Aus der Haut von 85 Rindern entstand vor über 1000 Jahren irgendwo im Rheinland das Pergament für das Liesborner Evangeliar. Es ist eine der ältesten, vollständig erhaltenen Handschriften des frühen Mittelalters.
Nach 200 Jahren in der Hand verschiedener Besitzer rund um den Erdball, ist es jetzt wieder „zu Hause“. Das Evangeliar wurde einst für das dortige Kloster, ursprünglich ein Frauenstift, gefertigt. Um die Handschrift mit seinen 338 Seiten erlebbar zu machen, ließ der Kreis Warendorf den Nordflügel des heutigen Museums für 2,7 Mio. € umbauen.
Andacht einer Kirche
Wer den abgedunkelten Ausstellungsraum betritt, spürt die Andacht einer Kirche. 22 dunkle Stahlplatten – etwa 8 m hoch und 2 m breit – schirmen das wertvolle Pergament vor zu viel Licht ab. Das würde die Seiten des aufgeschlagenen Buches auf Dauer beschädigen. Die Heilige Schrift selbst ruht in einer speziell illuminierten Vitrine. „Regelmäßig werden die Seiten umgeblättert, um sie nicht zu stark zu belasten“, erklärt Museumsdirektor Dr. Sebastian Steinbach.
Nachts gleitet das Manuskript in einen Safe unterhalb der Vitrine. Licht fällt in den Raum unter anderem durch Texte des Evangeliars wie die Bergpredigt, die Kreuzigung oder die Weihnachtsgeschichte. Sie sind in die Stahlplatten gelasert.
Digitale Bibliothek
Das Evangeliar flankieren zwei bedeutende Kreuze aus der Liesborner Sammlung.. Das eine stammt aus der Entstehungszeit der Schrift im späten 10. Jahrhundert, das andere aus dem 15. Jahrhundert. „Um 1500 ist der heutige Buchdeckel aus Eichenholz mit den Symbolen der vier Evangelisten gefertigt worden. Der ursprüngliche Deckel, vermutlich aus Metall, ist verschollen“, erzählt der Museumsleiter.
Wer in den vier Evangelien, die auf Latein in karolingischer Minuskel im Rheinland geschrieben wurden, blättern möchte, kann das im Obergeschoss. Auf einem Touchscreen können die Gäste durch die einzelnen Seiten navigieren und das Buch sogar digital drehen. Auch weitere Schriften aus der einst bedeutenden Bibliothek des Klosters sollen auf Dauer einsehbar werden. Dort erfahren die Gäste auch mehr zur 200-jährigen Reise des Buches nach der Auflösung des Klosters im Jahr 1803.
Auf dem Weg zum Evangeliar erwarten den Besucher „taktile Elemente“ mit Passagen aus der Handschrift. Sie machen den Besuch auch für blinde Menschen spürbar.
Ab Sonntag, 14.Mai, ist das Liesborner Evangeliar für Besucherinnen und Besucher zugänglich. An dem Tag findet von 10 bis 18 Uhr ein großes Bürgerfest statt. Restaurationswerkstätten, ein Buchbinder und -restaurator sowie eine Vergoldermeisterin geben Einblicke in ihre Arbeit mit jahrhundertelanger Tradition.
Für den Besuch
Geöffnet ist das Museum Abtei Liesborn dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei. Die genaue Adresse lautet: Abteiring 8, 59329 Wadersloh-Liesborn. Telefonisch erreichbar unter (0 25 23) 9 82 40.
www.museum-abtei-liesborn.de
Lesen Sie mehr: