefelder Radrennbahn von 1953 ist ein technisches Denkmal, in Fachkreisen berühmt. Heute wollen wir uns das sonderbare Objekt genauer anschauen – und vielleicht eine Proberunde drehen.
Die steilste und schnellste
Berühmt ist die Rennbahn, weil sie seinerzeit die steilste und schnellste von allen war. Clemens Schürmann hieß ihr Architekt. Er war Spezialist für solche Sachen, hatte schon 40 Rennbahnen gebaut und sich für Bielefeld etwas ganz Besonderes vorgenommen. Das ganze große Oval wollte er in Spannbeton und gewissermaßen aus einem Guss herstellen. „Fugenlos“ war das Zauberwort. Die Idee gefiel den Oberen der Stadt am Teutoburger Wald so gut, dass sie eine ansehnliche Stange Geld locker machten.
Schließlich war Bielefeld noch vor Chemnitz und Nürnberg die nationale Fahrradstadt schlechthin. Dürkopp und Göricke, Rixe und Baronia, Falter, Phönix, Miele: Dutzende Hersteller waren hier zu Hause. Unüberschaubar groß war die Anzahl der Markennamen, unter denen Fahrräder vom Teutoburger Wald überall hin verkauft wurden. Tausende Bielefelder Mechaniker arbeiteten in der Branche und bei ihren Zulieferern.
Um diese Erfolge zu stützen, unterhielten die Hersteller eigene Radsportmannschaften – echte Profis. Sie machten die Bielefelder Namen weithin bekannt.
Der Radsport selbst war ungeheuer populär in den 1950er- und 1960er-Jahren. Dahinter blieb der Fußball weit zurück. Was Bielefeld noch fehlte, war die Krönung: eine Radrennbahn ersten Ranges.
Am 14. Juni 1953 wurde sie eingeweiht. 15 000 Zuschauer waren da und die gesamte Stadtprominenz. Knapp drei Jahre hatte der Bau unter schwierigen Umständen gedauert, 600.000 DM kostete der Spaß. Und Spaß hatten die Bahnradler und ihre Szene. Die Bahn machte international Furore, hier trafen sich Welt- und Europameister. Spektakulär sind bis heute die Steherrennen, bei denen die Paare von Motorrad- und Rennradfahrer Geschwindigkeiten bis 80 km/h erreichen. Selbst Motorradfahrer trafen sich zu „Zementbahnrennen“.
Das große Oval galt als meisterhaft. Clemens Schürmanns Sohn Herbert setzte die Arbeit seines Vaters erfolgreich fort. Das Büro Schürmann, in Münster zu Hause, baut bis heute die besten Rennbahnen, zuletzt die Olympiabahn in Tokio. Zusammengezählt kommt es auf mehr als 140 Bahnen weltweit.
Vom Star zum Sorgenkind
Aber wie das so ist bei Veranstaltungen unter freiem Himmel am Teutoburger Wald: Das Wetter passte nicht immer. Und die Popularität des Bahnrennsports stieg auch nicht ins Unermessliche. Andere Veranstaltungen nutzten die Sportstätte mit: Auftritte von Militärkapellen, Polizeisportfeste oder große Konzerte (Joe Cocker!) füllten die Ränge. Trotzdem konnte die Bahn ihre Kosten auf die Dauer nicht einspielen und wurde zum Sorgenkind. Heute kümmert sich ein rühriger Förderverein um sie. Ein solch epochemachendes Meisterwerk will gepflegt und erhalten werden.
Probefahrt auf „Diamant“
Aber jetzt: Wir wollten doch ausprobieren, wie es sich fährt auf so einer Piste. Mit dabei ist Udo Rolfsmeier, Kenner der Fahrradgeschichte und seit Kurzem Besitzer eines Bahnrennrad-Oldtimers. Sein „Diamant“-Rad kommt heute zu seiner Premiere auf der Bielefelder Bahn. Wie alle Bahnrenner hat es weder Bremsen noch Schaltung oder Freilauf, wohl aber Klickpedale. Das bedeutet: Man muss wissen, was man tut. Konzentriert aufsteigen, zuerst mit einem Schuh festklicken – und los.
Auf der Innenseite der Bahn geht es ebenerdig zu, etwa einen halben Meter breit ist der Streifen. Die Sportler nennen ihn „Teppich“. Hier kommen wir ins Rollen. Auf der Geraden geht es auf die schräge Bahn. Alles, was jetzt zählt, ist Tempo. Denn schneller als gedacht kommt die erste Kurve. Oh je, was ist das steil! Wenn wir jetzt abrutschen, endet es blutig. Also Dampf, alles was geht. Das Rad rollt unruhig, Konzentration ist gefragt. Dann ist die erste Kurve überstanden. Welch ein Puls! Auf der Gegengeraden fahren wir ein wenig höher. Bloß nicht abschweifen, Schmackes, Kurve kommt. Schon ist es wieder steil und wackelig. Tempo halten, alles andere wäre fatal.
Tempo ist alles
So eine Bahn hat nichts Entspanntes. Tempo und Geschwindigkeit sind alles: Mach hinne, Kurve kommt! Nach sechs Kurven und drei Runden reicht es für den ersten Versuch, wir rollen auf den Teppich und werden langsamer. Dazu halten die Beine das Rad langsam auf, bremsen geht ja nicht. Jetzt müssen wir noch unfallfrei aus den Pedalen, die sich immer weiter drehen, weil es ja auch keinen Freilauf gibt. Dazu rollen wir auf den grünen weichen Rasen. Wenn wir jetzt noch umkippen, tut es nicht mehr so weh. Ausklicken, vorsichtig absteigen – geschafft. Mensch und Rennrad sind wohlauf. Nichts Schlimmes passiert, zum Glück. Am Ende des Abenteuers entspannen sich die Gesichtszüge.
Hinter dem Derny-Moped
Derweil drehen die Rennsportler vom RC Zugvogel Bielefeld ihre flotten Runden. Ein Derny-Moped knattert durch den Tunnel, biegt auf das Oval ein und wird schneller. Bald geben drei, vier Radfahrer richtig Gummi und hängen sich in Reihe hinten dran. Auf halber Höhe zischt dieser Zug mit Dampf durch die Steilkurve, wieder und wieder, unwiderstehlich. So sieht Power aus. Respekt!
Tief im Bielefelder Osten liegt versteckt im Grün ein Denkmal von hohem Rang. Ein großes Oval, völlig schlicht, aufregend steil und rasend schnell. Wer das Besondere entdecken möchte: Hier ist es.
Bahnfahren für jedermann: ab dem 29. April freitags von 17 bis 20 Uhr, bei trockenem Wetter, kostenfrei. Helm, Schuhe und Klickpedale sind mitzubringen, Bahnräder sind in begrenzter Zahl vorhanden. Anmeldung bei lars.kerkhof@gmx.de
Führungen: buchbar unter Tel. (01 73) 27 434 92 oder per E-Mail an foerderverein-radrennbahn@web.de
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