Es heißt: „Sie sind triebhaft, treulos, instinktgesteuert, unvernünftig und schwer erziehbar“ – an welches Geschlecht denken Sie dabei? Etwa an Männer? Im 19. Jahrhundert dachten viele Teile der Gesellschaft so über Frauen. Das Liebesleben-Museum in Soest stellt Besucher auf die Probe. Die Dauerausstellung soll bewusst machen, welche Vorurteile jeder und jede mit sich herumträgt. Aber auch viele weitere Themen wie Sexualität, Verhütung, und Weiblichkeit finden sich im ehemaligen Hochbunker wieder.
Hinter dem Museum steht der Liebesleben Museum e. V. mit rund 15 Mitgliedern. Alina Röhrig, eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen erzählt: „Oft wird das Museum in eine Schmuddelschublade gesteckt, doch davon sind wir weit entfernt!“
Vom Krokodilkot zur Pille
Vielmehr geht es um Fakten, Aufklärung und Selbstreflexion. Beginnen können Besucher ganz von vorn: Mit dem Klapperstorch.
Den Mythos um den Kinder bringenden Vogel gab es schon im 17. Jahrhundert. Dabei ist die Wahl des Storchs kein Zufall: Zum einen war der heimische Vogel weit verbreitet und schien groß genug, um Neugeborene tragen zu können. Zum anderen leben Störche häufig in der Nähe von Wasser, das oft symbolisch für die Quelle des Lebens steht.
Viele junge Menschen glaubten damals an diesen Mythos. Heute findet Aufklärung oftmals wesentlich früher statt. „Ein Problem ist, dass Kinder- und Jugendliche im Internet früh mit Themen konfrontiert werden, die sie nicht einordnen können“, erzählt Alina Röhrig. „Wir bieten hier ein wichtiges Stück Aufklärung an.“
Dazu gehört auch das Thema Verhütung und ihre Geschichte. Schon im alten Ägypten sind erste Verhütungsmethoden in Form von „Krokodilkot-Pfropfen“ zu finden. Tatsächlich zeigten diese eine gewisse Wirkung: Nicht nur der Pfropfen selbst diente als Blockade für Spermien. Krokodilkot ist leicht alkalisch – genau wie moderne chemische Verhütungsmittel.
Die historische Methode zeigt, wie wichtig Verhütung für Frauen schon damals gewesen sein muss. Kein Wunder also, dass die Erfindung der Pille Tausende Jahre später als bahnbrechend galt.
In den 1960er-Jahren konnten sich Frauen in der Bundesrepublik Deutschland die Pille zunächst nur mit Zustimmung ihres Ehemannes verschreiben lassen. Nach der Zulassung für alle Frauen wurde die Pille dann zum Symbol der sexuellen Freiheit und Revolution.
Machtvolle Frauen
Was haben abstrakte Figuren mit weiblichen Rundungen, ein Gemälde von Michelle Obama und die Bibel gemeinsam?
Ihnen allen wohnen Geschichten von „Machtvollen Frauen“ inne. Die gleichnamige Sonderausstellung basiert auf einer Sammlung von Heinz Kirchhoff, der von 1954 bis 1973 Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Uni Göttingen war. Er trug knapp 650 Darstellungen der Frau quer durch die Epochen zusammen. Alina Röhrig schwärmt: „Hier sind ganz verschiedene Arten von Macht zu finden, das begeistert mich.“
Darunter sind auch sogenannte „Venus-Darstellungen“. Sie zeigen üppige, nackte Frauen aus der Altsteinzeit. Die Replikate der zwischen 20 000 und 40 000 Jahre alten Figuren stellen Frauen mit enorm großen Geschlechtsmerkmalen dar. Sie galten als Symbol für Fruchtbarkeit.
Glaube und (Selbst-) Macht
Überdies spielen Frauen auch in Glaube und Religion eine machtvolle Rolle. So gab und gibt es in vielen Religionen Schöpfungsgöttinnen. Im Chinesischen beispielsweise leitet sich die ursprüngliche Bezeichnung für „Gott“ aus „ein Kind gebären“ ab. Und auch in der Bibel gibt es Stellen, in denen Menschen zu Astarte, der Himmels- oder Liebesgöttin beten, auch wenn es dort natürlich untersagt wird.
Fern von diesen Frauen aus der Vergangenheit werden im Museum auch starke Persönlichkeiten der heutigen Zeit vorgestellt. Jeden Monat wird eine andere bedeutsame Frau präsentiert – in diesem Monat ist es Michelle Obama.
Nicht nur kritisch wird den Besuchern des Museums immer wieder der Spiegel vorgehalten. Im letzten Part der Ausstellung können Gäste sich auch schlicht selbst im Spiegel betrachten. Dabei gilt es lediglich die Überschrift über dem Spiegel zu verinnerlichen: Machtvolle Frau.
Am Schicksalsrad drehen
Obwohl es zu jeder Zeit bedeutsame Frauen gab, sind Vorurteile, auch in Zusammenhang mit Geschlechtern, nach wie vor ein gesellschaftliches Problem.
Ein Schicksalsrad, bestückt mit Attributen wie „weiße Haut“, „Mann“ oder „transsexuell“, zeigt dies sehr deutlich. Besucher sollen dreimal am Rad drehen und sich so selbst ein erdachtes Leben zusammenstellen. Der Clou der Sache ist, sich selbst zu beobachten: Freue ich mich, dass ich „blond“ erdreht habe? Fühlt es sich an, als würde ich verlieren, wenn ich „homosexuell“ werde?
Auch der aufgeschlossensten Person soll so klar werden, dass Vorurteile bestehen. Das Gehirn bastelt Schubladen, um sich Verarbeitungsprozesse zu sparen. Das ist natürlich. Wichtig ist aber, es zu wissen und einordnen zu können.
Musuem im Bunker
Im Januar 1941 wurde auf Anweisung der Nazis der Hochbunker erbaut, der heute mit 1000 m2 Ausstellungsfläche als Museum dient. Besucher können dort, neben der Hauptausstellung zum „Liebes Leben“, in einem der Schutzräume auch die Geschichte des Bunkers erkunden. Der Eintrittspreis für das Museum am Lütgen Grandweg 9 a in Soest beträgt für Erwachsene 5 €, für Kinder ab 6 Jahren und Personen mit Ermäßigung 2,50 €.
Öffnungszeiten: mittwochs und freitags 15 Uhr bis 18 Uhr
Internetadresse: liebesleben-museum.de
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